Standpunkt Steiger: Weshalb wir einen richtigen Neustart brauchen
Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Deindustrialisierung, Kapitalflucht und Kapitalstockerosion sind in Deutschland keine Horrorszenarien mehr, sondern bereits sichtbar in vollem Gange. Es ist geradezu absurd, wenn die Vertreter der Resteampel in wirtschaftspolitischen Debatten nun suggerieren, es brauche bloß hier und da kleinere Anpassungen und wir seien wieder auf Kurs. Er habe Fehler gemacht, lerne daraus aber jeden Tag, räumt etwa Robert Habeck ein und bekräftigt gleichzeitig, dass er das Wirtschaftsministerium nur als Probelauf für höhere Weihen betrachtet. Man stelle sich vor, dass ein Bundesligatrainer einen Top-Verein wie Bayern München zum Abstieg führt und sich anschließend mit derselben gescheiterten Taktik als Bundestrainer ins Gespräch bringt. Das Problem liegt doch nicht in handwerklichen Mängeln, die durch gesammelte Erfahrungen nun abgestellt werden können. Das Problem ist, dass die hinter den Maßnahmen liegende Grundkonzeption nicht stimmt. Prof. Stefan Kooths vom IfW Kiel führt dazu passend aus: „Beim kleinteiligen Klempnern mit Subventionen und Regulierung macht auch Übung nicht den Meister. Wir brauchen einen Kurswechsel, der im ökonomischen Bereich wieder mehr Raum für Marktprozesse gibt.“
Es ist kein Zufall oder das Ergebnis externer Schocks, dass sich der Zustand des Wirtschaftsstandortes als derart desolat erweist. Es ist die logische Schlussfolgerung und das erwartbare Ergebnis einer völlig verfehlten dirigistischen Wirtschaftspolitik und eines unfassbaren Hochmuts. Die Wirtschaftspolitik in Deutschland ist mittlerweile auf einem Niveau angekommen, das normalerweise nur für Witze taugt. Viele kennen etwa den alten Kalauer, dass Christoph Kolumbus der erste Sozialist war. Als er losfuhr, wusste er nicht wohin. Als er ankam, wusste er nicht, wie er dahin gekommen war. Als er wieder zu Hause war, konnte er nicht sagen, wo er gewesen war. Und das alles mit dem Geld anderer Leute. Unübersehbar, aber leider überhaupt nicht zum Lachen sind die Analogien zur deutschen Klima- und Energiepolitik. Wir wissen nicht, was die Energiewende kostet, haben keine Vorstellung, wie die Energieversorgung in der kommenden Dekade aussehen soll und können auch nicht darlegen, was die Maßnahmen letztlich an CO2-Einsparungen bewirken. Aber wir fordern dafür die Aufweichung der Schuldenbremse und die Lizenz zum sorglosen Schuldenmachen.
Ein Einzelfall? Keineswegs! Im arbeits- und sozialpolitischen Bereich hat sich vor allem die SPD drei Jahre lang ausgetobt und nicht weniger als einen Scherbenhaufen hinterlassen. Beispiel Bürgergeld: Es wurde kräftig erhöht und ausgeweitet, Arbeitsanreize entsprechend gesenkt. Folge: Während viele Unternehmen händeringend Personal suchen, steigt gleichzeitig die Zahl der Nichtarbeitenden und die Ausprägungen werden immer eklatanter. 63,5 Prozent der Bürgergeld-Bezieher haben mittlerweile einen Migrationshintergrund. Die Schattenwirtschaft wächst ungebremst. Das Volumen der Schwarzarbeit rast auf ein neues Rekordniveau und erreicht im Jahr 2024 die unfassbare Schallmauer von einer halben Billion Euro. Und auch hier die bekannte Pointe: Die Bundesregierung kann derzeit nicht sagen, mit welchen Kosten sie beim Bürgergeld im nächsten Jahr rechnet und wie hoch die Zahl der Bürgergeld-Empfänger voraussichtlich sein wird. Zwar mussten Konjunkturprognosen und Steuerschätzung zuletzt deutlich abgesenkt werden und auch das eigentlich eingepreiste Wachstumsprogramm wird nicht mehr kommen, aber Arbeitsminister Hubertus Heil plant gegen jede Logik weiterhin mit sinkenden Bürgergeld-Kosten, ohne im geringsten plausibel darlegen zu können, wie sich seine Zahlen zusammensetzen.
Dass Deutschland Wachstumsschlusslicht ist und seine eigenen Hausaufgaben nicht erledigt bekommt, hält einige offensichtlich nicht davon ab, sich als moralische Instanz hinzustellen und für das Treiben in der Welt Haltungsnoten zu vergeben. Besonders seit der Wahl von Donald Trump ist dieser Reflex wieder zu beobachten.Das kann sich als verpasste Chance herausstellen. So ist etwa die Idee Bürokratieabbau mit einem „unternehmerischen Ansatz“ anzugehen durchaus spannend. Die Unternehmer Elon Musk und Vivek Ramaswamy sollen in den USA die Beamtenstuben nach Effizienz durchleuchten. „Das wird, möglicherweise, das Manhattan Projekt unserer Zeit“, ruft Donald Trump mit Verweis auf das Projekt zur Entwicklung der Atombombe in den 40er Jahren. Doch in Deutschland wird die geplante Beamten-Entschlackungskur schon vor dem Start mit gerümpfter Nase und der Warnung vor einer möglichen Aushebelung der Demokratie begleitet. Dabei benötigen auch Deutschland und Europa dringend kreativere Lösungen für eine schlankere Verwaltung. Die „neue Deutschland-Geschwindigkeit“ ist noch lahmer als die alte. Das ifo-Institut hat gerade vorgerechnet, dass Deutschland durch die überbordende Bürokratie 146 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung entgehen. Und auch Brüssel hat zuletzt ein Bürokratiemonstrum nach dem anderen in die Welt geschossen. Alles wird haarklein geregelt, bis niemand mehr atmen kann. In Deutschland soll der Normenkontrollrat Bürokratieabbau und digitale Verwaltung voranbringen. Doch es fällt auf, dass die zehn durchaus honorigen Mitglieder überwiegend selbst aus den Verwaltungsstrukturen stammen. Die Perspektive eines erfolgreichen Digitalunternehmers fehlt im Gegensatz zu den USA dagegen.
Deutschland ist nicht in eine Rezession gerutscht. Deutschland hat sich eine Deindustrialisierung verordnet. Es wurde erzählt, die Energiewende sei für eine Kugel Eis zu haben, Sonne und Wind würden keine Rechnungen schicken und man könne das Klima durch nationale Maßnahmen retten und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit und den Lebensstandard des Landes erhöhen. Genau so schnell wie die großen Transformationsverheißungen nun an den harten Klippen der Realität zerschellen, treten auch die Probleme und Begleiterscheinungen des Interventionismus immer sichtbarer zu Tage. Prof. Hans-Werner Sinn bringt es ungeschönt auf den Punkt: „Die jetzige Krise der deutschen Industrie ist noch schlimmer als die Krise, die Kanzler Schröder einst mit seiner Agenda 2010 bewältigte.“ Entsprechend wird die Antwort auch weitreichender ausfallen müssen, als die damaligen Agenda-Reformen. Ein „Mehr vom Selben“ wird gewiss keine Lösung sein – es braucht eine Ermöglichungs- statt einer Verhinderungs- und Verbotsmentalität. Es braucht einen wirtschaftspolitischen Neustart.