Bleibt Bremerhaven „Fischtown“?
Bremerhavens Fischereihafen ist der größte fischverarbeitende Standort in Deutschland und damals wie heute ein wichtiger Wirtschaftszweig. Im größten Gewerbegebiet der Stadt verarbeiten 80 Unternehmen mit ungefähr 4.000 Beschäftigten Fisch, Meeresfrüchte und weitere Lebensmittel. 200.000 Tonnen Fisch werden dort im Jahr umgesetzt, was der Hälfte der gesamtdeutschen Produktion entspricht.
Steigende Transportkosten und Energiepreise sorgen derzeit dafür, dass sich die Preise in der gesamten Wertschöpfungskette erhöhen und der fischverarbeitenden Industrie zusetzen. Daher stellt sich die Frage, wie zukunftsfähig diese Branche in Bremerhaven noch ist. Wie wirken sich zudem geänderte Essgewohnheiten der Verbraucher aus? Was bedeutet all das für die Zahl der Beschäftigten?
Diese Fragen stellte der Wirtschaftsrat Bremen Prof. Dr. Tamara Fallscheer, Professorin im Studiengang Lebensmitteltechnologie / Lebensmittelwirtschaft an der Hochschule Bremerhaven, Prof. Dr. Hauke Hilz MbBB, FDP-Fraktionsvorsitzender in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung, und Frank Westphal, Leiter der Geschäftsstelle der Agentur für Arbeit Bremerhaven.
Die Veranstaltung „Die Zukunft der fischverarbeitenden Industrie in Hinblick auf den Arbeitsmarkt Bremerhaven“ fand bei der Deutsche See GmbH mit freundlicher Unterstützung durch Ulrich Grewe, Geschäftsführer Produktion, Logistik, Technik, Einkauf Non Food, statt.
Prof. Dr. Tamara Fallscheer eröffnete ihren Impulsvortrag mit einer Einschätzung zur Zukunft der fischverarbeitenden Industrie. Nicht nur in der Agrarwirtschaft habe es durch die Automatisierung und Digitalisierung grundlegende Transformationen gegeben. Auch die Fischwirtschaft werde durch zunehmende Regulierungen immer stärker eingeschränkt. Fangquoten, Sicherheitsstandards und Qualitätskontrollen würden vermehrt in den betrieblichen Alltag eines Unternehmens eingreifen und dieses vor Herausforderungen stellen.
Problematisch sei darüber hinaus, dass sich Unternehmen häufig zu sehr auf die Gewinnmaximierung und damit auf eine Reduzierung der Kosten fokussieren würden. Dieser Kostendruck führe oft zu Qualitätseinbußen zu Lasten der Verbraucher und stehe im Widerspruch zur Nachhaltigkeit. Die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die Natur, beispielsweise die Verschmutzung der Meere durch Plastik, würden darüber hinaus viele Fischbestände bedrohen. Daher plädierte Prof. Dr. Fallscheer für eine angepasste, aber qualitativ hochwertigere Produktion.
Doch neben den veränderten Produktionsbedingungen hätten sich ebenso das Nachfrage-verhalten und die Essgewohnheiten der Verbraucher geändert. Prof. Dr. Fallscheer verdeutlichte, dass insbesondere in der Corona-Pandemie immer häufiger mit frischen Lebensmitteln selbst gekocht wurde. Zudem gebe es einen klaren Trend zu veganer und vegetarischer Ernährung sowie einen reduzierten Fleisch- und einen erhöhten Fischkonsum. Dies lasse sich damit erklären, dass das Ernährungsbewusstsein innerhalb der Bevölkerung und die Nachfrage nach ethisch vertretbaren Produkten deutlich gestiegen seien. Des Weiteren würden Massentierhaltung und Tiertransporte zunehmend kritisch gesehen.
Prof. Dr. Hauke Hilz, der neben seiner Funktion als FDP-Fraktionsvorsitzender in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung Professor für Lebensmittelchemie ist, ging auf die politischen Rahmenbedingungen für die Lebensmittelwirtschaft am Standort Bremerhaven ein.
In der Vergangenheit sei die Fischwirtschaft in Bremerhaven häufig nicht im politischen Fokus gewesen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 führte jedoch zu einer schwächelnden Wirtschaft und explodierenden Arbeitslosenzahlen. Die Lebensmittelwirtschaft sei in dieser Zeit im Vergleich zu anderen Branchen ein Garant für Arbeitsplätze gewesen. Dadurch sei es zu einem Umdenken innerhalb der Politik gekommen, die erkannt habe, dass die Lebensmittelwirtschaft ein bedeutender Wirtschaftszweig sei. Nichtsdestotrotz müsse dieser auch zukünftig gefördert werden, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Aus diesem Grund seien einige Rahmenbedingungen geschaffen worden, um Innovationen voranzubringen. Unter anderem werde seit dem Wintersemester 2013/2014 der Studiengang Lebensmitteltechnologie/Lebensmittelwirtschaft an der Hochschule Bremerhaven angeboten. Dadurch sollen Studierende sowohl die Prozesse der Lebensmittelentstehung und -verarbeitung als auch mögliche Reaktionen auf Veränderungen des Marktes und der Verbrauchergewohnheiten erlernen.
