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Standpunkt 14.11.2024
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Standpunkt Steiger: Eine Frage der Ordnung

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Realitätsverweigerung – keine Beschreibung über die zur Restampel geschrumpfte Bundesregierung kommt diese Tage ohne diesen Begriff aus. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat diese Fähigkeit zur Königsdisziplin erhoben. Seine wirtschaftspolitische Detailsteuerung hat zu Überregulierung und Unterinvestition geführt. Statt Schumpeters „schöpferischer Zerstörung“, die normalerweise eine Dynamik marktwirtschaftlicher Erneuerung in Gang setzt, haben wir hierzulande in den letzten Jahren einen beispiellosen Prozess von Zerstörung ohne Schöpfung erlebt. Eine willkürliche und gefährliche Politik gegen den Kapitalstock.

Doch für Robert Habeck liegt die größte Gefahr nun ausgerechnet in einer Änderung des wirtschaftspolitischen Kurses. Das würde die Investoren verunsichern, warnt er. „Wenn eine amtierende Bundesregierung sagt, den Kurs halten wir, eine sehr starke Opposition, die vielleicht in der nächsten Bundesregierung ist, jedoch sagt, wenn wir kommen, dann geht es genau in die andere Richtung. Dann geht es schief. So kann eine Volkswirtschaft nicht funktionieren. Wir können über Steuersätze reden, wir können über andere Sachen im Detail reden. Aber es muss doch möglich sein, über eine Legislaturperiode hinaus eine gesellschaftliche Verabredung über die großen Linien der nächsten Jahre zu treffen.“ Zunächst gilt es festzuhalten, den gesellschaftlichen Konsens, den Habeck einfordert, gab es lange, es waren die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und die Ampel hat mit ihnen gebrochen. Vor allem aber entscheidet genau die Grundsatzfrage, die Habeck tabuisieren will, darüber, ob Deutschland der dringend notwendige wirtschaftspolitische Neustart gelingt. Die dahinterstehenden Alternativen zwischen einer marktbasierten, technologieoffenen Ordnungspolitik, die in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft möglichst gleichartige Wettbewerbsbedingungen für alle herzustellen versucht, und einer zentralistischen Politik mit gezielten Privilegien für einige wenige Akteure, rücken nicht nur für die kommende Bundestagswahl in den Mittelpunkt.

Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampelregierung dem Leitmotiv der „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ verschrieben. Es hat sich als interventionistisch-staatsgläubige Katastrophe mit einer sich immer schneller drehenden Subventionsspirale herausgestellt, das dem Klima nicht hilft und dem Wirtschaftsstandort schweren Schaden zufügt. Genau zu diesem Ergebnis kam Christian Lindner in seinem Wirtschaftswende-Papier und stellte damit den Totenschein für dieses völlig missglückte Experiment aus: „Deutschland kann den strukturellen Herausforderungen für das Wirtschaftswachstum und die öffentlichen Haushalte nur dann erfolgreich begegnen, wenn es sich wieder auf die ordnungspolitische Tradition der Sozialen Marktwirtschaft besinnt.“

Ein jahrelanger Trend zur wirtschaftspolitischen Homogenisierung der Mitte geht damit jäh zu Ende. Zunächst hatte Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik einen stark ordnungspolitisch geprägten Kurs eingeschlagen, der die SPD bis heute tief traumatisiert. In den anschließenden Merkel-Jahren übernahm die Union Schritt für Schritt Positionen aus dem linken Lager, redete einer interventionistischen Industriepolitik das Wort und verwässerte damit ihren Markenkern. Robert Habeck schließlich setzte dann als Wirtschaftsminister ausschließlich auf dirigistische Ansätze und brach vollends mit dem Erbe Erhards. Die CDU hat sich spätestens mit ihrem Grundsatzprogramm wieder klar auf den Kurs der Sozialen Marktwirtschaft ausgerichtet und auch die FDP hat schmerzhaft feststellen müssen, dass die Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft eben keine sozial-ökologische Marktwirtschaft ist, sondern eine soziale Staatswirtschaft, in der der Abstieg verwaltet wird.

Prof. Stefan Kolev, Leiter des Ludwig-Erhard-Forums, bringt es prägnant auf den Punkt: „Der Unterschied zwischen Industriepolitik und Ordnungspolitik ist, ob man wenigen viel gibt oder ob man Wirtschaftspolitik für alle macht!“ Es liegen vor der nächsten Bundestagswahl damit zwei klar unterscheidbare Angebote zur wirtschaftspolitischen Zukunft des Landes auf dem Tisch – haben wir wieder Vertrauen in marktwirtschaftliche Lösungen und die Kreativität und Schaffenskraft unserer Bürger oder setzen wir, trotz der immer dramatischeren Abstiegssignale, weiterhin auf eine ideologiegesteuerte wirtschaftliche Zentralplanung?

Die Soziale Markwirtschaft ist eine Ordnung, die in und für Umbrüche geschmiedet wurde. Sie vertraut der Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit der Bürger und Unternehmen. Der Staat schafft dafür bestmögliche Rahmenbedingungen und garantiert Freiheit und Wettbewerb. Er gibt aber nicht selbst den Weg vor. Dieses Vertrauen des Staates in seine Bürger, seine Ideen und seine Eigenverantwortung ist der Schlüssel zur Erneuerung des traditionellen Kerns der Sozialen Marktwirtschaft. Das Gegenmodell Habecks verweigert genau dieses Vertrauen in die individuelle Anpassungsfähigkeit. Die wuchernde Bürokratie ist die logische und notwendige Folge, denn die Regulierungswut ist nichts anderes als in Paragrafen gegossenes Misstrauen gegen die Eigenverantwortung der Bürger und Unternehmen.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, schrieb Friedrich Hölderlin in seinem großen Patmos-Gedicht. Schon mehrmals in der Geschichte der Bundesregierung haben mutige Regierungen marode Finanzen saniert und Rahmenbedingungen für einen neuen Aufstieg geschaffen. Deutschland ist reformfähig, die Gesellschaft trägt Einschnitte mit. Der Weg zu Ludwig Erhards Wirtschaftswunder war keineswegs ein Selbstläufer. Selbst die grundlegendsten Dinge wie Wohnungen und Nahrung waren knapp. Viele waren der Meinung, nur der Staat könne die knappen Güter gerecht verteilen. Die Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft setzten jedoch auf Wettbewerb und Aufstiegswillen und auf einen Staat, der Freiheit schützt und gleichzeitig für sozialen Ausgleich sorgt. Anfang der 80er-Jahre wurde die deutsche Wirtschaft durch eine hohe Steuerlast und einen verkrusteten Arbeitsmarkt zu Boden gedrückt. Otto Graf Lambsdorff forderte eine marktwirtschaftliche Rückbesinnung, initiierte so den Bruch der sozial-liberalen Regierung Helmut Schmidts und schuf die Voraussetzungen für Reformen in der schwarz-gelben Regierung von Helmut Kohl. Auch Schröders Agenda 2010 zeigte, wie aus einer Notlage ein Fitnessprogramm gemacht werden kann. Das Land riss sich zusammen und besann sich auf seine Stärken. Der aufgeblähte Sozialstaat wurde zurechtgestutzt und Leistung und Eigenverantwortung galten wieder etwas. Nun ist es Zeit, ein neues Kapitel deutscher Freiheits- und Aufstiegsgeschichte zu schreiben – ein neues Kapitel der Sozialen Marktwirtschaft.