Das Deutschlandticket – ein Projekt im Rohbau
Zu den vielen Großbaustellen, die die Ampel eröffnet, dann nur unkoordiniert bedient hat und nun im laufenden Betrieb im Rohbau zurücklässt, zählt auch das Deutschlandticket. Grundsätzlich ist der Ansatz zur Etablierung eines niedrigschwelligen ÖPNV-Angebots mit einem einfachen Ticketsystem und attraktiven Preisangeboten für die Nutzer zu begrüßen und vor allem zu unterstützen. Dies entspricht einer langjährigen Forderung des Wirtschaftsrates. Doch gerade in den zurückliegenden Wochen traten die Geburtsfehler des Deutsch-landticktes immer deutlicher zutage: Seinerzeit völlig überstürzt eingeführt, wurde die Ausfinanzierung in die Zukunft vertagt. Vor allem jedoch wurde die für ein solches ÖPNV-Konzept erforderliche Neugestaltung der systemischen Strukturen fahrlässig ignoriert. Die politischen Akteure in Bund und Ländern müssen endlich begreifen: Deutschland braucht eine große ÖPNV-Reform. Ansonsten rutscht der öffentliche Nahverkehr immer tiefer ins finanzielle Defizit und wird auf immer weiter steigende Subventionierungen durch die Steuerzahler an-gewiesen sein.
Bereits vor Einführung des Deutschlandtickets deckten die Erlöse aus dem Verkauf von Fahr-scheinen nur etwa 58,5 Prozent der Betriebskosten – in einer Situation, in der die grundsätzlichen finanziellen Herausforderungen für den ÖPNV gigantisch sind. Diese reichen vom politisch gewollten Austausch des Fuhrparks mit einem Umstieg vom Diesel- auf den in der Anschaffung wie im Betrieb teureren E-Bus über massive Energiepreissteigerungen und deutlich anziehende Tarifabschlüsse bis hin zur dringend erforderlichen Sanierung der baulichen Infrastruktur von Gleisen, Wartehäusern, Aufzügen oder Rolltreppen. Rechnet man die Infra-strukturkosten mit ein, liegt der Kostendeckungsgrad bei nur 15 Prozent, in Städten ohne U- und Straßenbahnnetz bei 20 bis 24 Prozent. Das bisherige ÖPNV-System wird zur ernsten Belastung für den Staatshaushalt, zumal die bis dato übliche Querfinanzierung aus Erträgen der kommunalen Energieversorger nicht mehr funktioniert. Wird hier nicht Grundlegendes verändert, wird es unweigerlich zu Einschränkungen im Regelbetrieb kommen und ein Aus-bau des Angebots in weite Ferne rücken.
Klar ist: Ein Leistungsangebot für den getakteten Verkehr kostet Geld, aufgrund der hohen Vorhaltungskosten viel Geld. Die Bereitstellung von ÖPNV-Leistungen wird damit auch weiterhin hoher Zuweisungen aus den öffentlichen Haushalten bedürfen – allerdings mit deutlich mehr Kosten- und Finanzierungstransparenz. Die überwiegende Zahl der Bundesländer leitet die durch den Bund für den Nahverkehr zur Verfügung gestellten Finanzmittel nur in den seltensten Fällen vollständig in die Finanzierung des ÖPNV. Dies hat zuletzt auch der Bundesrechnungshof kritisiert. Es braucht hier dringend eine Zweckbindung. Ein anderer Aspekt betrifft die Art der Rechnungslegung. Aufgrund oftmals fehlender Doppik herrscht weitgehende Unkenntnis über die realen Kosten des ÖPNV. Nur durch eine höhere Kostenklarheit kann es zu einer effizienteren Verwendung der Steuermilliarden im System ÖPNV kommen. Denn dann würde deutlich werden, zu welchen Entgelten Mobilitätsleistungen angeboten werden müssten und in welcher Höhe staatliche Zuweisungen tatsächlich erforderlich wären.
Notwendig ist, dass sich Bahn-, Bus- und Fahrdienstbetreiber sinnvoll ergänzen. Die erweiterten Geltungsbereiche durch das Deutschlandticket erfordern dies umso mehr. Hierfür müssen jedoch die Verkehrsverbünde ihr eigenes Kirchturmdenken ablegen. Sie müssen zusammenarbeiten, in größeren Räumen denken, um wirtschaftlicher zu werden, um Skaleneffekte zu heben. Vor allem müssen die Aufgabenträger, Bundesländer, Landkreise und Städte auch private Mobilitätsanbieter als Problemlöser begreifen. Gerade diese Unternehmen haben enormes Know-how, mit vorhandenen Mittel das qualitativ wie quantitativ hochwertigste, aber nichtsdestotrotz wirtschaftlichste Verkehrsangebot zu realisieren. Die Logistik liefert hierfür eine Blaupause. Güter reisen von A nach B, und die Logistiker organisieren den kompletten Prozess unter Optimierung vorhandener Transportkapazitäten. Ein funktionierender Markt sorgt für Zuverlässigkeit und bestmögliche Preise. Übertragen auf den Nahverkehr bietet dies zugleich die Chance, neue Wertschöpfung in einem bislang zuschussbedürftigen Markt zu generieren.
Fazit: Ein ÖPNV-Ticket, das wenig kostet, hilft wenig, wenn der Bus nur zweimal am Tag fährt. Auch kann der Staat nicht alles über Zuschüsse richten, vor allem wenn es um die reinen Betriebskosten geht. Ansonsten bleibt der Ausbau des Angebots auf der Strecke – und der wird dringend gebraucht. Wer eine Mobilitätswende voranbringen will, der muss den Markt für neue Anbieter öffnen, koordinierte Verbindungen ermöglichen, finanzielle Spiel-räume für Investitionen in die Infrastrukturen schaffen. Vor allem aber muss transparent werden, wo und wie hart erarbeitete Steuergelder effizient eingesetzt werden.
Für die anstehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets muss der Grundsatz gelten: Geld nur gegen Reformen!