„Diese Gehirnspalterei lähmt uns!“
Am zweitgrößten deutschen Standort von Airbus fanden sich Ende November Vertreter der Bremer Luft- und Raumfahrtbranche zusammen, um mit den Referenten Götz Anspach von Broecker, Key Account Manager der Airbus Defence & Space GmbH und Prof. Rolf Henke, Berater für Luftfahrt bei der Aviation Strategy and Consulting GmbH, über die Zukunft von Airbus in der Hansestadt als einem der führenden Standorte der Luft- und Raumfahrtindustrie zu diskutieren.
Unter Leitung des neuen Kommissionsvorsitzenden Dr. Alexander Schneider schilderte Götz Anspach von Broecker, wie die Digitalisierung die Bremer Branchen Luftfahrt, Raumfahrt, Sicherheit und Maritime Wirtschaft zu neuen Wirtschaftskreisläufen zusammenwachsen lässt. Die digitalisierungsgetriebene Transversalität von Branchen führe dazu, dass von Kundenseite verstärkt kollaborative Systemlösungen nachgefragt würden. Mit der Entwicklung solcher Systemfunktionen der Vernetzung und Kollaboration (System-of-Systems), habe der Bremer Airbus-Standort eine Nische besetzen und diese agile Form der Organisation auch anderen Institutionen zur Nutzung anbieten können. Beispielsweise sei es durch die von Airbus unterstützte Zusammenführung von Datenströmen der Nordsee-Anrainerstaaten gelungen, die Aufklärung des Seeraums zu optimieren und zuvor nicht erkannte Drogenschmugglerrouten aufzudecken.
Den System-of-Systems-Gedanken griff auch Prof. Rolf Henke in seinem Vortrag über die Zukunft der Luftfahrt in Bremen auf. Als Vision nannte er das Future Combat Air System (FCAS), das nicht bloß die Entwicklung einer neuen Generation von Kampfflugzeugen, sondern eines ganzen Luftkampfsystems vorsehe. Neben der Entwicklung des FCAS könne Bremen als „Stadt der Luftfahrt“ die künftige Entwicklung der Branche auch auf folgenden Feldern prägen: Elektrisches Fliegen (durch in Bremen ansässige Start-Ups und die Flugschule CAE), Planung umweltoptimierter Flugrouten, Schutz kritischer Infrastrukturen und Digitalisierung der Luftfahrt. Während umweltoptimierte Flugrouten eine bereits heute umsetzbare und effektive Maßnahme zur Emmissionsreduktion darstellen würden, sei das komplett klimaneutrale, batteriebetriebene Fliegen noch Zukunftsmusik. Sustainable Aviation Fuels (SAF) würden daher lange als Brückentechnologie fungieren müssen.
In der anschließenden Diskussion herrschte unter den Teilnehmern Konsens, dass zivile und militärische Luftfahrt nicht voneinander zu trennen sind. Vielmehr, so der Tenor, könnten sie sich im Rahmen eines System-of-Systems gegenseitig befruchten. Umso unverständlicher ist für Götz Anspach von Broecker daher die rigide Auslegung der Zivilklausel an der Universität Bremen: „Diese Katatonie ist eine Schwierigkeit in Bremen und lähmt uns.“ An anderen Universitäten und Hochschulen herrsche eine größere Offenheit für Dual Use vor. Entsprechend wurde aus dem Teilnehmerkreis eine breiter angelegte Ingenieurausbildung in der Luftfahrtsparte sowie die Einrichtung eines auf Systems Engineering/Projektmanagement fokussierten Studiengangs angemahnt. Anstatt jedoch auf die Einsicht der Politik zu warten, müssten Unternehmen mit Unterstützung des Wirtschaftsrates ihre Forderung nach einer Verzahnung von Zivil- und Militärluftfahrt im Rahmen einer kommunalen – oder besser noch einer nordwestdeutschen – Luft-/Raumfahrtstrategie proaktiv vorbringen.
Im Anschluss an die Kommissionssitzung bot sich den Teilnehmern die Gelegenheit, in Begleitung von Götz Anspach von Broecker die Raumfahrtausstellung von Airbus zu besuchen und einen Blick in die Fertigungshalle zu werfen, wo derzeit das europäische Servicemodul (ESM) für die US-amerikanische Raumkapsel Orion gebaut wird.