Aus den Ländern (Bremen) - Insolvenzantragspflicht: Wann kehren wir zur Marktwirtschaft zurück?
Am 01.05.2021 wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht beendet. Die Regelungen eines Insolvenzantrages in Corona-Zeiten gelten seitdem nicht mehr, sodass im Falle einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit oder einer Überschuldung innerhalb von drei Wochen ein Insolvenzantrag gestellt werden muss.
Laut Dr. Malte Köster, Fachanwalt für Insolvenzrecht in der Kanzlei WillmerKöster, gibt es in Deutschland aktuell bereits eine erhebliche Insolvenzverschleppungsproblematik, die durch die Corona-Krise verursacht wurde. Eine solche Insolvenzverschleppung habe strafrechtliche, steuerliche und zivilrechtliche Konsequenzen. Sorgen vor einer Pleitewelle und sogenannten Zombie-Unternehmen sind laut Malte Köster gesamtwirtschaftlich höchstwahrscheinlich überdimensioniert, jedoch in einzelnen Fällen nicht gänzlich unberechtigt.
Das Bundesjustizministerium habe auf die Insolvenzproblematik reagiert und mit Wirkung zum 01.03.2020 das erste Corona-Hilfspaket für Unternehmen beschlossen. Eine nationale Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollte die Folgen für die Realwirtschaft abfedern. Das Gesetz sei aus evidenten Gründen der Dringlichkeit schnell auf den Weg gebracht worden. Kontinuierliche Veränderungen und Fortschreibungen seien die Folge gewesen. So seien die Insolvenzgründe, Voraussetzungen und Ausnahmen regelmäßig angepasst worden, wodurch das Gesetz einen hohen Grad an Komplexität erlangt habe und deshalb für Unternehmen, deren Geschäftsführer und Berater unübersichtlich geworden sei. Auch für Anwälte sei es schwierig, auf dieser Basis eine seriöse Beratung zur Antragspflicht zu geben, denn das Gesetz beinhalte viele ungeklärte Rechtsfragen. Ob die bundesweite Aussetzung der Insolvenzpflicht eine adäquate Lösung darstellt, werde in Fachkreisen zudem rege diskutiert.
Für Unternehmer wird es nach Einschätzung von Malte Köster schwer nachzuweisen sein, dass eine Insolvenz tatsächlich auf Corona beruhte, was für die Aussetzung der Antragspflicht aber zentral zu belegen sein wird. Bei einer resultierenden Feststellung einer dann unrechtmäßigen Antragsverschleppung müssten Gläubigeransprüche geltend gemacht werden.
Dr. Thomas Matusche, Ministerialdirigent im Niedersächsischen Justizministerium und Leiter der Abteilung II (Zivilrecht, Öffentliches Recht), ergänzte, dass sein Ministerium sich lange Zeit nicht gezielt auf die neuen pandemiebedingten Umstände vorbereiten konnte. Die Entscheidungen, die dann aber getroffen wurden, seien auf die wirtschaftlichen Folgen zugeschnitten gewesen. Die Hotel- und Gastronomiebranche sei stark betroffen, sodass es in diesem Bereich vermutlich viele Insolvenzen geben werde. Auch stille Marktaustritte ohne Insolvenzantrag seien zu erwarten.
Im ersten Corona-Hilfspaket seien viele unberechtigte Anträge und Soforthilfen ausgezahlt worden. Aus Sicht der Justiz sei zu wenig darauf geachtet worden, wer das Geld aus den Hilfspaketen bekommt. Mittlerweile seien allein in Niedersachsen rund 1.500 Verfahren mit einer Schadenssumme von elf Millionen Euro eröffnet worden. Ein großes Dunkelfeld bei den Ermittlungsverfahren werde die reale Ziffer noch anwachsen lassen, was zeige, dass die Schnelligkeit der Maßnahmen zwar beeindruckend und wichtig, aber nicht immer richtig war. Aufgrund der komplexen juristischen Materie werde auf die Justiz möglicherweise viel Arbeit zukommen. Thomas Matusche geht nun von einer wachsenden Anzahl von Insolvenzen aus. Sein Personal sei vorbereitet.