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31.08.2022
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ÖPNV-Debatte: Wie schafft man bedarfsgerechte, ressourcenschonende und bezahlbare Mobilitätsangebote?

Wirtschaftsrat fordert ehrliche Bestandsaufnahme und tragfähige Lösungen
©Adobe Stock - nonglak

Ende August lief das Experiment „9-Euro-Ticket“ aus. Das Ticket sollte die Bevölkerung angesichts massiv steigender Lebenshaltungskosten entlasten und insbesondere Pendlerinnen und Pendler zum Umstieg auf den ÖPNV motivieren – um vor allem auch CO2-Emissionen zu reduzieren. Der Wirtschaftsrat fordert nun eine ehrliche Bestandsaufnahme und darauf aufbauend tragfähige Lösungen, die eine bedarfsgerechte, ressourcenschonende und bezahlbare Mobilität sicherstellen.

Klar sein dürfte, eine identische Fortführung des „9-Euro-Tickets“ kann es allein schon aus Kostengründen nicht geben. Immerhin hat das dreimonatige Experiment der Ampel-Koalition zusätzliche Bundeszuschüsse von insgesamt 2,5 Mrd. Euro produziert – zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Milliarden-Zuweisungen aus Steuermitteln. Es ist daher sehr davor zu warnen, in einen politischen Unterbietungswettbewerb einzusteigen, wie viel ein Monats- oder Jahresticket kosten „darf“ – vor allem auch, weil die anstehenden finanziellen Herausforderungen für den ÖPNV enorm sein werden: vom politisch gewollten Austausch des Fuhrparks, etwa dem Umstieg vom Diesel- auf den in der Anschaffung wie im Betrieb teureren E-Bus, über massive und bislang nicht eingepreiste Energiekostensteigerungen bis hin zum dringend erforderlichen Ausbau sowie der Sanierung der Infrastruktur. 

Auch hat das Experiment „9-Euro-Ticket“ eines sehr schnell gezeigt: Aufgrund seiner starren Strukturen ist das derzeitige ÖPNV-System nicht flexibel genug, um mit starken Schwankungen umzugehen. Zugleich wurden die wesentlichen Defizite des aktuellen ÖPNV schonungslos offengelegt: sowohl in der Infrastruktur als auch im Betrieb und nicht zuletzt beim Stand der Digitalisierung.

Darauf aufbauend lassen sich drei Aufgabenstellungen ableiten

  • Mitteltransparenz herstellen: Mittlerweile steuern die Bundesländer, in deren Zuständigkeit der ÖPNV fällt, deutlich weniger Mittel als der Bund zur Finanzierung des ÖPNV bei und geben zudem zur Verfügung gestellte Bundesmittel zugleich nicht immer vollständig für den öffentlichen Nahverkehr aus. So mutet die derzeit von den Ländern erhobene pauschale Forderung nach (noch) mehr Bundesmitteln etwas befremdlich. Mehr Transparenz in der Mittelverwendung ist somit Voraussetzung für die grundsätzliche Beantwortung der Finanzierungsfrage.
  • Strukturen reformieren: Für mehr Effizienz und innovative Lösungen müssen die Verkehrsverbünde ihr bisheriges Silodenken überwinden, zusammenarbeiten, in größeren Räumen denken und sich ggf. auch zusammenschließen. Gleichzeitig müssen die Aufgabenträger (Bundesländer, Landkreise, Städte) private Mobilitätsanbieter in gleicher Weise als Problemlöser und damit als Akteure und Anbieter begreifen. Der Wettbewerb als bereits praktiziertes zentrales Ordnungsprinzip im Schienenpersonennahverkehr muss konsequent auf den gesamten ÖPNV ausgeweitet werden. Das bedeutet dann auch, dass Verkehrsunternehmen in öffentlicher Trägerschaft nicht mehr zwingend die alleinige Vorherrschaft der Mobilitätsbereitstellung haben. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne einer bedarfsgerechten Mobilitätsbereitstellung sicherstellen. Damit wird das gesamte System resilienter und eine bedarfsgerechte und effiziente Bereitstellung von Verkehrsleistung an messbaren Kriterien möglich.
  • Nutzerperspektive einnehmen: Soll der Nahverkehr wachsen, muss er vor allem auch niederschwellige Angebote (Taktung, unkomplizierte Tarifstrukturen, digitale Vernetzung) unterbreiten. Die Bemühungen zur Attraktivitätssteigerung dürfen sich dabei nicht allein auf die Ballungsräume konzentrieren, sondern müssen auch den ländlichen Raum im Blick behalten. Dazu ist es notwendig, dass sich Bahn-, Bus- und Fahrdienstbetreiber sinnvoll ergänzen (dürfen).

Eines indes kann schon jetzt festgehalten werden: Das „9-Euro-Ticket“ hat dazu beigetragen, dass das Megathema Mobilität in der Breite der Gesellschaft und der Politik endlich angekommen ist. Dies bietet die große Chance für eine Neugestaltung unseres Mobilitätssystems mit einer ideologiefreien Zusammenführung von Individual- und öffentlichem Verkehr – für optimale Mobilitätsangebote im Sinne des Klimaschutzes.