Standpunkt Steiger: Warum Deutschland von guten Absichten nicht wieder wettbewerbsfähig wird
Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Bekanntlich attestierte Friedrich August von Hayek vielen Sozialisten zumindest löbliche Absichten und hehre Ziele. In aller Härte und geradezu unerbittlich kritisierte er jedoch ihre ungeeigneten Werkzeuge, ihr völliges ökonomisches Unverständnis und ihre politische Naivität, die in der Konsequenz den „Weg in die Knechtschaft“ weisen. Wer heute versucht, sich an Hayeks wohlmeinenden und nachsichtigen Maßstäben zu orientieren, gerät im laufenden Bundestagswahlkampf an seine Grenzen. Ökonomisches Unverständnis entwickelt sich dieser Tage vor unseren Augen zur Exponentialfunktion.
Beispiel Altersvorsorge: Die gesetzliche Rentenversicherung rät den Bürgern schon seit Jahren, privat fürs Alter vorzusorgen. Doch genau diese Eigenverantwortung wird von Mitgliedern des Bundeskabinetts konterkariert. Robert Habecks unausgereifte Idee, Kapitalerträge mit Sozialabgaben zu belasten, hat zurecht für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. Der Vorschlag ist von vorne bis hinten nicht zu Ende gedacht und wird auch nicht besser, wenn man etwas von solidarisch und Bürgerräten hinterherschiebt. Die Diskussion offenbart ein erschreckendes Unverständnis in Bezug auf die Grundlagen der Sozialversicherung samt Beitragsbemessungsgrenzen und Freibeträgen sowie auf die Erfordernisse zur Altersvorsorge. Gesundheitsminister Lauterbach entrüstet sich zeitgleich über die Werbung einer Investmentplattform mit dem Slogan: „Rentenreform: Jetzt downloaden.“ und empfindet diese als einen „Hohn“. Es ist doch unfassbar: Unternehmen werden dafür attackiert, dass sie Lösungen für Probleme anbieten, die politische Versäumnisse erst geschaffen haben und fleißige Menschen, die sich aus versteuertem Geld und ohne staatliche Unterstützung etwas ansparen wollen, werden für ihre Weitsicht immer weiter zur Kasse gebeten und obendrein diskreditiert.
Beispiel Schuldenpolitik: In den USA hat Ex-Präsident Joe Biden mit dem „Inflation Reduction Act“ ein riesiges schuldenfinanzierten Subventionsprogramm aufgelegt. Doch das Programm hat sich als „Inflation Perpetuation Act“ herausgestellt und die massive Liquidität dazu beigetragen, dass die Inflation so lange hoch blieb. Die kumulierte Kerninflation von 2021 bis 2024 betrug in den USA sportliche 24 Prozent. Genau diese „klebrige Inflation“ war nach fast allen Analysen einer der zentralen Gründe für den Wahlsieg von Donald Trump. Auch eine neue Studie des IfW Kiel zeigt, dass hohe Inflation ein wesentlicher Baustein sein kann, der zu Stimmenzuwächsen bei populistischen Parteien führt. Umso verblüffender ist es, dass Kanzlerkandidat Habeck genau dieses Programm nun zu seiner „zentralen wirtschaftlichen Botschaft“ erhebt. Die USA hätten auf Krisensituationen mit großen Investitionsprogrammen reagiert. „Das hätten wir auch machen sollen. Haben wir nicht. Jetzt würde ich es gerne anverhandelt an die deutsche Wirtschaftspolitik in der nächsten Legislatur machen“ so Habeck.
Es löst sich damit immer noch nicht von der folgenschweren Vorstellung, Wohlstand lasse sich mit großzügigen Krediten gleichsetzen und die Herausforderungen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sich durch das reflexartige Zuschütten mit staatlichem Geld oder politisches Mikromanagement beheben. Die Ausgangslage ist längst viel zu düster, um dem Treiben mit Hayeks nachsichtiger Geduld zu begegnen. Vielmehr gilt es offen zu benennen, wohin dieser Kurs führt. In der aktuellen Wachstumsprognose hat der Internationale Währungsfonds seinen Ausblick auf Deutschland drastisch nach unten korrigiert. Schlusslicht, letzter Platz der 30 wichtigsten Volkswirtschaften. Dieses schlechte Ergebnis ist nicht vom Himmel gefallen: Deutschland ist mit seinen zu hohen Steuer-, Regulierungs-, Arbeits- und Energiekosten derzeit schlicht kein wettbewerbsfähiger Wirtschafts- und Investitionsstandort. Die vordringlichste Aufgabe einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik ist es, in jeder dieser vier Kostenkategorien spürbare Entlastungen durch bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Es braucht Kostensenkungen und Leistungsanreize - sprich: Reformen. Dieser Kernauftrag der Wirtschaftspolitik wurde zu lange sträflich vernachlässigt.
Die notwendigen Entlastungen werden absehbar auch mit höheren Haushaltsbelastungen einhergehen. Hier hat in den letzten Wochen der Begriff Gegenfinanzierung in bemerkenswerter Weise Einzug in die politische Debatte gefunden. Insbesondere erstaunt es, dass einige Parteien mittlerweile die Reform oder Verwässerung der Schuldenbremse ernsthaft für ein Modell der Gegenfinanzierung halten. Das ist ein Drehbuch dafür, dass man sich auch morgen überrascht von der Realität umzingelt fühlen wird. Es wird völlig ausgeblendet, dass es auch europäische Restriktionen gibt und weitere Schulden auch zu steigenden Zinszahlungen führen. Schon 2024 wurden fast 40 Milliarden Euro allein für Zinsen benötigt. Wir haben zudem bereits reichlich Lasten in die Zukunft geschoben, die uns schon bald einholen werden. Ab 2028 werden die Tilgungsverpflichtungen aus den Corona‐Notlagenkrediten mit 9,2 Milliarden Euro jährlich fällig, die Rückzahlung der in Anspruch genommenen Kredite aus dem EU‐Wiederaufbaufonds stehen ebenfalls an und auch das Sondervermögen Bundeswehr wird dann ausgeschöpft sein. Nicht weniger unfundiert als die Ideen zur „Reform“ der Schuldenbremse ist die Erzählung, „Gegenfinanzierung über eine Vermögenssteuer“. Hier fehlt das Bewusstsein, dass eine wirtschaftlich schädliche Substanzsteuer andere Steuereinnahmen kostet, über Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Investitionen.
Die Reise muss in die andere Richtung gehen. Jedes Prozent Wachstum bringt zehn Milliarden Euro höhere Staatseinnahmen. 100.000 Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, bedeutet etwa 3 Milliarden Euro mehr Einnahmen und weniger Ausgaben. Die Fokussierung des Begriffs Gegenfinanzierung suggeriert zudem, dass die hohe Staatsquote in Stein gemeißelt ist und es im Haushalt keine Priorisierungs- und Effizienzpotenziale gebe. Doch bei einem Bundeshaushalt, der von 2011 bis 2023 insbesondere erhebliche Steigerungen der Transfer- und Konsumausgaben auswies, finden sich reichlich Spielräume zur Konsolidierung. Allein die drei großen Blöcke Bürgergeld, Migration und Subventionen bieten Einsparmöglichkeiten von deutlich über 50 Milliarden Euro.