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WR-Info 28.02.2024
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Standpunkt Steiger: Wachstumsschwäche - Punkte statt Stadionwurst

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Letzte Woche erfolgte der dritte Nackenschlag: Zuerst entlarvt das Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse, dass wir es nicht hinbekommen, einen verfassungsgerechten Haushalt aufzustellen. Dann bescheinigen uns die dramatischen Ergebnisse der Pisa-Studie, dass der Verstand unserer Bürger eben keine nachwachsende Ressource ist. Und nun offenbart uns der Jahreswirtschaftsbericht ungeschminkt die strukturelle Wachstumsschwäche der deutschen Volkswirtschaft. Die Bundesregierung muss ihre Wachstumsprognose radikal senken. Ende des Jahres werden wir auf demselben gesamtwirtschaftlichen Niveau liegen wie 2019 - ein halbes Jahrzehnt Stagnation. Die Tatsache, dass die Wirtschaft zurzeit nicht wächst, ist besorgniserregend. Noch viel dramatischer ist jedoch, dass sie auch das Potenzial dazu verliert.

Auf nur noch mickrige 0,5 Prozent wird das deutsche  Potenzialwachstum  - also die langfristige Entwicklung des BIP bei Normalauslastung - im Jahreswirtschaftsbericht skaliert. Kaum eine andere Industrienation weltweit hat derart düstere Aussichten. Das Potenzialwachstum wirkt wie eine Art „Tempolimit“ für die Konjunktur und es lässt sich unschwer ausrechnen, dass wir bei dieser Geschwindigkeit nicht ans Ziel gelangen werden. In aller Klarheit: Mit 0,5 Prozent werden wir die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen können. Demografischer Wandel und Sozialsysteme, Dekarbonisierung, Infrastruktur, Verteidigungsfähigkeit – wir brauchen ein deutlich kräftigeres Wachstum, um Gestaltungsspielräume zu erhalten und Verteilungskämpfe zu verhindern. Das geringe Potenzialwachstum hat dramatische Konsequenzen für Staatsfinanzen und Wohlstand, die noch nicht einmal im Ansatz kalibriert sind. So liegen etwa der mittelfristigen Finanzplanung weiterhin deutlich höhere Wachstumsraten zugrunde. Vor diesem Hintergrund ist der aktuelle Aufruf der Grünen gemeinsam mit der IG-Metall-Vorsitzenden Christiane Brenner zur Aufweichung der Schuldenbremse schlicht verantwortungslos.

Das, was wir im Jahreswirtschaftsbericht nun schwarz auf weiß nachlesen können, ist kein Schicksalsschlag oder Zufall. Es ist die Konsequenz eines wirtschaftspolitischen Irrwegs und falscher Priorisierung. Quantitatives Wirtschaftswachstum solle nicht mehr das vorrangige Ziel der Wirtschaftspolitik sein, verkündete Robert Habeck bereits zum Jahreswirtschaftsbericht 2022. Gesellschaftlicher Wohlstand könne sich besser anhand anderer Kriterien beurteilen lassen. Selbstverständlich ist es vernünftig, sich nicht nur auf das BIP zu konzentrieren, sondern auch darauf, unter welchen Umständen es geschaffen wird. Doch hier ist das Gleichgewicht komplett verloren gegangen. Für jeden guten Fußballclub ist es fraglos wichtig, ein schönes Trikot und eine leckere Stadionwurst zu haben, aber am Ende geht es darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Punkte auf die Tabelle kommen. Sonst droht der Abstieg.

Deshalb müssen wir dringend zu dem zurückkehren, was Walter Eucken zu einem der Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft erhoben hat  - Konstanz in der Wirtschaftspolitik.  Dazu gehört an erster Stelle, dass sich eine Wirtschaftspolitik auch klar zum Ziel des Wirtschaftswachstums bekennt. Ansatzpunkte zum Lösen von Wachstumsbremsen gibt es reichlich, vom Bürokratieabbau über die Ausweitung des Energieangebotes und der Senkung der Steuern- und Abgabelast, bis zur Ertüchtigung der Infrastruktur und der Stärkung von Arbeitsanreizen. Zuerst muss es jedoch darum gehen, dem unübersehbaren Vertrauensverlust entgegenzuwirken. Indikatoren wie der Economic Policy Uncertainty Index sind für Deutschland zuletzt sprunghaft gestiegen und liegen deutlich über dem europäischen Wert. „Die Politikunsicherheit in Deutschland ist derzeit so hoch wie in Großbritannien im Jahr des Brexit“, warnt etwa auch Ifo-Präsident Clemens Fuest. Es wäre deshalb ein glaubwürdiges Signal, wenn die Bundesregierung versichern würde, dass neue Gesetzesentwürfe, nicht nur wie im Koalitionsvertrag verankert einem Klimacheck unterzogen werden, sondern künftig auch kritisch auf ihre Auswirkungen auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit geprüft werden. 


Lesen Sie auch die Kolumne vom 21.02.2024.