Wirtschaftsrat fordert schnelle Lösungen zur Stabilisierung der Versorgung mit Arzneimitteln
Der Wirtschaftsrat fordert den Pharmastandort Deutschland wieder attraktiver zu machen. „Schluss mit halbherzigem Stückwerk und umsetzungsfeindlichen, kleinteiligen und kostenintensiven Regelungen für den Arzneimittelmarkt. Wir müssen die Versorgung mit Medikamenten vom Arzneimittelhersteller bis zu den Apothekern angemessen wieder angemessen entlohnen“, fordert Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates.
Trotz großflächiger Kritik und Vorwarnungen setzt die Bundesregierung weiter große Hoffnungen und Erwartungen in das Lösungspotential des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) zur Beseitigung der eklatanten Arzneimittelengpässe in deutschen Apotheken und Kliniken. Während anfänglich noch die erhöhte Nachfrage aufgrund von Erkältungswellen als Erklärungsansatz für Arzneimittelengpässe herhalten musste, ist diese Argumentationslinie angesichts sich verschärfender Lieferengpässe und -ausfälle quer durch das Wirkstoffspektrum demaskiert, angefangen bei A wie Antibiotika über Insuline bis zu Z wie Zytostatika. Nach Angaben des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte lagen Stand Ende Oktober 737 Lieferengpassmeldungen, 42 für versorgungsrelevant eingestufte Wirkstoffe und 108 für versorgungskritisch eingestufte Wirkstoffe vor. Aktuell sind über 450 Arzneimittel nicht lieferbar. Für sechs Wirkstoffe hat das Bundesgesundheitsministerium einen Versorgungsmangel bekannt geben, der bis dato nach andauert, beispielsweise für antibiotikahaltige Säfte für Kinder.
„Das ist nicht zuletzt das Ergebnis jahrelanger Sparmaßnahmen im Generikamarkt, insbesondere aufgrund geltender Rabattvertragsregelungen und der unter anderem hieraus resultierenden Verlagerung der Produktion vieler Wirkstoffe nach Asien. Relevante Antibiotika, wie etwa Cephalosporine, werden nur noch von einer Handvoll Hersteller hergestellt, und zwar ausschließlich in China“, kritisiert Wolfgang Steiger.
Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit, deutschen Pharmaunternehmen oder solchen, die in Deutschland tätig sind, attraktive Anreize zu bieten, um hierzulande zu produzieren und sich langfristig zu etablieren. „Der einstige Forschungs- und Pharmastandort Deutschland droht infolge anhaltender Sparpolitik, verfehlter Kompensationsregelungen, langwieriger Genehmigungsverfahren, hoher Produktionskosten und überbordender Bürokratie seinen letzten Rest an Attraktivität zu verlieren“, warnt Wolfgang Steiger.
„Die medizinische Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaftsstandort Deutschland sind dadurch gleichermaßen stark gefährdet“, betont Wolfgang Steiger. Betroffen sind nicht nur Patienten und Pharmazeutische Unternehmen. Die Situation ist für Praxen, Kliniken und insbesondere Apotheken unhaltbar. Apotheker verbringen inzwischen einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit der Verwaltung des Mangels. Täglich kommen neue Arzneimittel hinzu, die nicht lieferbar sind. Apotheken müssen schnelle Alternativen – so sie denn überhaupt bestehen - finden, zusätzliche Zeit in Patientengespräche investieren, um die Patienten zu den „Ersatzmedikamenten“ zu beraten und Ängste zu nehmen.
Der Bevorratung mit Arzneimitteln in den Apotheken sind finanzielle und nicht zuletzt auch räumlich Grenzen gesetzt. Werden die Toilettenpapierhamsterkäufe während der Corona-Pandemie jetzt die Arzneimittelhamsterkäufe der Zukunft? Gerade chronisch kranke Patienten sprechen ihre Ärzte immer häufiger darauf an, ob sie ihnen nicht mehr oder größere Packungen ihrer Medikamente verordnen können, um auch bei Lieferengpässen bzw. -ausfällen versorgt zu sein. So verständlich der Wunsch aus Patientensicht ist, begibt sich der ihm nachgebende Arzt selbst in Regressgefahr, ist er doch an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden.
„Regelungen zur Verwaltung des Mangels vermögen eben den Mangel zu verwalten. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Das bedeutet: Für pharmazeutische Unternehmen muss es sich wieder lohnen, in Deutschland zu forschen, Arzneimittel zu produzieren und so eine für die Krankenkassen finanzierbare, bedarfsgerechte und dauerhafte Versorgung unserer Patienten sicherzustellen. Das bringt dann auch eine zeitliche, personelle und ökonomische Entlastung der Apotheken, Praxen und Kliniken mit sich“ ist Wolfgang Steiger überzeugt.
Der Wirtschaftsrat fordert mit Nachdruck:
1) Deutschland muss wieder ein attraktiver Pharmastandort werden durch:
- Regulatorische Vereinfachungen und Beschleunigung der Prozesse für Arzneimittelzulassungen und klinische Studien und Forschungsvorhaben
- Schaffung steuerlicher Anreize, z.B. durch wettbewerbsfähige Steuersätze, Einführung attraktiver Steuererleichterungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung
- Investitionen in die Infrastruktur
- Fachkräfteausbildung und -sicherung
- Verbesserung der Erstattungspolitik durch nachhaltige und attraktive Preisgestaltung
- langfristige Planbarkeit
- Förderung von Innovationen
- Förderung der digitalen Transformation
- Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
2) Der Pharmadialog sollte wieder aufgenommen werden. Die betroffenen Akteure sollten einbezogen und eine von allen Akteuren getragene nationale Strategie angestrebt werden.
3) Angemessene Honorierung von Apotheken, insbesondere für das Krisen- und Lieferengpassmanagement und Ausschluss des Haftungsrisikos.
4) Während sich die Rechtslage für wirkstoffgleiche Präparate verbessert hat, bleibt die kritische Situation beim Off-Label-Use unverändert. Ein flexiblerer Umgang mit Off-Label-Arzneimitteln wird gefordert.
5) Schaffung eines europäischen Kooperationsmechanismus, mit dem sich die EU-Länder bei Lieferengpässen von Arzneimitteln gegenseitig unterstützen können.
6) Erarbeitung gesetzlicher Regelungen zur Verhinderung von Dumpingpreisen bei Generika.
„Um die Versorgungslücke in Deutschland zügig und nachhaltig zu schließen und den Pharmastandort Deutschland zu retten, bedarf es dringend eines Umdenkens und der Neustrukturierung des Arzneimittelmarktes und der Arzneimittelpreispolitik“, betont Wolfgang Steiger.