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Standpunkt 16.10.2024
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Standpunkt Steiger: Für eine Handvoll Bratwürste

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Clemens Fuest, ifo-Präsident und einer der führenden Ökonomen in Deutschland, hat sich unlängst mit der Frage befasst, welche Reformen Deutschland braucht, um auf den Wachstumspfad zurückzukehren. Seine Wachstumsagenda enthält viele kluge Ansatzpunkte von attraktiveren steuerlichen Rahmenbedingungen für private Investitionen über einen konsequenten Bürokratieabbau und der Stärkung von Arbeitsanreizen bis zu einer weniger kleinteiligen Energie- und Klimapolitik. Besonders bemerkenswert ist jedoch, welchen Punkt er an die allererste Stelle seiner Reformagenda setzt: „Keinen weiteren Schaden anrichten!“ Damit legt er den Finger in die richtige Wunde. In der Tat braucht es die Einsicht, dass wir einen Umschwung in der Wirtschaft nur erreichen können, wenn wir endlich mit der weitverbreiteten wirtschafts- und ordnungspolitischen Ignoranz brechen und aufhören dem Wirtschaftsstandort Deutschland leichtfertig Schaden zuzufügen. 

Dass Fuests Nr.1-Forderung alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, beweisen die letzten Tage. Beispiel Luftverkehrsstandort: Während der globale Luftverkehr weiter wächst, wird Deutschland als Luftverkehrsstandort durch überhöhte Standortkosten zunehmend abgehängt. In den meisten EU-Ländern gibt es gar keine Luftverkehrsteuer oder sie wird, wie etwa in Schweden, gerade abgeschafft. Angesichts eines funktionierenden Emissionshandelssystem wirkt sie ohnehin wie eine Doppelsteuer. In Deutschland dagegen wurde die Luftverkehrsteuer erst kürzlich erhöht. Zudem haben sich die Flugsicherheitsgebühren seit 2019 verdoppelt. Als Konsequenz ziehen sich Fluglinien aus Deutschland zurück oder streichen Verbindungen - mit gravierenden Auswirkungen auf ganze Wirtschaftsregionen. Statt jedoch wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu schaffen, plant die Bundesregierung in dieser ohnehin angespannten Situation auch noch, eine nach EU-Recht für 2030 vorgesehene Beimischungsquote für nachhaltigen Flugzeugtreibstoff im nationalen Alleingang auf 2026 vorzuziehen. Da diese Kraftstoffe allerdings noch gar nicht in ausreichender Menge verfügbar sind, drohen der Branche – ähnlich der Automobilindustrie mit den CO2-Flottenzielen – durch unrealistische, unsinnige und vollkommen willkürliche politische Zielvorgaben, gravierende Strafzahlungen. 

Oder schauen wir auf die jüngsten Steuerpläne der SPD. „Deutschland hat fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen Respekt gebührt“, heißt es in dem sechsseitigen Beschlusspapier. Im zweiten Anlauf soll es also nun wirklich klappen mit dem Respekt, versprechen die Sozialdemokraten. Wie? Investitionen und Steuersenkungen heißen die Schwerpunkte. Der Parteivorstand schafft es dann tatsächlich, diese zwei Ziele in einen veritablen Zielkonflikt zu stellen und auf ein Zahlenwerk zu bauen, welches bereits beim ersten Anblick in sich zusammenfällt. 

Gehen wir das einmal Schritt für Schritt durch. Eine Einkommensteuerreform soll 95 Prozent der Steuerzahler entlasten und dafür „die höchsten ein Prozent der Einkommen etwas stärker in die Verantwortung nehmen.“ Doch wenn 450.000 Steuerpflichtige eine Einkommensteuerreform finanzieren sollen, von der 45 Millionen Lohn- und Einkommensteuerzahler substanziell profitieren sollen, dann geht die Sache mathematisch schwer auf. Insbesondere, wenn die Erwartung geweckt wird, dass diese Reform „den Menschen mehr finanziellen Spielraum geben und die Kaufkraft stärken“ soll. In der Realität hätte von den 95 Prozent kaum jemand mehr Netto in der Lohntüte. An anderer Stelle wurde ausgerechnet, dass das SPD-Konzept den Steuerzahler durchschnittlich um ganze drei Bratwürste im Monat entlasten würde. Diese „Entlastungen“ würden absehbar kaum ausreichen, um die steigenden Sozialabgaben zu kompensieren.  Oder die SPD plant derart absurde Steuersätze, dass sie die Leistungsfähigkeit des Mittelstands massiv schwächen würde. Denn die Pläne würden auch viele mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe treffen, die etwa als Personengesellschaft organisiert sind. Es sollte auch den Genossen auffallen, dass dies jedoch dem als gleichwertig ausgegebenen Ziel, der Stärkung der privaten Investitionen, diametral entgegenläuft. Im Gegenteil: Leistungsträger und Kapital werden unser Land im beschleunigten Tempo verlassen. 

Schauen wir noch auf die frisch-belasteten Hochverdiener. Parteichefin Saskia Esken sprach von Gehältern von mehr als 15.000 Euro im Monat. Zeitgleich legt der Seeheimer Kreis ein Steuerkonzept vor, dass ebenfalls 95 Prozent der Steuerzahler entlasten soll, bei dem jedoch schon 40 Prozent der von Esken genannten Summe reichen, um von der SPD respektvoll zur Kasse gebeten zu werden. Bereits ab einem Jahresbruttoeinkommen oberhalb von 80.000 soll ein auf 45 Prozent angehobener Spitzensteuersatz (bislang 42 Prozent) greifen. Kein Wunder, dass selbst der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel seiner Partei empfiehlt, die Pläne schnell wieder in der Schublade verschwinden zu lassen: „Die SPD tat und tut gut daran, keine Details zu ihrer Reform und möglichen Entlastungen pro Kopf bekannt zu geben“. 

Realität ist: Wir haben in den letzten Jahren einen abschüssigen Pfad antimarktwirtschaftlichen Hochmuts eingeschlagen - gepflastert mit verhängnisvoller Leistungsverachtung, gefährlicher Wettbewerbsskepsis und einem völlig entrückten planwirtschaftlich-subventionistischen Geist. Als Ergebnis ist Deutschland mit seinen Steuer-, Regulierungs-, Arbeits- und Energiekosten derzeit kein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort. Mehr Subventionen, Staatseingriffe und Regulierungen werden daran genauso wenig ändern wie die Aufhebung der Schuldenbremse. Es gab Zeiten, da musste ein Ruck durch Deutschland gehen, heute bedarf es nicht weniger als einen marktwirtschaftlichen Befreiungsschlag.