Cookie-Einstellungen

Bericht
21.06.2022
Drucken

Steuert Deutschland auf eine Gasmangellage zu?

Business Lunch zum Thema Energie-Versorgungssicherheit mit Dr. Torsten Köhne, Vorstandsvorsitzender swb AG.
©Wirtschaftsrat

Die Versorgungssicherheit ist eines der zentralen Ziele der Energiepolitik. Grundlegend bedeutet Versorgungssicherheit im Bereich der Energieversorgung die Deckung des aktuellen und künftigen Bedarfs der Energieverbraucher sicherzustellen. Die dauerhafte Verfügbarkeit von Energie ist weltweit für alle Wirtschaftssubjekte (Privathaushalte, Unternehmen, Staat) für Produktion und privaten Verbrauch unentbehrlich. 

Der Begriff der Energiesicherheit geht dabei auf die erste Ölkrise im Oktober 1973 zurück, als die OPEC die Erdölförderung bewusst um 5 % drosselte und diese Angebotslücke zu einer drastischen Erhöhung der Ölpreise führte. So kam es untern anderem zu Wochenendfahrverboten an autofreien Sonntagen.

Die Energieversorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung wird in Deutschland im Wesentlichen durch fossile Energiequellen wie Kohle und Erdöl, aber auch durch Erdgas gewährleistet. Entscheidend ist, dass Deutschland bis vor kurzem mehr als die Hälfte des benötigten Erdgases aus Russland bezog. 

Mit umfangreichen Maßnahmen möchte Wirtschaftsminister Robert Habeck den Gasverbrauch in Deutschland senken und auf die Drosselung russischer Lieferungen reagieren. Dadurch soll eine schwere Gaskrise zu Beginn der Heizperiode verhindert werden. Im Kern geht es um das schnelle Befüllen von Speichern und die Nutzung von Kohle statt Gas zur Stromerzeugung. Doch was bedeutet die aktuelle Lage für die Energieversorgung und Energiesicherheit in Deutschland und in Bremen?

Diese Frage stellte der Wirtschaftsrat Bremen Dr. Torsten Köhne, Vorstandsvorsitzender der swb AG im Rahmen seines Business Lunches.

Dr. Köhne begann seine Ausführungen damit, die Funktionsweise der Gasmärkte zu erläutern. Aktuell gebe es in Deutschland 24 Millionen Gasheizungen. Um diese zu versorgen, würden überregionale Ferngasunternehmen wie E.ON, Shell oder RWE Erdgas aus anderen Ländern importieren und an regionale Ferngasgesellschaften, beispielsweise die swb, weiterverkaufen. Die swb veräußere dieses Gas wiederum an örtliche Gasversorger, um es privaten und gewerblichen Gaskunden zur Verfügung zu stellen. Die Netzbetreiber seien dabei zuständig für die jeweilige Menge und sollen sicherstellen, dass genug Gas geliefert und zur Verfügung stehe.

Der Gashandel werde letztendlich mit Hilfe von Bilanzkreisen abgewickelt. Eigene Börsen seien für die Preisgestaltung des Gases verantwortlich. Aktuell seien die Gaspreise sehr stark angestiegen, und es sei zu einer Vervierfachung der Preise gekommen, da große Unsicherheiten an der Börse herrschten, ob zukünftig ausreichend Gas zur Verfügung stehe. 

Dies lasse sich damit erklären, dass der russische Staatskonzern Gazprom den Gasfluss durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 in den vergangenen Tagen deutlich verringert habe. Begründet wurde dies mit Verzögerungen bei der Reparatur von Verdichterturbinen durch die Firma Siemens Energy. Dr. Köhne wies jedoch darauf hin, dass die Gaspreise der swb im bundesweiten Vergleich noch relativ niedrig seien.

Sollte der Fall eintreten, dass zu wenig Gas zur Verfügung steht, befände man sich in einer Gasmangellage. Bei einer Gasmangellage sei es vor allem entscheidend, die Versorgung von kritischem Gewerbe zu gewährleisten. 

