Bürokratieabbau, Datennutzung und Gesundheitsbildung sind wesentlich für eine bessere Prävention von Krankheiten

Die hochkarätigen Referenten waren:
- Professor Hendrik Streek MdB: Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Bonn
- Joachim Gemmel: CEO der Asklepios Kliniken GmbH & Co. KG, Mitglied im Präsidium des Wirtschaftsrates, Vorsitzender der Bundesfachkommission Gesundheitswirtschaft
- Jochen Körner: Vorsitzender der Geschäftsführung der Ecclesia Holding GmbH
- Dr. Florian Reuter: Jurist, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung
- Gernot Blümel: Geschäftsführer des Mare Techno Parks, ehemaliger Bundesminister in Österreich
Die Veranstaltung fand unter der professionellen Moderation durch Dr. Michael Müller, Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Geschäftsführer der Medizinisches Versorgungszentrum Labor 28 GmbH, statt.
Die Referenten beleuchteten zentrale Herausforderungen und Perspektiven für eine zukunftsfähige Gesundheitsvorsorge in Deutschland und diskutierten, wie Prävention effizienter, digitaler und gesellschaftlich akzeptierter gestaltet werden kann – mit Blick auf internationale Vorbilder und Innovationsprojekte.
Gesundheitskompetenz und Impfquoten: Frühe Prävention stärken
Ein zentrales Thema war die Verbesserung der Gesundheitskompetenz bereits im Kindes- und Jugendalter. Insbesondere bei der HPV-Impfung bestehen in Deutschland erhebliche Defizite – das angestrebte Ziel von 90 Prozent Impfquote ist weit entfernt. Eine Ausweitung der U-Untersuchungen und gezielte Bildungsmaßnahmen in Schulen wurden als wichtige Schritte zur Steigerung der Gesundheitsvorsorge identifiziert.
Nudging, Anreize und Verhältnisprävention: Mehr als finanzielle Belohnung
Verhaltens- und Verhältnisprävention müssen Hand in Hand gehen. Während gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen – etwa durch bessere Kantinenangebote – auf gemischte Resonanz stoßen, reichen finanzielle Anreize allein nicht aus, um Verhaltensänderungen herbeizuführen. Der Appell: Prävention muss attraktiv und lebensnah vermittelt werden, beispielsweise durch Gamification und individuell zugeschnittene Programme.
Sekundär- und Tertiärprävention: Klinikalltag als Chance nutzen
Trotz enormer Gesundheitsausgaben verzeichnet Deutschland hohe Sterblichkeitsraten bei Zivilisationskrankheiten. Ansätze wie physiotherapeutische Checks im Klinikalltag zeigen, dass Prävention auch jenseits der Primärversorgung ansetzen kann. Internationale Beispiele wie Japans verpflichtende Bauchumfangmessung ab 40 Jahren mit begleitenden Programmen unterstreichen das Potenzial struktureller Präventionsmaßnahmen.
Digitalisierung und Datenschutz: Der Schlüssel zur besseren Steuerung
Eine effiziente Präventionspolitik erfordert valide Daten. Die geplante Weiterentwicklung des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes und das Gesundheitspanel des Robert Koch-Instituts sollen hier neue Wege eröffnen. Gleichzeitig wurde der Ruf nach einer Opt-out-Kultur laut, um Gesundheitsdaten für Prävention und Forschung besser nutzbar zu machen – unter Wahrung des Datenschutzes und mit gesellschaftlicher Akzeptanz.
Österreich als Vorbild: Innovation durch KI und Pilotprojekte
Österreich zeigte mit Pilotprojekten zur Früherkennung seltener Krankheiten mittels KI und finanziellen Anreizen für Vorsorgeuntersuchungen innovative Ansätze. Besonders der geplante Tech Park für KI in der digitalen Medizin könnte als Blaupause dienen, um die Lücke zwischen Technologieentwicklung und klinischer Praxis zu schließen.
