Warum Deutschland bei der Digitalisierung hängen bleibt
Deutschland steht vor einer zentralen Herausforderung: Es mangelt nicht an Ideen oder Wissen, sondern an der Umsetzung. Die digitale Transformation, die in vielen anderen Ländern bereits greifbare Fortschritte zeigt, bleibt bei uns oft in der Planungsphase stecken. Professor Manfred Hauswirth, Direktor am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS), brachte es in einer jüngsten Diskussion der Bundesarbeitsgruppe Digitale Infrastruktur treffend auf den Punkt: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem.“
Lernen aus der Praxis, nicht aus der Theorie
Hauswirth berichtete, dass er an einer Klausurtagung in München teilgenommen und dabei gezielt die digitale Infrastruktur getestet habe. Ein simpler Fakt – die Teilnahme über das Mobilnetz – verdeutlicht, wie oft pragmatische Ansätze in den Vordergrund rücken müssen, um echte Fortschritte zu machen. Doch genau diese Pragmatisierung fehlt vielfach. Statt konkrete Pilotprojekte effizient umzusetzen, verlieren sich Verantwortliche in endlosen Diskussionen über Standards und Zuständigkeiten.
Dabei gibt es bereits bewährte Ansätze. Dezentrale und skalierbare Systeme – etwa durch Edge-Cloud-Technologien – bieten Lösungen, die sowohl bandbreiteneffizient als auch latenzarm sind. Gerade für industrielle Anwendungen könnten sie eine Revolution bedeuten. Die German Edge Cloud dient hier als Vorzeigeprojekt, das nicht nur in Deutschland, sondern auch international Aufmerksamkeit erregt hat.
Wettbewerbsfähigkeit durch Offenheit und Standards
Deutschland muss aus Sicht der Bundesarbeitsgruppe endlich herstellerunabhängige und interoperable Systeme fördern. Open-Source-Lösungen könnten dazu beitragen, zentrale Infrastrukturen zu schaffen, die allen Marktteilnehmern offenstehen. Ein positives Beispiel dafür ist das World Wide Web, das durch seine offenen Standards eine Grundlage für globale Innovation gelegt hat.
Der Staat als Bremse der Digitalisierung
Ein besonders eklatantes Beispiel für Deutschlands Umsetzungsproblem zeigt sich in der Verwaltung. Genehmigungsprozesse, die andernorts innerhalb weniger Tage abgeschlossen werden, ziehen sich hierzulande über Monate oder gar Jahre hin. Der Wirtschaftsrat verweist auf eine Dokumentation, die den Genehmigungsprozess für den Transport von Rotorblättern für Windkraftanlagen untersuchte: Während in den Niederlanden eine voll digitalisierte Abwicklung binnen fünf Tagen möglich ist, dauert dieser Prozess in Deutschland oft ein Jahr – und das papierbasiert. Die Konsequenzen sind verheerend: Verzögerungen kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern auch das Vertrauen der Wirtschaft sowie der Bürgerinnen und Bürger in den Staat. Die Digitalisierung der Verwaltung ist daher keine lästige Pflichtübung, sondern eine Grundvoraussetzung, um den Wirtschaftsstandort Deutschland konkurrenzfähig zu halten.
Attraktivität für Fachkräfte steigern
Der Fachkräftemangel ist ein weiteres Hindernis. Doch statt auf langfristige Programme zu setzen, fehlt es an innovativen Ansätzen, um junge Talente für die Arbeit in der digitalen Infrastruktur zu begeistern. Testprojekte in Bereichen wie Smart Cities oder Industrie 4.0 könnten hier Abhilfe schaffen. Der Erfolg solcher Projekte in Berlin zeigt, dass sie nicht nur Fachkräfte anziehen, sondern auch als Leuchtturm für andere Regionen dienen können.
Rahmenbedingungen verbessern
Der Appell der Bundesarbeitsgruppe ist eindeutig: „Wir wissen alles, wir jammern, aber wir tun zu wenig.“ Die Politik muss endlich die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um den Worten auch Taten folgen lassen zu können. Dazu gehören eine verbesserte Registermodernisierung, eine effektivere Datenvernetzung und vor allem der Mut, bestehende Strukturen aufzubrechen. Nur so kann Deutschland die Chancen der digitalen Transformation nutzen und seinen Platz an der Spitze der Wirtschaftsnationen behaupten.