Dr. Köhne betonte jedoch, dass es keine explizite Kategorisierung gebe, welche Gewerbe als „kritisch“ angesehen werden können. Hierfür werde eine Datenplattform benötigt, aus der die Priorisierung hervorgehe. 

Letztendlich würde die Bundesnetzagentur im Falle einer Gasknappheit das Gas zuteilen. Jedoch sei es nicht möglich, einzelne Anschlüsse zu steuern, sodass letztendlich alle Abnehmer weniger Gas bekommen würden. Somit wäre jeder, auch private Kunden, von einer Gasmangellage betroffen und nur eingeschränkt versorgt.

Grundsätzlich hält Dr. Köhne eine Gasmangellage in der Zukunft für sehr realistisch. So würden die Gasspeicher bei einem angestrebten Füllstand von 90 % ungefähr bis Weihnachten reichen. Daher sei es notwendig, im Sommer genügend Gas einzulagern. Der Bundestag habe hierzu ein Gesetz verabschiedet, durch das KfW-Mittel in Höhe von 15 Milliarden Euro zur Sicherstellung der Speicherstände bis zum Herbst zur Verfügung stelle. 

Aktuell liege der Speicherstand bei 57 %; vor einer Woche seien es noch 46 % gewesen. Dr. Köhne betonte jedoch, dass der aktuelle Speicherstand für diese Jahreszeit normal und nicht außergewöhnlich hoch oder niedrig sei.

Problematisch sei jedoch, dass in den letzten Jahren viele kleinere Speicher außer Betrieb genommen wurden, da mit Ihnen zu selten Gewinn erwirtschaftet wurde. Auch bei der swb seien in der Vergangenheit zwei Speicher ausgemustert genommen.

Besonders kritisch sieht Dr. Köhne die Versorgungslage ab Januar, da die vollen Speicher nur bis Weihnachten reichen würden. Das Bewusstsein darüber und der Ernst der Lage seien in vielen Teilen der Bevölkerung noch nicht angekommen. Beispielsweise würde die Reduzierung der Temperatur in privaten Haushalten helfen, eine mögliche Gasmangellage abzuwenden.  Bereits die Reduzierung um ein Grad würde den Verbrauch um 6 Prozent senken. „Wir könnten auch gut mit einem Grad weniger leben“, so Köhne. Hierfür erfordere es jedoch viel Überzeugungsarbeit und deutliche Apelle von Seiten der Politik. 

Das Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz solle das Ziel verfolgen, die Energieversorgungs-sicherheit in Deutschland vor dem Hintergrund einer Gasmangellage zu stärken. Dafür sollen weitere Erzeugungskapazitäten, u. a. Kohlekraftwerke aus der Netzreserve, zur Verfügung gestellt werden.

 Dr. Köhne ist der Meinung, dass aufgrund der gestiegenen Erdgaspreise fossil betriebene Kraftwerke weiterhin eine wichtige Rolle spielen und vermutlich länger in Betrieb bleiben werden. In Bremen sei aktuell noch ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Aufgrund der aktuellen Situation würde sich der Kohleausstieg generell vermutlich um zwei Jahre verzögern. Außerdem würde das in Hastetdt errichtete Gaskraftwerk für 140 Millionen Euro noch ungefähr zwei Jahre benötigen, um in Betrieb genommen werden zu können.

Kritisch äußerte sich Dr. Köhne zur vorübergehenden Weiternutzung der Kernenergie, da die Brennelemente zum geplanten Betriebsstopp Ende 2022 abgebrannt seien. Danach müsste der Reaktor mit neuem nuklearem Brennstoff ausgestattet werden. Die hierfür nötigen Brennelemente müssten jedoch eigens produziert werden. Da dieser Prozess ungefähr zwei Jahre dauern würde, sei ein lückenloser Weiterbetrieb daher nicht möglich. Zudem stehe auch das Fachpersonal über die vereinbarte Laufzeit hinaus nicht zur Verfügung.