Standpunkt Steiger: Steuergelder für NGOs: Demokratieprinzip und Zivilgesellschaft als Etikettenschwindel
Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
„Was morgens noch im rechten Licht erscheint, wirft abends schon lange Schatten“, nach diesem Motto schlugen die Nachrichten ein, dass die Europäische Kommission gezielt Klimaklagen gegen deutsche Unternehmen und Kampagnen gegen Freihandel finanziert haben soll. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) - so der Vorwurf - sollten als Gegenleistung für Fördergelder mit aktivistischen Maßnahmen und fragwürdiger Lobbyarbeit die Öffentlichkeit gezielt im Sinne der EU-Klimapolitik (und zum Schaden des Wirtschaftsstandortes Deutschland) beeinflussen. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz führt aus, dass dieser Vorgang in seiner Tragweite kaum zu überschätzen sei. Eine „mit öffentlichen Geldern finanzierte Schattenlobby“ nehme massiven Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse. „Alles unter dem Deckmantel der Zivilgesellschaft, aber faktisch orchestriert, mitfinanziert und geduldet von der höchsten europäischen Exekutive“ so Kurz. In der Tat wird die Gefahr deutlich, dass ohne Sicherungen und Transparenz die staatliche Finanzierung von NGOs nicht wie häufig vorgegeben der Demokratie dient, sondern sie im Gegenteil gefährdet. NGOs, die nur mit Steuergeldern existieren können, sind verkappte Regierungsorganisationen. Wenn sie sich dennoch mit der Zivilgesellschaft gleichsetzen, moralisierend als vermeintlich unabhängig darstellen und so die öffentliche Meinungsbildung prägen, dann verkommen sie zu einem gefährlichen Machtinstrument. Sebastian Kurz spricht treffend von einer „False Flag Operation“.
Erst vor kurzem stand dieses Thema auch in Deutschland im Fokus. Selten hat eine parlamentarische Anfrage zu so viel Aufruhr geführt, wie die 551-Fragen der CDU/CSU-Fraktion zur politischen Neutralität von Nichtregierungsorganisationen. Eine Welle der Empörung brach über die Antragssteller hinein. Von „Angriff auf die Zivilgesellschaft“ über „Einschüchterung“ bis zu „nahezu trumpianischen Verhältnissen“ und „Zuständen wie bei Putin“ war an absurden Vorwürfen alles dabei. Diese Vergleiche sind unredlich. Offensichtlich macht es einen großen Unterschied, ob man die Verwendung von Steuergeldern für Organisationen hinterfragt oder politische Gegner verfolgen lässt. Dass schon die Forderung nach Transparenz zu solchen Reaktionen führt, ist dabei bezeichnend. Fakt ist: Die Bürger haben selbstverständlich ein Anrecht darauf, zu erfahren, welche Organisationen wofür Zuwendungen vom Staat bekommen und was damit geschieht. Prof. Stefan Kooths vom IfW Kiel, fasst das pointiert zusammen: „Wer Geld von seinen Kunden will, muss sein Produkt erklären können. Wer Geld vom Steuerzahler will, muss das auch. Eigentlich ganz einfach. Und wem das zu viel ist, kein Problem. Einfach auf das Geld vom Staat verzichten. (Nur) Dann bleibt man auch eine NGO.“
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Viele NGOs leisten ehrenwerte und unverzichtbare Arbeit. Es gehört auch zum Kern der Freiheit, dass zivilgesellschaftliche Organisationen politische Ziele und Absichten verfolgen und hierfür klar und deutlich Partei ergreifen. Das sind zentrale Bausteine einer lebendigen Demokratie und grundrechtliche Selbstverständlichkeiten, selbst dann, wenn die Ziele und Ansichten der Gruppen den eigenen diametral entgegenlaufen. Es gilt die eindrucksvolle Maxime der englischen Schriftstellerin Evelyn Beatrice Hall: „Ich verabscheue Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ Doch um keinen dieser Punkte geht es bei der Debatte. Es geht einzig um die Maßstäbe, die anzulegen sind, wenn der Staat gesellschaftliche Organisationen finanziell fördert. Denn der Staat ist aus wichtigem Grund zur politischen Neutralität verpflichtet. Genau diesem Neutralitätsgebot droht die Umgehung, wenn mit Steuergeld finanzierte NGOs als verlängerter Arm des Staates in den Meinungsbildungsprozess eingreifen.
