Flucht und Migration in Baden-Württemberg – vor welchen Herausforderungen steht die baden-württembergische Landesregierung?
Seit dem Jahr 2015 findet eine gesteigerte Zuwanderung von Migranten und Flüchtlingen nach Deutschland statt. Belastet sind dabei vor allem die Bundesländer mit ihren zugehörigen Kommunen, die für die Unterbringung, Versorgung und die Integration in die Gesellschaft verantwortlich sind. Der Ukrainekrieg hat die Situation noch einmal verschärft. Gleichzeitig besteht auf dem Arbeitsmarkt ein großer Bedarf an Fachkräften, der laut Politik unter anderem durch Arbeitsmigration gelöst werden soll. Wie sieht die aktuelle Flüchtlings- sowie Migrationspolitik in Baden-Württemberg aus und vor welche Herausforderungen steht die Landesregierung zur Lösung der auftretenden Probleme? Die Sektion Stuttgart begrüßte Marion Gentges MdL, Ministerin der Justiz und für Migration in Baden-Württemberg, zu einem Lunchtalk in der alten Kanzlei in Stuttgart, um diese und weitere Fragen zu diskutieren.
Die Ministerin begann ihre Ausführungen mit der Darstellung der aktuellen Situation im Bundesland. In den letzten Jahren ist die Zahl der Zuwanderung durch Geflüchtete sprunghaft angestiegen. Im Jahr 2022 registrierte das Bundesland insgesamt 28.000 und für das aktuelle Jahr bisher 14.000 Asylbewerber. Dies sind aktuell größere Zahlen als in den vergangenen Jahren zusammen. Dazu kommen noch zusätzlich seit dem letzten Jahr die Flüchtlinge aus der Ukraine, die die Situation weiter verschärfen. Dies subsumiert sich auf eine Anzahl von 178.000 Zugewanderten in das Bundesland, die aus allen Kategorien zusammengesetzt sind. Die Kommunen stehen bei der Unterbringung vor massiven Herausforderungen, da es vielerorts an Unterbringungsmöglichkeiten fehlt, sodass wieder Turnhallen oder weitere öffentlichen Einrichtungen zweckentfremdet werden müssen. Diese Plätze sind jedoch normalerweise weniger gut geeignet, da sie den örtlichen Vereinen für ihre Aktivitäten fehlen und wenig Privatsphäre für die Geflüchteten bieten.
Gentges führt weiter aus, dass es zusätzlich an hauptamtlichen Personal bei der schnellen Bearbeitung der Asylanträge fehlt. So sind die Behörden an vielen Stellen stark belastet und Asylverfahren ziehen sich dadurch in die Länge. Eine weitere wichtige Stütze ist das ehrenamtliche Engagement bei der Integration und Hilfe der Flüchtlinge und Migranten. Jedoch ist hier die Bereitschaft in den letzten Jahren ebenfalls zurückgegangen. Aus diesem Grund muss es eine Begrenzung und Steuerung der Migration geben, da die Kapazitäten auch in einer Industrienation endlich sind. Die europäische Union hat hier in den letzten Monaten einen Asylkompromiss ausgehandelt, der eine schnellere Bearbeitung der Asylverfahren an den Außengrenzen von Bewerbern mit geringeren Anerkennungschancen beinhaltet. Jedoch ist dieser Kompromiss aktuell an den beiden Mitgliedsstaaten Polen und Ungarn gescheitert, da diese keine Ausgleichszahlungen für die Nichtaufnahmen von Asylanten leisten wollen.
Als nächstes kommt sie auf das Thema der Arbeitsmigration zu sprechen. In Deutschland fehlen aktuell rund 800.000 Arbeitskräfte über alle Branchen hinweg verteilt. Ein Teil der Lösung dieses Problems muss die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt sein. Jedoch gibt es momentan zu viele bürokratische Hürden, etwa bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse, die eine Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt erschweren oder ganz verhindern. Die Ministerin schlägt deshalb vor, eine zentrale Stelle für die Fachkräfteeinwanderung zu schaffen. In dieser Institution sollen die Kompetenzen gebündelt werden, indem sie Unternehmen bei Fragen zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte beraten oder für die Anerkennung der Abschlüsse auf unbürokratische Weise zuständig sind. Die Mitarbeit von Personen aus den Hauptherkunftsländern in dieser Behörde ist ein wichtiger Baustein, da sie die Bedürfnisse und die Begebenheiten auf dem heimischen Arbeitsmarkt besser im Blick haben.
In der anschließenden Diskussion kamen eine Reihe weiterer Themen zur Sprache. Aus dem Plenum wurden ebenfalls die oftmals zu hohen bürokratischen Hürden kritisiert, die eine Anwerbung ausländischer Mitarbeiter für Unternehmen erschweren. Es muss das Ziel sein, ausländische Studierende und Auszubildende mit einem deutschen Abschluss direkt im Land zu behalten, damit sie direkt nach dem Ende ihrer Ausbildung in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Der heimische Standort muss ebenfalls attraktiv gehalten werden, damit die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den ausländischen Arbeitsmärkten bestehen bleibt. Gentges stimmt diesen Forderungen zu und merkt noch an, dass unter anderem die hohen Sozialleistungen in Deutschland Fehlanreize bei der Zuwanderung von Fachkräften setzen, da diese in Deutschland höher liegen als in anderen europäischen Ländern. Wünschenswert wäre hier eine europäische Angleichung.
In Deutschland muss in den Behörden generell effizienter gearbeitet werden. Dies betrifft auch die Verfahrung bei der Bearbeitung von Asylanträgen sowie der Durchsetzung von Abschiebungen, die sich über Monate hinziehen können. Sie kritisiert dabei die ideologiebetriebene Politik von Teilen der Bundesregierung, die Abschiebungen in manchen Fällen ganz verhindern oder geringe Anstrengungen bei der Identitätsfeststellung von Asylbewerbern, wofür in einigen Fällen etwa bei Straftätern das gesellschaftliche Verständnis fehlt. Deshalb braucht es Regelungen, die auch Ermessensspielräume schaffen, sodass je nach Einzelfall und Bedarf entschieden werden kann. Die Ministerin fordert ebenfalls die Formulierung von nationalen Interessen für die Politik auf überparteilicher Ebene, damit diese sich bei ihren Handlungen daran orientieren können. Zum Schluss der Veranstaltung ist klar geworden, dass diese Thematik aktueller denn je ist und die Politik vernunftgeleitet Handeln muss, um den wirtschaftlichen sowie den gesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland zu wahren.