Belohnung, Eigenverantwortung und Finanzierung
Belohnungssysteme wie Bonusprogramme können Menschen zu gesundem Verhalten motivieren – sofern sie über ausreichende Gesundheitskompetenz verfügen. Allerdings profitieren oft nur bereits gesundheitsaffine Personen. Diskutiert wurde auch eine moderate Eigenbeteiligung an Gesundheitskosten, während steuerliche Maßnahmen wie Zuckersteuern kritisch gesehen wurden.
Betriebliche Gesundheitsförderung: Nachhaltigkeit statt Strohfeuer
Betriebliche Gesundheitsangebote verlieren oft schnell an Attraktivität, wenn sie nicht kontinuierlich verankert werden. Notwendig sind langfristige, ganzheitliche Modelle und weniger projektbezogene Einzelmaßnahmen. Ein Umdenken weg von der „Reparaturmedizin“ hin zu präventiven Strukturen wurde eingefordert.
Strukturwandel und Rollenverteilung
Ein grundlegender Strukturwandel im Gesundheitssystem wurde mehrfach betont: Weg von akuter Krankheitsbehandlung hin zu Prävention, Eigenverantwortung und datenbasierter Steuerung. Die private Krankenversicherung sieht sich hier als aktiver Partner – etwa durch Bonifizierung, Beitragsrückerstattungen und Bereitschaft zur Finanzierung neuer Präventionsleistungen.
Psychische Gesundheit: Zugang erleichtern, Tabus abbauen
Prävention darf nicht beim körperlichen Wohl enden. Psychische Belastungen nehmen zu, während der Zugang zu Hilfsangeboten oft zu bürokratisch oder stigmatisiert ist. Die Referenten sprachen sich für niedrigschwellige Angebote, mehr Sensibilisierung und eine Entkopplung von Prävention und Bestrafung aus.
Offene Baustellen: Wo weiterer Handlungsbedarf besteht
Handlungsbedarf besteht insbesondere aufgrund folgender zentraler Lücken:
- fehlende wirtschaftliche Evaluation der bisherigen Präventionsmaßnahmen
- Rechtsunsicherheit bei Gesundheitsdaten, keine klaren Zeitpläne zur Einführung eines funktionierenden Datenpanels
- keine konkreten Umsetzungspläne für die Gesetzesreform, was den Fortschritt verzögert
- zu niedrige Impf- und Vorsorgequoten bei gleichzeitig fehlenden Maßnahmen zur Förderung von Beteiligung und Akzeptanz
- unzureichender Zugang zu psychischen Hilfsangeboten, fehlende Ressourcen und Zuständigkeiten
Forderungen an die Politik: Bürokratieabbau, Datennutzung und Gesundheitsbildung
Zum Abschluss wurden folgende konkrete Handlungsempfehlungen formuliert:
- Überarbeitung des Präventionsgesetzes, insbesondere mit Blick auf Bürokratieabbau, Transparenz und digitale Steuerung
- Förderung der Gesundheitskompetenz, besonders im Schulalter durch praktische und theoretische Bildungsmaßnahmen
- Ausbau präventiver Untersuchungen und deren bessere Evaluation
- Entwicklung einer Opt-out-Kultur für Gesundheitsdaten zur wirksameren Evaluation von Maßnahmen
- Gamification-Ansätze zur Steigerung der Präventionsbereitschaft
- Aufbau regionaler Versorgungsnetzwerke mit eigenem Budget zur Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung
- Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) durch bessere Dateninfrastruktur und gezielte Förderprogramme
- niedrigschwelliger Zugang zu psychologischer Hilfe und klare Verantwortlichkeiten zur Reduktion psychischer Belastung
Fazit:
Die Diskussion zeigte: Prävention muss strukturell, datengestützt und
gesellschaftlich getragen gedacht werden. Ohne digitale Innovation, einen
klaren rechtlichen Rahmen und eine Stärkung der Gesundheitskompetenz –
insbesondere der jungen Generation – droht Deutschland, im internationalen
Vergleich weiter zurückzufallen. Jetzt braucht es Mut zur Umsetzung.
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