Cookie-Einstellungen

WR-Info 21.02.2024
Drucken

Standpunkt-Steiger: Wirrungen der Ampel-Koalition

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Bei nahezu jeder gemeinsamen Sitzung müsse die FDP den Ampel-Koalitionspartnern aufs Neue die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erklären. Mit dieser entnervten Aussage offenbarte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schon vor einigen Tagen einen bemerkenswerten Einblick in das Innenleben der Ampel-Koalition. Wer diese Beschreibung für eine Zuspitzung oder Übertreibung hielt, wurde durch das harte Ringen um Formulierungen und Prioritäten des Jahreswirtschaftsberichts eines besseren belehrt. Bis zum Schluss waren zahlreiche Passagen strittig gestellt und es gab einen veritablen Richtungsstreit über die grundlegenden wirtschaftspolitischen Leitplanken der Regierung.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck drängte weiterhin auf einen Brachialkeynesianismus, gezielte staatliche Förderung von Branchen und neue Sondervermögen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wehrte sich mit aller Kraft und letztlich erfolgreich gegen die Formulierung „Stärkung von Arbeitsanreizen“, die dem Bürgergeld gezielt etwas mehr „Fordern und Fördern“ zufügen sollte. Und Bundesfinanzminister Christian Lindner konnte zumindest die Begriffsverenkung „transformative Angebotspolitik“ aus dem Bericht verbannen. Die fehlende Einigkeit ist jedoch fatal: Jeder Tag, der ohne massive Neuausrichtung und entschlossene Reformpolitik vergeht, treibt Investitionen vom Standort Deutschland weg und erhöht letztlich die Kosten, um die Konsequenzen  des aktuellen Handelns zu neutralisieren.

Ein geradezu erschreckendes Beispiel, wie ignorant mit der augenscheinlichen Erosion der Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes umgegangen wird, lieferte der ehemalige Grünen-Landesminister Jan Philipp Albrecht. „Berlin direkt“-Moderatorin Andrea Maurer hatte gesagt, der Ausstieg aus der Kernkraft „ist auch ein Grund, warum sich die Lage der deutschen Wirtschaft verschärft hat, warum der Wohlstand schwindet und die Wut auf den grünen Wirtschaftsminister wächst“. Darauf polterte Albrecht, dass ZDF müsse entweder Fakten vorlegen, dass durch den Atom-Ausstieg der Wohlstand hierzulande schwinde oder „diese unsägliche Aussage korrigieren.“ Auf die bedenkliche Selbstwahrnehmung als Wahrheitspolizei wollen wir an dieser Stelle gar nicht eingehen, auf den inhaltlichen Kern dagegen schon.  

Die Summe aller Unternehmen bildet den Kapitalstock einer Volkswirtschaft. Wenn ich Kraftwerke abschalte, wird der Kapitalstock kleiner und der Wohlstand sinkt. Das ist so trivial wie eindeutig. Die Aussage der ZDF-Moderatorin ist also schon in der ersten Ableitung vollkommen unzweifelhaft. Doch es lohnt sich auch die zweite Ableitung anzusehen – die wirtschaftlichen Implikationen. In ausnahmslos jeder aktuellen Unternehmensumfrage werden hohe Energiekosten und fehlende Energiesicherheit als fundamentale Standortnachteile angegeben.  Prof. Veronika Grimm vom Sachverständigenrat oder auch das ifo-Institut haben frühzeitig die preissenkende Wirkung ausgerechnet,  die ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke haben würde. Auch die Experten aus dem Bundeswirtschaftsministerium selbst, stellten diese Preiseffekte heraus. Gehandelt wurde anders und die Folgen manifestieren sich längst in harten Zahlen und konkreten Investitionsentscheidungen. In Deutschland hatten wir zuletzt Nettoabflüsse von Unternehmenskapital in dreistelliger Milliarden-Höhe pro Jahr. Frankreich verzeichnet dagegen einen Zufluss von 50 Milliarden Dollar. Der Jahreswirtschaftsbericht offenbart nun, dass diese Entwicklungen nicht nur dramatischen Einfluss auf die aktuellen Konjunkturzahlen haben, sondern insbesondere auch das langfristige Potenzialwachstum Deutschlands reduzieren.

Man kann zu Kernenergie unterschiedlicher Meinung sein. Die Auswirkungen und wirtschaftlichen Folgen eines Handelns auszublenden, zerstört jedoch Vertrauen und wird einen am Ende ohnehin einholen. Der große österreichische Ökonom Eugen Böhm von Bawerk stellte schon 1914 heraus, dass die Politik nicht ökonomische Gesetze ignorieren kann, ohne dass sich dies später als extrem kostspielig erweist. Gerade in diesen Tagen erleben wir, wie die Folgewirkungen von ideologischem Überschwang, moralischen Imperativen und fahrlässiger Illusion in der Realität mit harter Offenheit zutage treten. Eine Politik, die permanent gegen ökonomische Gesetze und damit gegen menschliche Grundbedürfnisse regiert, zieht am Ende immer den Kürzeren – sie stellt Wunsch vor Wirklichkeit. Die Ampel steht in der großen Verantwortung, dass der Jahreswirtschaftsbericht nicht zum bloßen Jahreswunschbericht wird.