Außerdem sei der Food Hub in Bremerhaven gegründet worden, um Gründungen im Lebensmittelbereich zu fördern und Bremen und Bremerhaven als Standorte für Food-Start-ups attraktiver zu gestalten. Denn auch Prof. Dr. Hilz betonte, dass viele Gründungen und Start-ups im Lebensmittelbereich durch Auflagen und Regularien vor enormen Herausforderungen und Anforderungen stehen würden.
Schließlich ging Hilz auf die generellen Standortfaktoren in Bremerhaven ein. Zum einem attestierte er der Stadt insbesondere im Bildungsbereich erheblichen Nachholbedarf. Anderseits seien insbesondere der Tourismus und der bezahlbare Wohnraum positiv hervorzuheben. Daher biete das Werftquartier mit seinem hochwertigen Wohnraum in der Nähe des Fischereihafens eine enorme Chance für die fischverarbeitende Industrie.
Zusammenfassend konstatierte er eine positive, dynamische Entwicklung in Bremerhaven, die konträr zum oftmals schlechten Ruf stehe.
Abschließend schilderte Frank Westphal die Entwicklungen und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt in Bremerhaven. Die Zahl der Arbeitslosen habe sich in seit der Corona-Pandemie wieder von 7.000 auf 8.000 erhöht und entspreche aktuell einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent. Dennoch sei die Zahl der Arbeitslosen innerhalb der letzten 20 Jahre überdurchschnittlich zurückgegangen. Vor der Hartz IV-Reform habe es 14.000 Arbeitslose gegeben. Somit sei es gelungen, die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von 20 Jahren zu halbieren.
Die Beschäftigung in der fischverarbeitenden Industrie sei dabei in den letzten 20 Jahren auf einem konstanten Niveau geblieben. Jedoch seien andere Branchen in dieser Zeit stark gewachsen. So habe sich beispielsweise die Beschäftigung in der Tourismusbranche verdoppelt.
Des Weiteren hob Westphal hervor, dass sich unter den derzeitigen Arbeitslosen ungefähr drei Viertel in Langzeitarbeitslosigkeit befänden. Dies lasse sich damit erklären, dass sich ein Arbeitsverhältnis im Vergleich zum Arbeitslosengeld möglicherweise nicht mehr lohnen würde. Teilweise seien Arbeitslose mit Arbeitslosengeld finanziell besser gestellt als mit einem Vollzeitjob.
Um dem entgegenzuwirken und die Motivation zur Jobsuche zu erhöhen, gebe es unter anderem mit der Kürzung des Arbeitslosengeldes einige Sanktionsmaßnahmen. Diese würden jedoch selten die gewünschte Wirkung entfalten. Westphal betonte demgegenüber, dass mit der Einführung eines Bürgergeldes diese Sanktionsmaßnahmen gänzlich wegfallen würden.
Darüber hinaus gebe es unter den Arbeitslosen häufig nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte. Daher sollten Langzeitarbeitslose effektiver motiviert und mit Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen auf eine neue Erwerbstätigkeit vorbereitet werden.
Jedoch sei der Fachkräftemangel generell eine erhebliche Herausforderung, die sich durch den demografischen Wandel noch weiter verschärfen würde. Westphal erläuterte, dass durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer aus dem Erwerbsleben anschließend vergleichsweise weniger potentielle Arbeitskräfte für die offenen Stellen zur Verfügung stehen würden. Zusätzlich dazu seien in den vergangen 20 Jahren ungefähr 10.000 neue Arbeitsplätze entstanden, die den Bedarf an Arbeitskräften noch zusätzlich verstärken würden.
Eine gute Möglichkeit zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sieht Westphal daher in der Integration von Fachkräften aus dem Ausland. Hierfür habe die Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz erlassen, das zur Stärkung der qualifizierten Zuwanderung aus dem Ausland beitragen soll. Westphal verdeutlichte jedoch, dass für eine erfolgreiche Integration der Fachkräfte die Bewältigung der Sprachbarriere entscheidend sei.
Abschließend prophezeite der Arbeitsmarktexperte, dass sich der Arbeitsmarkt durch den Fachkräftemangel zukünftig stark verändern werde. Er prognostizierte, dass Unternehmen eine deutlich aktivere Rolle bei der Suche nach potentiellen Arbeitnehmern werden einnehmen müssen als bisher.