„Vorschulische Förderung ist das A und O“
In Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung Bremen befasste sich der Wirtschaftsrat Bremen mit der ernüchternden Bildungspolitik des Bundeslandes und suchte gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Pädagogik und Wirtschaft nach Auswegen aus der Bildungsmisere.
Dr. Ralf Altenhof, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Bremen, betonte in seinem Eingangsstatement, Bildung sei entscheidend für die Zukunft des Standortes Bremen. Umso mehr verwundere ihn, dass es offenbar das Ziel der Wahlkampfstrategen im Bremer Rathaus sei, das Thema Bildung aus dem aktuellen Wahlkampf herauszuhalten. Dabei liege Bremen bekanntlich regelmäßig auf den hinteren oder gar letzten Plätzen, wenn es um Bildungsvergleiche gehe: „Bremen hat die schlechteste Bildungspolitik der Bundesländer“. Es sei schon bemerkenswert, dass nach 75 Jahren SPD-Verantwortung ausgerechnet Bremen das Land sei, in dem der Bildungserfolg so stark wie nirgends sonst vom Elternhaus abhänge. 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler könnten nicht richtig lesen und schreiben. Zugleich bezeichne Bildungssenatorin Sascha Aulepp Noten als „demotivierend“.
Impulsredner des Abends war Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Er fragte mit Bezug auf den Titel der Veranstaltung: „Welche Note verdient eine Bildungspolitik, die mehrheitlich auf dem letzten Platz landet?“ Gemeinhin gelte politische Kontinuität als Erfolgsrezept, so in Bayern oder Sachsen. Doch wie sehe der Erfolg nach 75 Jahren SPD-Kontinuität in Bremen aus?
Bei Bildungsgerechtigkeit und sozialer Förderung belege ausgerechnet das sozialdemokratische Bremen den letzten Platz. Meidinger führte dies auf die Geringschätzung des Leistungsprinzips zurück. Dabei sei es gerade das Leistungsprinzip gewesen, das das Ende der Feudalherrschaft und das Ende des Prinzips der Herkunft einläutete. Natürlich brauche auch das Leistungsprinzip ein Korrektiv, ähnlich wie es in der Sozialen Marktwirtschaft verankert sei: „Daher gehören Fordern und Fördern zusammen.“ Doch wenn man beispielsweise die Noten aus der Schule verbanne: Was trete dann an ihre Stelle?
Der Rückstand der Bremer Viertklässler betrage mittlerweile ein ganzes Schuljahr; 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichten die Schulstandards nicht. Hamburg, jahrelang zum Vergleich herangezogen, befinde sich mittlerweile im guten Mittelfeld. Dass Bremen eine ähnliche Entwicklung nicht eingeschlagen habe, führt Meidinger auf zwei Faktoren zurück: Die Geringschätzung von Ziffernoten und die Geringschätzung der Gymnasien.
Meidinger riet den Bremer Bildungspolitkern daher: Mehr den Hamburger Weg gehen und sich von Bremer Lebenslügen verabschieden! Sprachstandardtests einführen und frühzeitige Förderung bei Sprachdefiziten: „Vorschulische Förderung ist das A und O!“
Torsten Klieme, Staatsrat bei der Senatorin für Kinder und Bildung, verwies in der anschließenden Diskussion unter Leitung von Kai Niklasch, Leiter des ZDF-Landesstudios, darauf, dass Bremen gerade nicht mit Hamburg verglichen werden könne: Die Sozialstruktur sei eine andere, und die Armutsquote sei in Bremen doppelt so hoch. Er wandte sich auch gegen die „Legende“, Bremer Schulen seien per se leistungsfeindlich. Bremen sei auch nicht für eine „Noteninflation“ verantwortlich, wie es Heinz-Peter Meininger in der tagesaktuellen Ausgabe des Weser Kurier behauptet hätte: „Gute Bremer Abiturientinnen und Abiturienten studieren in Bayern und Baden-Württemberg und fallen dort nicht negativ auf.“
Klieme räumte aber Probleme bei den 40 Prozent eines Jahrgangs ein, deren Leistungen unter dem Durchschnitt liegen. Hier beschreite man durchaus den „Hamburger Weg“ und setze auf konsequente Leistungserfassung. Er betonte dabei das hohe Verantwortungsbewusstsein von Pädagogen und Schulleitern. Die größte Herausforderung aber sei es, überhaupt Lehrkräfte zu finden. Auf eine Initiative des Landes Bremen für Quer- und Seiteneinsteiger hätten sich aber immerhin 200 Personen gemeldet. Auch müsse die universitäre Lehrerausbildung gestärkt werden.
Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzig vom Institut für Schulpädagogik der Uni Marburg konnte auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, um die Schullandschaft des Landes Bremen zu beurteilen: Sie ist in Bremerhaven zur Schule gegangen und betonte das hohe Engagement ihrer Lehrkräfte. Jedoch hätte es in der Stadt damals kein Gymnasium gegeben; erst heute gebe es dort das Lloyd Gymnasium.
Sie wünsche sich ausbildungsreife und hochschulreife Schüler und fordere daher ein verpflichtendes Vorschuljahr, um sprachliche Nachteile auszugleichen. Auch müssten die Lehrkräfte von bürokratischen Belastungen befreit werden, wozu auch das Erstellen der Zeugnisse ohne Ziffernoten zähle. Sie mache sich zudem stark für eine Lehrerausbildung nach dem Prinzip des Staatsexamens anstatt der Bachelor- und Masterstudiengänge, die in der Regel zeitintensiver seien. Wichtig sei außerdem, nicht alle Probleme, die ihre Ursache im Elternhaus hätten – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund – bei der Schule abzuladen. Vielmehr müssten die Familien von staatlicher Seite Hilfsangebote erhalten.
Als bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion räumte auch Yvonne Averwerser MdBB ein, dass ein hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund ein Problem darstelle, aber: „Die Bremer Bildungspolitik sieht sich diese Entwicklung bereits seit Jahrzehnten an.“ Sprachdefizite gebe es nicht erst seit der Flüchtlingskrise und nicht erst seit dem Ukrainekrieg. Hinzu käme ein hoher Aufwand durch die Inklusion, der den Klassenbetrieb sehr belaste. Hier wünsche sie sich mehr Augenmaß.
Wichtig sei zudem, das Institut für Qualitätsbildung endlich ins Laufen zu bringen. Lernstandardtests würden bisher lediglich ausgewertet; es finde aber keine Rückkopplung an die Lehrer statt. Somit blieben die Tests ohne Konsequenz. Auch Averwerser würde zu Ziffernoten zurückkehren: „Sie verbessern zwar nicht die Qualität, schaffen aber Transparenz und Freiraum für die Lehrkräfte.“
Jan-Oliver Buhlmann hielt für den Wirtschaftsrat Bremen als Mitglied des Landesvorstandes das Schlusswort der Veranstaltung. Als CEO der Buhlmann Rohr-Fittings-Stahlhandel GmbH & Co. KG wolle er die praktische Sicht zur Diskussion beisteuern. Er betonte, das Leistungsprinzip sei existentiell für den Fortbestand seines Familienunternehmens. 10 Prozent der Angestellten seien Auszubildende, von denen regelmäßig 90 Prozent übernommen würden. Bildung habe für sein Unternehmen einen hohen Stellenwert. Doch viel größere Sorgen als über das reine Fachwissen mache er sich mittlerweile über die Persönlichkeitsdefizite vieler Bewerber. Der Begriff „Leistung“ werde kritisch beurteilt, Verbindlichkeit und ein „Alltags-Knigge“ seien kaum noch vorhanden.
Selbst das Duale Schulsystem müsse man den Schulabgängern häufig erst erläutern. Was man mit seiner Ausbildung erreichen könne, sei oftmals nicht bekannt. Wie gut die Schülerinnen und Schüler auf das Berufsleben vorbereitet seien, hänge sehr stark vom Engagement der Lehrkräfte ab. Sein Unternehmen habe 40 Schulen angeschrieben und angeboten, die verschiedenen Lehrberufe des Betriebes vorzustellen. Nur vier Schulen hätten überhaupt darauf geantwortet.
Entschieden wandte sich Buhlmann gegen den Ausbildungsfonds, den der Bremer Senat auf den Weg gebracht hat. Mit dem Geld aus dieser Umlage sollen potenzielle Auszubildende nachqualifiziert werden. Kritiker bezeichnen das Konstrukt als „Reparaturbetrieb der Bildungspolitik“. Mit Blick auf das daraus ebenfalls zu finanzierende „Matching“ zwischen Unternehmen und Auszubildenden meinte Buhlmann an Staatsrat Klieme gerichtet: „Lassen Sie uns das Matching selbst übernehmen. Das können wir als Unternehmer besser als es eine staatliche Einrichtung je tun kann. Sorgen Sie einfach für die passenden Rahmenbedingungen.“
Aber auch etwas Positives steuerte Buhlmann am Ende bei: Bei der Digitalisierung der Bildung sei Bremen auf Platz eins. Und anhand der positiven Entwicklung als Standort der Luft- und Raumfahrtbranche könne man sehen: „Bremen kann es!“ Man müsse es nur gemeinsam wollen.