Stärkung des Wirtschaftsstandorts: Mentalitätswechsel statt Einzelmaßnahmen
Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Parallel zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 hat die Ampelregierung auch eine Wachstumsinitiative beschlossen. 49 Einzelmaßnahmen sollen die Wirtschaft im kommenden Jahr in Schwung bringen und um 0,5 Prozent stärker steigen lassen. Auch wenn es an Klamauk grenzt, zum größten Teil unkonkrete Maßnahmen mit einer konkreten - und viel zu hohen - Wachstumsziffer zu belegen, enthält das vorgelegte Paket durchaus einige richtige Elemente. Es ist jedoch weit von dem wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag entfernt, den es in Deutschland jetzt dringend braucht, um die erlahmten Wachstumskräfte wieder zu stärken und die im internationalen Vergleich gesunkene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Eine groß ausgerufene Wachstumsinitiative macht insbesondere nur dann Sinn, wenn sie mit dem glaubwürdigen Signal eines Politikwechsels einhergeht. Die Begleitmusik der Ampelregierung schwingt jedoch weiterhin in einer ganz anderen Tonart.
Ökonomen wie der IfW-Konjunkturchef Prof. Stefan Kooths kritisieren etwa, dass die positiven Wirkungen der Wachstumsinitiative alleine durch die geplante Rentenreform und die damit einhergehende Belastungen von Arbeitseinkommen mehr als zunichte gemacht würden. Die Steuer- und Abgabenbelastung, die der Staat den Arbeitnehmern und Unternehmen in Deutschland zumutet, hat mittlerweile jedes Maß verloren - kaum ein Land schröpft seine Bürger noch stärker. Der übergriffige Fiskus ist zum Standortnachteil geworden. Der Spitzensteuersatz greift ab 66.761 Euro, eine Schwelle, die voll in die Mittelschicht zielt. Im schlimmsten Fall müssen von jedem verdienten Euro, 52 Cent an die Staatskasse abgedrückt werden. Doch die Parteien des linken Spektrums überbieten sich weiterhin mit Forderungen nach noch höheren Abgaben für die angeblich „Reichen“.
Besonders erstaunlich ist dabei der ungebrochene Eifer der Grünen: Nach starken Stimmverlusten bei der Europawahl hat sich die Partei eigentlich eine Phase der tiefgreifenden Analyse und ehrlichen Ursachenforschung verordnet. Umso bemerkenswerter ist es, das sie es sogar im Modus der vermeintlichen Selbstreflektion schafft, ihren bevormundenden Habitus und paternalistischen Grundton beizubehalten. Dabei wiederholt sich ein bekanntes Muster: Schon bei dem völlig verunglückten Heizungsgesetz waren die Grünen davon überzeugt, dass der Fehler lediglich darin lag, dass sie ihre Politik besser kommunizieren müssen. Dabei lehnen weite Teile der Bevölkerung die Politik konkret in der Sache ab und nicht, weil sie nicht ausreichend erklärt wurde. Ähnlich verhielt es sich bei der Migrationsfrage, bei der es von den Grünen hieß, man müsse die „gefühlte Angst“ der Bürger ernst nehmen. Als ob die enormen Herausforderungen aus der unkontrollierten Migration nicht real und durch besseres Zuhören zu lösen seien.
Nun das Thema Ehegattensplitting: Bundesfamilienministerin Paus möchte einen „Abschied vom veralteten Instrument des Ehegattensplittings.“ Das Splitting ermöglicht die Freiheit der Eheleute, gemeinsam zu entscheiden, welche Arbeitsteilung am besten zur eigenen Familie passt. Es sichert, dass ein Paar, das beispielsweise ein Familieneinkommen von 5000 Euro erzielt, exakt die gleichen Steuern bezahlt, unabhängig davon wieviel welcher Partner dazu beiträgt. Nun soll der Staat nach Paus Vorstellungen in die Familien hineinregieren und ihnen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Besonders bemerkenswert ist, dass sich eine Koalition, die sich auf keine einzige Sparmaßnahme einigen kann und sich nicht zum Prinzip des „Fördern und Fordern“ durchringen will, nun ausgerechnet Millionen Familien eine massive Einkommensteuererhöhung aufdrücken will - bis zu 20 Milliarden Euro. Man könnte ein Familiensplitting vorschlagen oder gleich den progressiven Einkommensteuertarif anpacken - wer jedoch für die Abschaffung plädiert, ohne ein anderes System vorzuschlagen, will die Menschen erziehen.
Aber wir erleben dieser Tage nicht nur eine Familienministerin, die aktiv Politik gegen Familien betreibt. Auch das Wirtschaftsministerium interpretiert seine Rolle unter Robert Habeck weiterhin abenteuerlich. Gerade das Ministerium, das wie kein anderes Bollwerk für die Soziale Marktwirtschaft sein sollte, misstraut in aller Offenheit dem Markt als effizientes Such- und Allokationsverfahren. Ludwig Erhard wusste noch um die Bedeutung des Wirtschaftswachstums: „Es ist viel leichter, jedem einzelnen aus einem immer größer werdenden Kuchen ein größeres Stück zu gewähren, als einen Gewinn aus der Auseinandersetzung um die Verteilung eines kleinen Kuchens ziehen zu wollen.“
Heute nennt das Wirtschaftsministerium seine Strategie halsbrecherisch „transformative Angebotspolitik“ und backt kleine Kuchen nach Rezept. Wachstum und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen rücken nicht nur ins zweite Glied, sie werden laut ministeriumseigener Definition sogar zu gefährlichen Störfaktoren erklärt. Mit der Begründung, dass „klassische angebotspolitische Maßnahmen, die auf eine undifferenzierte Ausweitung der Produktionskapazitäten abzielen, (…) Personalengpässe in der Klimatransformation verschärfen könnten.“ Unfassbar aber wahr: Das Wirtschaftsministerium nimmt bewusst eine schwächer als mögliche Wirtschaftsentwicklung in Kauf, weil sonst das Personal für die Klimatransformation knapp werden könnte. Eine solch wahnwitzige Strategie schadet der wirtschaftlichen Entwicklung und letztlich auch dem Klimaschutz. Gilt es doch längst als Konsens, dass Klimaschutz nur dann Nachahmer finden wird, wenn er Hand in Hand mit zunehmendem Wohlstand geht.
Die Probleme und strukturellen Schwächen, unter denen der Wirtschaftsstandort Deutschland heute leidet, lassen sich nicht durch eine Aneinanderreihung von Einzelmaßnahmen lösen. Es geht nicht um unterschiedliche Modelle oder abweichende Schattierungen - hier prallen vollkommen unterschiedliche Menschenbilder aufeinander. Wenn die Verantwortlichen das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort stärken wollen, dann müssen sie sich wieder glaubwürdig zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft bekennen und die Wettbewerbsfähigkeit entschlossen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen. Es fehlt dafür jedoch weiterhin das Signal, die Freiheitsräume der Wirtschaft zu erweitern. Es fehlt eine Agenda zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Und es fehlt eine Perspektive wie die Energieversorgung des Industriestandortes in der nächsten Dekade aussehen soll. So wird man Unternehmer nicht zum lustvollen Investieren anreizen können. Erst recht nicht, wenn man dann noch kleinteilig Sektorziele festlegen, Preise bestimmen und Technologien vorgeben will. Mut- und kraftlos verpasst die Ampelregierung so ihre wahrscheinlich letzte Chance für ein schlagkräftiges Reformpaket.