"Wärmepumpen mit Strom aus Kohlekraftwerken zu betreiben, ist widersinnig"
energate: Herr Steiger, Deutschland ist ohne größere Probleme bei der Strom- und Gasversorgung durch den Winter gekommen. Wie bewerten Sie die Versorgungssituation?
Steiger: Die Versorgungssituation bleibt angespannt, was sich auch in den hohen Strom- und Gaspreisen äußert. Der Markt hat funktioniert: Alle möglichen Lieferwege sind aktiviert worden, die Bundesregierung hat mit der schnellen Genehmigung der LNG-Terminals viel dazu beigetragen und letztlich hatten wir auch Glück, weil der Winter wettermäßig verhältnismäßig mild verlaufen ist.
energate: Befürchten Sie Engpässe im kommenden Winter und welche Vorbereitungen müssen getroffen werden?
Steiger: Der nächste Winter ist nicht vergleichbar mit dem jetzt zu Ende gegangenen: 2022 haben wir bis zum Lieferstopp noch große Mengen Gas aus Russland erhalten, die es in diesem Jahr nicht geben wird. Außerdem ist der LNG-Weltmarkt unberechenbar. Wenn in China die Konjunktur nach dem Ende der Corona-Maßnahmen wieder boomt, wird es dort eine wachsende Nachfrage geben, die uns Schwierigkeiten machen kann. Und nicht zuletzt wird uns auch die gesicherte Leistung aus den Kernkraftwerken fehlen, wenn diese Mitte April tatsächlich abgeschaltet werden. In einem möglicherweise strengen Winter kann dies die Versorgungssicherheit gefährden. Es ist unverantwortlich, eine Industrienation wie Deutschland sehenden Auges in eine solch gefährliche Situation zu bringen.
energate: Die Bundesregierung will die Investitionsbedingungen für Gaskraftwerke verbessern. Welche Impulse sind aus Ihrer Sicht notwendig?
Steiger: Durch die sprunghafte Energiepolitik der letzten Jahre hat das Vertrauen der Investoren stark gelitten. Die unselige Erlösabschöpfung war nur der letzte Baustein in einer langen Kette von Verunsicherungen. Wer soll privates Kapital einer Politik anvertrauen, die Renditen geradezu verunglimpft? Die Bundesregierung wird, um den Bau von Gaskraftwerken anreizen zu können, Elemente eines Kapazitätsmarktes einrichten und Sicherheiten bieten müssen, dass solche Regeln nicht nach politischer Opportunität kurze Zeit später wieder kassiert werden können.
energate: Aktuell wird intensiv über das Gebäudeenergiegesetz diskutiert, der Wirtschaftsrat kritisiert die Folgen der Pläne für die Wohnungswirtschaft. Welche Befürchtungen haben Sie?
Steiger: Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass auch im Wärmemarkt eine Dekarbonisierung erforderlich ist. Und es gab bislang in Deutschland und Europa einen Konsens darüber, dass mit der beschlossenen Ausweitung des Emissionshandels auf den Wärmemarkt und der vorbereitenden CO2-Steuer in Deutschland ausreichende politische Instrumente geschaffen worden sind, um die Dekarbonisierung auf eine effiziente Art und Weise zu erreichen. Die jetzt von Bundeswirtschaftsminister Habeck geforderten Verbote von Gasheizungen konterkarieren die bisherige Politik völlig. Sie würden zu unsinnigen, weil viel zu teuren und für die Hauseigentümer oft nicht mehr leistbaren Sanierungsmaßnahmen zwingen, anstatt über den Emissionshandel einen marktgesteuerten effizienten Ausstiegspfad zu gewährleisten.
energate: Was sind Ihre Alternativen für die Wärmewende?
Steiger: Wie gesagt, wir bevorzugen eine Steuerung über den Emissionshandel. Damit ist auch Technologieoffenheit gewährleistet. Aktuell ist es doch geradezu widersinnig, Gasheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen und den dadurch entstehenden Strommehrbedarf durch Kohlekraftwerke zu decken, während klimaneutrale Kernkraftwerke abgeschaltet werden.
energate: Im Fokus steht aktuell auch das Thema Verbrenner-Aus. Das Bundesverkehrsministerium hat Sonderregeln für E-Fuels erwirkt. Wie stehen Sie dazu?
Steiger: Das Verkehrsministerium und die EU-Kommission haben sich jetzt darauf geeinigt, eine neue Fahrzeugkategorie - E-Fuels-Only - zu schaffen und diese anschließend in die Flottengrenzwertregulierung zu integrieren. Wir unterstützen diesen Schritt ausdrücklich, da er die Technologieoffenheit wahrt und zugleich die Grundlage für Investitionen in klimaneutrale Kraftstoffe schafft, und haben lange dafür in der Politik geworben. E-Fuels sollen nicht in Europa hergestellt werden, wo der grüne Strom bereits knapp ist. Außerhalb Europas gibt es viel größere Potenziale an Wind- und Sonnenenergie, die die Produktion von E-Fuels günstiger machen und perspektivisch ein Angebot zu wettbewerbsfähigen Preisen ermöglichen.
energate: Deutschland und Europa müssen sich bei Zukunftstechnologien gegen die Konkurrenz aus China und USA, Stichwort IRA, behaupten. Wie sollte die Reaktion aus Sicht des Wirtschaftsrates aussehen?
Steiger: China und die USA sind starke Mitspieler in diesem Bereich, aber die Europäische Union muss sich auch nicht verstecken. Die im Zusammenhang mit dem IRA genannten 370 Milliarden US-Dollar an Subventionen erstrecken sich über zehn Jahre und sind mit dem, was die europäische Politik investiert, durchaus vergleichbar. China ist ein anderes Thema, hier sind die staatlichen Subventionen häufig durch geostrategische Interessen der Kommunistischen Partei motiviert, die wir nicht unterschätzen dürfen.
Das Hauptproblem in Europa ist nicht fehlendes Geld, sondern ein Zuviel an Bürokratie, eine zu starke Gängelung der Unternehmen durch Verbote und Gebote sowie zu komplizierte Genehmigungsverfahren bei Industrieansiedelungen und Fördermaßnahmen. Wir benötigen für die Energiewende eine Vielzahl an technischen Innovationen. Der Staat muss daher innovative Unternehmen unkompliziert unterstützen, anstatt sie mit überzogenen Regularien auszubremsen. Wir haben in Deutschland und Europa hervorragende Wissenschaftler und Ingenieure, das Potenzial ist da, die Politik muss es entfesseln, anstatt zu bremsen.
energate: Und wie?
Steiger: Der IRA muss also zum Anlass genommen werden, um Standortpolitik zu betreiben, nicht Industriepolitik. Deutschland und Europa dürften ihn nicht als Bedrohung instrumentalisieren und für eine fragwürdige interventionistische Industriepolitik nutzen. Vielmehr muss der IRA ein Anstoß sein, um das Kernproblem Europas klar zu adressieren: die zunehmend mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der EU im internationalen Vergleich. Zudem ist der Faktor Verlässlichkeit bei jeder Investitionsentscheidung eine sehr relevante Größe. Dies sollte insbesondere die deutsche Politik berücksichtigen.
Die Fragen stellte Karsten Wiedemann.