Es ist geradezu grotesk, dass sich die Verteidiger der fragwürdigen Finanzierungspraxis immer wieder auf genau die zwei Begriffe berufen, bei denen das Störgefühl besonders deutlich wird. Demokratieprinzip und Zivilgesellschaft. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes schreibt ausdrücklich eine Willensbildung von unten nach oben vor, also vom Volk zu den Staatsorganen. Eine staatliche Förderung von Organisationen, deren ausdrücklicher Satzungszweck es ist, die politischen Willensbildung zu beeinflussen, läuft diesem Prinzip klar entgegen. Wenn die EU-Kommission zudem mit verdeckten Mitteln ihre Ziele durchsetzen will und über NGOs gezielt Druck auf die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes ausübt, dann hebelt das schlicht die Gewaltenteilung aus. Die Exekutive nimmt - im falschen Gewand und finanziert mit Steuergeldern - Einfluss auf die Legislative. Einen viel größeren Vertrauensschaden kann man eigentlich kaum anrichten.
Zivilgesellschaftlich scheint für einige vor allem das zu sein, was das eigene Weltbild bestätigt. NGOs werden in dieser Lesart als eine Art Kollektiv des Guten verklärt und einfach mit der Zivilgesellschaft gleichgesetzt. Dabei drückt Zivilgesellschaft doch ursprünglich gerade die Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen aus und beschreibt selbstorganisiertes Handeln außerhalb staatlicher Strukturen. Insbesondere ist es alles andere als harmlos, wenn NGOs für sich in Anspruch nehmen, vollumfänglich für das Gemeinwohl und die Zivilgesellschaft zu stehen. Denn dieses Bild würde das unredliche Gleichsetzen von Instrumenten mit Zielen voraussetzen, was für sich wiederum zutiefst undemokratisch ist. So gibt es etliche Beispiele wie NGOs trotz zur Schau gestellter hehrer Ziele massiven Schaden angerichtet haben.
Der Physiker Prof. André Thess etwa kritisiert: „Die meisten der in Politik und Medien zitierten Energiewendestudien erfüllen nicht einmal die Mindeststandards guter wissenschaftlicher Praxis. Die Förderung sogenannter Denkfabriken mit Steuergeldern sollte deshalb vollständig und ersatzlos eingestellt werden.“ Die zahlreichen Veranstaltungen von mit Steuergeldern finanzierten Stiftungen über das vermeintlich unlösbare Endlagerproblem der Kernkraft stehen exemplarisch für das Bremsen aus Prinzip und die reflexartige Bekämpfung von Technologieoffenheit. Es hat fraglos eine totalitäre Anmutung, wenn eine Minderheit eine ganze Gesellschaft per Oktroi auf den Weg des Fortschritts, so wie sie ihn definiert, zu bringen versucht und ausgerufene Transformationen als autoritären Marschbefehl in den eigenen Lebensentwurf missbraucht.
„Die Abkürzung NGO darf kein Freibrief für eine willkürliche und unkontrollierte Verwendung von Steuergeldern sein“, fordert die stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europäischen Parlament Monika Hohlmeier zurecht. Es braucht eine lückenlose Aufklärung, damit nicht die Legitimation der Kommission und damit der gesamten Union durch solche Vorwürfe untergraben wird. Ursula von der Leyen ist persönlich verantwortlich für die vollständige Aufklärung dieser Vorwürfe, die in ihre erste Amtszeit fallen. Zudem bedarf es in Deutschland und Europa auch verbindlicher und institutionalisierter Verfahren und Regeln im Umgang mit der Finanzierung NGOs. Ob bei Migrationsfragen, Energiewende, Freihandelsabkommen, der Aufweichung der deutschen Schuldenbremse oder sogar direkter Wahlkampfhilfe - es ist besorgniserregend und gefährlich, wenn ein undurchsichtiges Geflecht an steuerfinanzierten NGOs den demokratischen Wettbewerb verzerrt. Es droht dadurch nicht nur ein gewaltiger ökonomischer und institutioneller Schaden, sondern vor allem auch ein Beitrag zur kulturellen und gesellschaftlichen Spaltung.