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Standpunkt 03.04.2024
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Standpunkt Steiger: Eine Ode an die Fleißigen

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Man kann die Zeichen der Zeit übersehen oder auch fehldeuten. Unverantwortlich ist es jedoch, sie ganz bewusst zu ignorieren. Letzteres spielt sich dieser Tage in Deutschland ab. Mit dem bevorstehenden Ausscheiden der geburtenstarken Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt wird die bereits vorhandene Fachkräfteknappheit weiter verschärft. Wir befinden uns bislang erst ganz am Anfang dieser Entwicklung. Die Diskrepanz zwischen den aus dem Arbeitsmarkt ausscheidenden und nachrückenden Geburtslegionen wird bis 2030 immer weiter zunehmen und die entstehende Lücke wird sich dramatisch akkumulieren. 

Damit Deutschland seinen Wohlstand erhält, gibt es nur eine Konsequenz. Wir müssen mehr arbeiten. Wir müssen die Wochenarbeitszeit verlängern und die Lebensarbeitszeit ebenso. Doch worüber sprechen wir? Die GDL setzt eine schrittweise Absenkung der wöchentlichen Regelarbeitszeit von 38 auf 35 bei vollem Lohnausgleich durch. Die Linke will mit einer Anti-Stress-Verordnung eine „Offensive zur Verkürzung der Arbeitszeit“ starten. Und die Grüne Jugend geht noch weiter. Ihre Co-Chefin Katharina Stolla fordert eine Vier-Tage-Woche könne nur der Anfang sein und stellt sogar die Absenkung auf eine 20-Stunden-Woche  in den Raum – selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich. Gleichzeitig müsse das Bürgergeld verdoppelt werden. Warum? Arbeit mache die jungen Menschen kaputt. 

Der Autor Max Frisch riet dazu, anderen die Wahrheit wie einen Mantel zum Hineinschlüpfen hinzuhalten, sie niemandem „wie einen nassen Lappen um die Ohren zu schlagen“. Aber hier braucht es wohl mehr Deutlichkeit: Diese Debatten sind selbstgefällig, bequem und völlig realitätsfern. Sie ignorieren, dass sich die tektonischen Platten der Weltwirtschaft gerade grundsätzlich verschieben und Deutschlands Wohlstand keineswegs in Steinplatten vom Berg Sinai gemeißelt ist. Im Gegenteil - Deutschland verliert unübersehbar an Wettbewerbsfähigkeit. Gerade jetzt ist die Zeit, in der alle mit anpacken müssen, um Wachstumskräfte freizusetzen und den Grundstein für einen neuen Aufbruch zu legen.

Das Arbeitsethos der Deutschen war doch einst berühmt-berüchtigt. Der fleißige Deutsche weltweit respektiert. Und heute: Schaffe, schaffe, Päusle machen? Nirgends sonst gibt es so viel Urlaub und Feiertage wie in Deutschland. Die Deutschen arbeiten schon jetzt weniger Stunden als die Menschen in anderen Industriestaaten und die Produktivität steigt seit sechs Jahren nicht mehr. Man muss eigentlich nicht mehr als die Grundrechenarten beherrschen, um zu verstehen, dass die 4-Tage-Woche-Rechnung nicht aufgeht. Arbeiten alle Deutschen bei gleichbleibender Produktivität ein Fünftel weniger, dann verringert sich auch die Wirtschaftsleistung um ein Fünftel. Folge: Eine harte Bruchlandung, die Deutschland jährlich 800 Milliarden Euro an Wohlstand kostet! Und entsprechend würden auch die Steuereinnahmen dramatisch sinken - kein Geld mehr für Soziales, Infrastruktur oder Verteidigung.

Das Aufstiegsversprechen war und ist ein Kernbestandteil der Sozialen Marktwirtschaft. Man war stolz darauf, Wohlstand zu schaffen und sich und seinen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch statt der Leistungsgesellschaft Rechnung zu zollen, wird Politik heute zunehmend auf eine nimmersatte Anspruchsgesellschaft ausgerichtet.  Schuld daran ist auch ein Staat, der seinen Bürgern vorgegaukelt, ihnen alle Widrigkeiten des Lebens durch eine Art Vollkasko-Versicherung abnehmen zu können. Missionarische Sozialingenieure versprechen „Milch und Honig“ und verschweigen, dass davor unweigerlich Fleiß, Schweiß und manchmal auch Tränen stehen. Sie verteilen gerne Kuchen, beteiligen sich aber nicht an dem Backprozess. Erst das Leistungsprinzip eröffnet die Chancen auf Sozialstaatlichkeit. Der fürsorgende und bevormundende Staat würgt die individuelle Leistungsbereitschaft ab und stößt augenscheinlich an Grenzen bei seiner Finanzierung. Wir dürfen nicht noch weiter einer Sichtweise verfallen, in der der Staat seine Bürger als betreuungsbedürftig behandelt und durch Detailregulierung entmündigt. Der Einkommensabstand zwischen denen, die arbeiten, und jenen, die es nicht tun, ist in an zu vielen Stellen grotesk gering. Und wie soll Fachkräfte-Zuwanderung gelingen, wenn hier die Steuer- und Abgabenlast deutlich höher ist, als in konkurrierenden Ländern.  Traurige Realität ist: Die Rahmenbedingungen in Deutschland sind zu abschreckend für Leistungsträger und bieten zu viel Anreiz, um in das Sozialsystem einzuwandern – eine fatale Mischung. Wir brauchen dringend ein neues Bekenntnis zur Leistung – und eine Politik, die Arbeit und den Willen zum gesellschaftlichen Aufstieg honoriert.