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Standpunkt 03.05.2024
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Standpunkt Steiger: Für ein starkes und wettbewerbsfähiges Europa

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Das europäische Projekt ist eine historische Glanzleistung. Die Römischen Verträge haben ein beispielloses Freiheitsversprechen gegeben, das auf beeindruckende Weise eingehalten wurde. Doch die EU ist unübersehbar vom Kurs abgekommen und setzt, statt auf die einstigen Erfolgsgaranten, zunehmend auf Zentralisierung, Bürokratie und Haftungsvergemeinschaftung. Doch weder eine immer stärker von Beamten mit Plänen gesteuerte und bevormundete Wirtschaft, noch immer neue Schuldenvehikel für bereits überschuldete Staaten lösen die grundlegenden Probleme des Euro und der EU. Im Gegenteil, sie lähmen Europa. Europa kann sich absurde Regulierung nicht mehr leisten, wenn seine Wirtschaft weltweilt, mithalten will. In den letzten Jahren war die Arbeit der Europäischen Kommission verlässlich davon geprägt, Verordnungen und Richtlinien zu erlassen, die Europa im internationalen Wettbewerb zurückfallen lassen.

Taxonomy, Nachhaltigkeitsstandards für Berichtspflichten, EU-Lieferkettengesetz, EU-Lohntransparenz-Richtline. Während die USA die beste KI entwickeln möchte und China die effizienteste, konzentriert sich Europa eher darauf, die am stärksten regulierte KI zu schaffen. Wer Unternehmen bis ins Detail mit Dokumentations- und Berichtspflichten erstickt und Technologien kleinteilig vorschreibt, hat Wirtschaft nicht verstanden und darf sich nicht wundern, wenn Unternehmen abwandern. Enrico Letta und Mario Draghi haben in den letzten Wochen mit ihren jeweiligen Berichten zur Zukunft des europäischen Binnenmarktes und der europäischen Wettbewerbsfähigkeit die Debatte geprägt. Fraglos kanalisieren sich hier wichtige Ansätze und Reformvorhaben heraus. So ist der Aufruf zu stärkerer Zusammenarbeit und einem gemeinsamen Auftreten Europas auf der Weltbühne vollkommen richtig. Bei den Verteidigungsausgaben etwa liegen die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam an zweiter Stelle weltweit. Bei der Effizienz der Ausgaben gibt Europa jedoch ein ganz schlechtes Bild ab. Eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei Beschaffungsvorhaben, Ausbildung und Rüstungsprojekten schafft eine höhere Interoperabilität, ermöglich die Steigerung von militärischer Effektivität der Streitkräfte und senkt Kosten.

 Eine Lehre, die sich Europa jedoch aus den letzten Jahren zu Herzen nehmen muss, bleibt, dass politische Wachstumsprogramme keine Wundermittel sind. Als „Hamilton-Moment“, „historische Chance für Europa“ und „kopernikanische Wende“ wurde der EU-Wiederaufbaufonds noch vor kurzem bezeichnet. Wie bei den Vorgängerprogrammen wurde die Wachstumswirkung vollkommen überschätzt. Auch der sogenannte „European Economic Recovery Plan” sowie anschließend der Juncker Plan sollten dafür sorgen, dass Europa gestärkt aus der Krise kommt. Das Ergebnis all dieser Programme war niederschmetternd. Die Wachstumsraten schwach, Produktivitätssteigerungen kaum vorhanden, Investitionstätigkeiten nahmen keine Fahrt auf. Die Fehlschläge der Lissabon-Agenda, die Europa bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt machen sollten, oder des Stabilitätspaktes, wo jede Halteverbotszone strenger kontrolliert wird, seien hier ebenfalls erwähnt, um zu verdeutlichen, Europa mehr braucht, als politische 10-Punkte-Pläne. Gerade der Vergleich der Förderregime ist bezeichnend. Die USA senden das klare Signal aus, ihr Land re-industrialisieren zu wollen. Die Mittel des US-Inflation Reduction Acts werden im Wesentlichen über Steueranreize gewährt und die Vergabe zeichnet sich durch Pragmatismus aus. In Europa dominieren dagegen sehr eng definierte Förderbedingen, Gesetze und Vorschriften.

Diesen Eindruck muss Europa entschlossen entgegentreten und nicht nur seine Förderprogramme entbürokratisieren und technologieoffen ausgestallten. Die Furcht vor einer zukünftig bipolaren, von den USA und China beherrschten Weltordnung unterschätzt die europäischen Möglichkeiten fundamental. Der EU-Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt und seine Erfolgsgeschichte ist noch lange nicht auserzählt. Es gibt eine starke gemeinsame Wettbewerbspolitik. In keiner anderen Region der Welt ist Freiheit als Fundament des Fortschritts unter dem Dach der Demokratie derart fest verankert wie in Europa. Es gilt, sich endlich mehr auf diese Stärken zu besinnen und sie konsequenter auszubauen Umso mehr muss der Schwerpunkt der neuen Kommission und des neu gewählten Parlamentes auf den Erhalt und der Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit liegen. Europa muss sich wieder auf die Prinzipien besinnen, die es wirtschaftlich stark gemacht haben: Markt, Wettbewerb und Subsidiarität.