Pflöcke einschlagen
Wer Jörg Müller-Arnecke in seiner Neustädter Firma „Sailskin Sonnensegel“ besucht, fühlt sich gleich wie auf der heimischen Terrasse. Auf einem Dielenboden steht eine kleine Sitzgruppe aus Teakholz, über die ein gelbes Segeltuch gespannt ist. Der 42-jährige Unternehmer demonstriert, wie das Sonnensegel je nach Lichteinstrahlung in Position gebracht werden kann. Mal manuell, mal mechanisch. In der kleinen Fabrik hinter dem Showroom arbeiten zehn Mitarbeiter an den robusten Tüchern aus Polyestergewebe: Segelmacher, technische Konfektionäre, LKW-Planenbauer. „Alles wird individuell angefertigt“, sagt der studierte Betriebswirt und demonstriert an den Schneidetischen gleich, wie die Segel zusammengenäht werden.
In Position bringen will sich Müller-Arnecke auch politisch. Er will mitmischen, der „Wirtschaft eine Stimme geben“, wie er sich ausdrückt. Deshalb ist er seit drei Jahren Vorsitzender des Bremer Wirtschaftsrates der CDU. Eine Parteivereinigung? „Nein, nein“, wiegelt der Unternehmer sogleich ab, „der Wirtschaftsrat ist ein Unternehmerverband“, ein eingetragener Verein. 1963 gegründet will er seinen bundesweit 12.500 Mitgliedern eine Plattform zur Mitgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft geben. Mitglied werden könne im Prinzip jeder: Individualpersonen ebenso wie große Konzerne oder Mittelständler. 980 Euro kostet eine Personenmitgliedschaft, Unternehmen zahlen entsprechend ihrem Eigenkapital. Auf eine Parteimitgliedschaft in der CDU kommt es ausdrücklich nicht an. „Wir haben auch Mitglieder aus anderen Parteien bei uns“, sagt Müller-Arnecke, der selber seit 1999 CDU-Mitglied ist. In Bremen hat der Wirtschaftsrat über 200 Mitglieder – mit steigender Tendenz. 20 Unternehmer unter 35 Jahren haben sich im Jungen Wirtschaftsrat zusammengeschlossen. Müller-Arnecke geht davon aus, bis Ende des Jahres 2022 die 300-Mitglieder-Marke zu knacken.
Trotz Corona hat der Wirtschaftsrat im letzten Jahr 80 Veranstaltungen durchgeführt. „Wir haben schon Ende März 2020 auf Online umgeswitcht“, sagt er. Da mache sich die professionelle Geschäftsstelle bezahlt, die in der Baumwollbörse ihren Sitz hat. Von dort aus organisiert Landesgeschäftsführer Steffen Lenke mit seiner Assistentin Fachvorträge, Business Lunches oder Frühstücksrunden. Möglichkeiten der Vernetzung, Information und politischen Diskussion. Persönliche Treffen seien pandemiebedingt zwar weitgehend ausgefallen. Doch im Sommer habe es ein „Get Together“ mit begrenzter Teilnehmerzahl gegeben. „Das war aber auch in Rekordzeit ausgebucht“, erinnert sich Müller-Arnecke. Das Bedürfnis, mal rauszukommen, sei auch bei den Unternehmern groß.
Die inhaltliche Arbeit findet in den Landesfachkommissionen zu den Themen Energie und Umwelt, Familienunternehmen und Mittelstand, Digitale Wirtschaft, Sicherheitstechnik, Luft- und Raumfahrt, Maritime Wirtschaft sowie für Immobilien, Bau und Stadtentwicklung statt. Gerade beim Thema Wohnbebauung wird der Neustädter Unternehmer, der privat in Schwachhausen wohnt, leidenschaftlich. 3.000 Baugenehmigungen im Jahr würden keinesfalls reichen, um dem Bevölkerungsschwund in Bremen Einhalt zu gebieten, empört er sich. Wenn ein Einfamilienhaus in Bremen heute um die 600.000 Euro koste, könne sich das die gesunde Mittelschicht nicht mehr leisten. Einfamilien- und Reihenhäuser müssten ebenso gebaut werden wie Wohnungen. Auch die Bebauung der Rennbahn oder der Osterholzer Feldmark sind für ihn kein Tabu, da geht er durchaus auf Distanz zur CDU. Irgendwo müssten die Flächen schließlich herkommen. Interessant findet er auch Pläne zur Bebauung des Neustädter Hafens („wenn denn der Schwerlastverkehr geregelt ist“), Hausboote oder Tiny-Haus-Siedlungen. Nur ein kleiner Ausblick auf das Wohnbaukonzept, das der Wirtschaftsrat noch in diesem Jahr vorlegen will. Dann wird er wohl auch im CDU-Landesvorstand, in den er als Chef des Wirtschaftsrates kooptiert ist, das Thema auf den Tisch bringen. Pflöcke will er dann einrammen, so wie die riesigen Schraubgewinde, mit denen die Pfosten in die Erde gebohrt werden, an denen seine Sonnensegel hängen.
Den vollständigen Artikel finden Sie im Quartier des Weser-Reports vom 03.05.2021