Standpunkt Steiger: Dreiklang der ökonomischen Unvernunft
Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Nur weniges ist in der Wirtschaftspolitik gefährlicher als das gleichzeitige Zusammenspiel von Ignoranz, Fehlurteilen und der Anmaßung von Wissen. Die Gleichzeitigkeit dieser drei Faktoren der ökonomischen Unvernunft liegt immer dann gesichert vor, wenn selbsternannte Wirtschaftsingenieure vorgeben, sie müssten nur an dieser oder jener Schrauben drehen, damit später das richtige Ergebnis herauskommt. Aus diesen vermeintlich sicheren Langfristprognosen wird dann eine politische Agenda abgeleitet, die eine Gesellschaft in die gewünschte Richtung lenken soll und dafür auch staatliche Eingriffe in das Wirtschaftssystem rechtfertigt. Donald Trumps Handelspolitik ist von diesem Ansatz genauso geprägt, wie die deutsche Energiewende oder der europäische Green Deal. Ob Handelsbilanzdefizite, Inflation, Bekämpfung von (vermeintlicher) Ungleichheit, Beseitigung von Staatsschulden, Aktivierung von Wachstumskräften oder Transformation und Dekarbonisierung der Wirtschaft – überall geben verantwortliche Politiker vor, sie könnten tiefgreifende Probleme mit dem richtigen Plan auf Knopfdruck beseitigen. Doch Strukturprobleme lassen sich so genau nicht beheben. Wir wissen auch wie dieser Film ausgeht. Eugen von Böhm-Bawerk stellte schon vor über hundert Jahren heraus, dass sich ökonomische Gesetze niemals dauerhaft durch politisches Wunschdenken aushebeln lassen.
„Stellen Sie sich vor, wie viel komplizierter Physik wäre, wenn Elektronen Gefühle hätten“, fragte einst Physik-Nobelpreisträger Richard P. Feynman. Genau hier liegt der zentrale Punkt, warum die Wirtschaftswissenschaft keine exakte Naturwissenschaft ist. Die Wirtschaft basiert auf dem Verhalten von Menschen, auf Aktionen und Gegenreaktionen. Deshalb ist sie nie das Ergebnis eines großen staatlichen Plans, sondern immer ein Puzzle aus vielen einzelnen Plänen der Marktteilnehmer. Die Marktwirtschaft, ist das Entdeckungsverfahren, das diese Komplexität ordnet und zu einem effizienten Ergebnis führt. Freie Märkte lenken Kapital und andere Ressourcen dorthin, wo sie am produktivsten eingesetzt werden. Sie veranlassen Produzenten, Güter herzustellen, die am stärksten nachgefragt werden. Sie motivieren Arbeitnehmer, Arbeitsplätze anzunehmen, bei denen sie im Vergleich zum Wert ihrer Leistung am produktivsten sind. Und sie ermutigen zu harter Arbeit, Kreativität und Risikobereitschaft. Trumps Zölle und Habecks Subvention sind dagegen jeweils Varianten einer anmaßenden Industriepolitik. Solche Maßnahmen weiten die Staatsaufgaben aus und fördern die Bürokratisierung. Sie laufen im Kern darauf hinaus, Menschen zu etwas zu bewegen, das nicht ihren eigentlichen Präferenzen und drängendsten Bedürfnissen entspricht – sonst hätte es der Marktprozess ja hervorgebracht. Ludwig von Mises wies deshalb darauf hin, dass Bürokratisierung das Festhalten an Regeln und Prozeduren bedeutet, anstelle von Innovation oder Kostendämpfung.
Bezogen auf die amerikanische Zollpolitik sind deshalb die Konsequenzen zweiter und dritter Ordnung einzubeziehen: Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder, Versorgungsengpässe in den Lieferketten, die grundlegende Veränderung der Weltordnung oder ein Käuferstreik von US-Staatsanleihen. Noch vordringlicher ist zudem sogar die Frage, ob die Diagnose überhaupt richtig ist. Ist der Welthandel das dargestellte Nullsummenspiel oder sind Arbeitsteilung, Spezialisierung und der anschließende Tausch von Waren und Dienstleistungen über Märkte die Keimzellen des Wohlstandes? Werden die USA von ihren Handelspartnern ausgenommen oder ermöglichen die Handelsbilanzdefizite es den Amerikanern vielmehr, über ihre Verhältnisse zu leben? Ist der Dollar ein Mühlstein, der die eigene Wettbewerbsfähigkeit zerstört oder sichert der Status als Reservewährung es den USA, sich zu günstigeren Konditionen zu refinanzieren?
Es gibt zahllose eindrucksvolle Beispiele, die veranschaulichen, zu welchen spektakulären Fehleinschätzungen die Anmaßung von Wissen führt. Etwa aus der Vergangenheit: Während des kalten Krieges prognostizierten einige Wissenschaftler eine neue Eiszeit und schlugen vor, dass die beiden nuklearen Supermächte gemeinsam die Pole bombardieren sollten, damit die Pole teilweise schmelzen und eine neue Eiszeit verhindert wird. Aus der Gegenwart: Bis Mitte 2023 wurde ernsthaft argumentiert, dass der Saldo zwischen Deutschlands importierten und exportierten Terawattstunden Strom doch einigermaßen ausgeglichen sei. Nicht eingegangen wurde auf die offensichtliche Tatsache, dass der Einkauf zu Spitzenpreisen aufgrund der Knappheitssituation erfolgte und der Verkauf teilweise zu negativen Preisen stattfand, aufgrund des dann herrschenden Überangebotes an Wind und Sonne. Wer die Überlegenheit von Wettbewerb und Preissystem missachtet, endet schnell wie der zwei Meter große Mann, der beim Überqueren des Flusses ertrank, der im Durchschnitt nur einen Meter tief war. Nicht weniger absurd ist der Blick in die Zukunft: Rund 90 Prozent des weltweiten Datenbestandes sind erst in den letzten beiden Jahren entstanden.
Die Möglichkeiten diese Daten zu verknüpfen und auszuwerten stehen erst ganz am Anfang. Bill Gates prognostiziert, 50 Prozent der Technologien, die wir zur Lösung der Klimakrise brauchen, seien noch gar nicht erfunden. In diesem Umfeld gilt es doch nicht auf eine Politik zu setzen, die kleinteilig Technologien und Produktionsziele vorgibt und auf einer fatalen Mixtur von mehr Zentralismus, Umverteilung und Bürokratie basiert. Die Absurdität auf den Punkt: Der amerikanische KI-Forscher Ray Kurzweil rechnet damit, dass Menschen im Jahr 2045 ihre biologischen Begrenzungen mithilfe der Technik überwinden werden und menschliche und künstliche Intelligenz physisch miteinander verschmelzen. Wir planen dagegen den „Deutschlandtakt“ der Deutschen Bahn für das Jahr 2070 und hoffen bis dahin auf pünktliche Züge.
Bis zum Schluss glaubte die Ampelregierung um Olaf Scholz und Robert Habeck entgegen jeder Evidenz daran, zu wissen was richtig, notwendig und machbar ist. Unabhängig von einzelnen Politikfeldern oder Regulierungen muss eine Politikwende genau an diesem Punkt ansetzen und sich von dem staatlichen Allmachts-Glauben in der Wirtschaftspolitik lösen. Nichts passt besser zu den Herausforderungen permanenter Umbrüche, als eine freiheitliche, Chancen öffnende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die Freude und Begeisterung für Technik und einen mutigen Pioniergeist fördert und die auf den Bedürfnissen der Bürger gebaut ist.