Standpunkt Steiger: Reißt die Fenster auf!
Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Die Ampelregierung ist mit einem lauten Knall auseinandergeflogen. Der Bundeskanzler schmeißt Finanzminister Lindner nicht nur aus dem Kabinett, sondern trägt in unversöhnlicher Form auch noch eine persönliche Fehde auf öffentlicher Bühne aus. Die vorbereitete, abgelesene Erklärung wird neben dem verkorksten Heizungsgesetz, dem leistungsfeindlichen Bürgergeld und dem unverantwortlichen Abschalten der Kernkraftwerke mitten in der Energiekrise zu einem weiteren traurigen Symbol der Ampelregierung. Unterm Strich wird ein Finanzminister entlassen, weil er bei fast einer Billion Euro Steuereinnahmen die Schuldenbremse einhalten wollte. Unstrittig ist: Die Ampel hinterlässt auf wesentlichen Politikfeldern einen Scherbenhaufen vollkommener ordnungspolitischer Verwahrlosung.
Es enden Wochen der Absurdität und Jahre der Orientierungslosigkeit. Es beginnen die Wettrennen um Narrative und Deutungshoheiten. Justizminister Marco Buschmann warnt in seinem Rücktrittsschreiben mit Blick auf die nun einsetzenden Dynamiken vor einer „Zeit der Wölfe“. Nur einige Beobachtungen zu den letzten Tagen und Wochen: Bundeskanzler Scholz versprach erst ohne jedes Fundament ein grünes Wirtschaftswunder. Anschließend kanzelte er berechtigte Sorgen um die erodierende Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes und das Aufzeigen eklatanter Fehlentwicklungen als „Klagen ist das Lied des Kaufmanns" ab. In der letzten Woche erklärte er die Wirtschaft dann zur „Chefsache“ und lud bedeutungsschwer und ergebnisarm zu großen Gipfeltreffen ein. Im fulminanten Finale bezeichnete er dann Lindners Vorschläge zur Wirtschaftswende als „gesellschaftliche Brandstiftung“. Diese Achterbahnfahrt als befremdliches Schauspiel zu klassifizieren, ist wohl ausgesprochen diplomatisch formuliert.
Wachstumsschlusslicht, Rekord-Kapitalabfluss, Regulierungs-, Strompreis und Abgabenweltmeister – die Lage des Wirtschaftsstandortes ist unübersehbar dramatisch. Ganz offensichtlich braucht es einen entschlossenen marktwirtschaftlichen Reformkurs, der weit über die bisherigen Maßnahmen hinausgeht. Christian Lindners Konzept hat an vielen richtigen Stellschrauben angesetzt – von einem sofortigen Regulierungsmoratorium über eine Reform des Bürgergeldes bis zum Ende des klimapolitischen Alleingangs Deutschlands. Genauso offensichtlich gab es in der Ampelkoalition jedoch keinerlei Bereitschaft, eine Abkehr von der desolaten Wirtschafts-, Sozial- und Energiepolitik in Erwägung zu ziehen.
„Provokation“ schallte es reflexartig von den Grünen zurück. Doch, wenn man nach dem Maßstab geht, Maximalforderung einer Partei einzubringen, dann war bereits die ebenfalls in der Koalition nicht abgestimmte Modernisierungsagenda Robert Habecks ein Scheidungspapier. Ein Sammelsurium an alten Forderungen der Grünen - durchzogen von einem tiefen Misstrauen gegenüber Marktmechanismen und mit der Essenz, die Standortprobleme nicht an den Ursachen anzupacken, sondern die Symptome über einen schuldenfinanzierten Deutschland-Fonds zu überdecken. Auch aus der AG Wirtschaft der SPD gab es starken Tobak für Lindner. Seine Vorschläge würden „zu massiver Verunsicherung der Wirtschaft führen.“ Eine beispiellose Ignoranz gegenüber der Lage und Stimmung der deutschen Wirtschaft, die in großen Teilen über das Stadium der Verunsicherung längst hinaus und im Gefühlsstand der massiven Verärgerung angekommen ist. Dieser zerrütteten Regierung wurde das Anpacken der Standortschwächen nicht nur nicht mehr zugetraut, diese Regierung wurde als wesentlicher Teil der Standortschwäche angesehen.
Die Reaktionen und letztlich der Regierungsbruch haben bestätigt, um welche Grundsatzentscheidung es letztlich geht. Im größtmöglichen Maße kontrastiert Lindners Wirtschaftswende-Papier mit den Deutschlandfonds-Forderungen Robert Habecks und dem jüngsten Leitantrag des SPD-Parteivorstands. Bei den unterschiedlichen Vorschlägen der Ampelparteien, wie die Wachstumsschwäche bekämpft werden soll, handelt es sich nicht bloß um unterschiedliche Strategien, es sind grundlegende Unvereinbarkeiten. Wie durch ein Brennglas wird deutlich, dass Interventionismus und Ordnungspolitik zwei widerstreitende Paradigmen in der Wirtschaftspolitik sind. Ersteres ist der bisherige wirtschaftspolitische Weg der Ampel gewesen, letzteres der notwendige Kurs, der jetzt geboten ist, um wieder Körperspannung in den Wirtschaftsstandort zu bekommen.
Der Ausblick auf baldige Neuwahlen ist deshalb eine Befreiung. Zeit die Fenster aufzureißen und den Mief der fortgesetzten Realitätsverweigerung entweichen zu lassen. Deutschland hat endlich die Chance, sich für einen grundlegenden Kurswechsel oder, wie es Christian Lindner in seinem Wirtschaftswende-Papier nennt, eine andere „Denkschule“ zu entscheiden. Umso wichtiger ist es, ein jetzt positives und zugleich von der Realität gedecktes bürgerlich-liberales Gegenmodell aufzuzeigen. Ein Narrativ, das Lust auf Zukunft macht und sich auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückbesinnt. Eine freiheitliche, Chancen öffnende Gesellschaftsordnung, die auf den Bedürfnissen der Bürger gebaut ist, ist spannender, erstrebenswerter und erfolgreicher, als ein entmündigendes und nach einem dirigistischen Masterplan entworfenes Zukunftsmodell. Ein bürgerlich-liberales Zielbild muss sich deshalb sowohl von den unhaltbaren Versprechungen und dem anmaßenden Hochmut der links-grünen Verheißungspolitik, als auch von den einfachen Antworten der populistischen Ränder absetzen.