Welche wirtschaftlichen Chancen bietet die Kaukasusregion und Zentralasien?
Die Kaukasusregion und Zentralasien liegen für viele Unternehmerinnen und Unternehmer nicht im Fokus. Dass aber im Osten große Chancen liegen, zeigt sich schon am Handelsvolumen Deutschlands mit Osteuropa; mit 18,9 Prozent ist es größer als das Handelsvolumen Deutschlands mit China und den USA zusammen. Somit lohnt sich auch der Blick gen Osten, auf die Länder östlich von Europa. Dabei bieten die Kaukasusregion und Zentralasien in ihrer Vielschichtigkeit viele wirtschaftliche Möglichkeiten für deutsche Unternehmen. Um in der Region erfolgreich zu sein, ist es jedoch wichtig die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gut zu kennen.
Aus diesem Grund führten der Wirtschaftsrat Bremen und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft eine Online Veranstaltung mit dem Titel „Welche wirtschaftlichen Chancen bietet die Kaukasusregion und Zentralasien?“ durch. Durch die Veranstaltung führte Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft.
Antje Präfcke, Senior FX Analyst bei der Commerzbank AG, erläuterte die Herausforderungen auf dem Finanz- und Kapitalmarkt. Ein wichtiges Standbein vieler Staaten der Region sei das Energiegeschäft; insbesondere Gas- und Öl-Exporte seien noch immer staatstragende Faktoren. Staaten wie Kasachstan und Aserbaidschan seien weitestgehend abhängig von den Energiesektoren ihrer Wirtschaften. Ihre wirtschaftliche Struktur sei vergleichbar mit der Struktur des postsowjetischen Russland: Eine zentralisierte, oligarchisch organisierte Wirtschaftsstruktur.
Die Wirtschaftssektoren der Staaten mit starker Öl- und Gas-Abhängigkeit wiesen zumeist einen sehr geringen Diversifizierungsgrad auf. Dies mache sie für alle externen Schocks unempfindlich, die nicht den Öl- und Gaspreis betreffen. Staaten wie Armenien und Georgien, deren Wirtschaftssektoren stärker diversifiziert sind, zeigten sich empfindlicher für externe Schocks.
In den wenig diversifizierten Wirtschaften bestimmten oft große monopolistische Unternehmen die Wirtschaftsstruktur, für diese lohnten sich Investitionsangebote erst ab einer gewissen Größe. Kleinere, kurzfristigere Investitionen seien in diesen Ländern schwierig. Großprojekte hingegen seien dafür willkommen und lohnenswert. Die stabilen Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft machten Zahlungsausfälle unwahrscheinlicher.
Ein Risiko der Region sei die Volatilität der lokalen Währungen, so Präfcke. So müssten sich Investoren in Staaten wie Usbekistan auf eine Inflationsrate von 10 - 14 Prozent einstellen, dafür könnten zum Teil aber auch höhere Wachstumsraten erzielt werden. Die hohe Volatilität der lokalen Währungen führe zu einer Dollarisierung, der Einführung des US-Dollars als Ersatz für die nationale Währung in vielen Wirtschaftssektoren der Region, was die Stabilität der lokalen Währung auf der einen Seite weiter schwäche. Auf der anderen Seite gebe die Abwicklung vieler Transaktionen in Dollar ausländischen Kapitalgebern mehr Sicherheit vor der lokalen Währungsvolatilitäten.
Die Kapitalmärkte und das Bankensystem der Region seien schwach. In einigen Staaten könne es deshalb zu Problemen kommen, wenn Gelder aus der lokalen Währung transferiert werden sollen. Auch die Beschaffung von Investitionskrediten über lokale Banken könne ein Hindernis für gewillte Investoren darstellen.
Mit Blick auf den zunehmenden Protektionismus und den Trend zur Regionalisierung werde interessant zu beobachten sein, in welche Richtung sich die Kaukasusregion und Zentralasien orientieren werden. Im Hinblick auf die demografische Entwicklung Chinas sei zum Beispiel vorstellbar, dass sich die Kaukasusregion und Zentralasien als verlängerte Werkbank Chinas etablieren. Aktuell fehle es dafür jedoch noch an Expertise und Infrastruktur, die zunächst aufgebaut werden müsste.
Thorsten Schubert, CFO/CFO der Knauf Group CIS, berichtete anschließend über seine Erfahrungen mit Investitionen in der Region. Die Knauf Group unterhält ein weitreichendes Netz an Produktions- und Vertriebsniederlassungen in der ganzen Region. Generell gelte, so Schubert: Wer in der Region investieren wolle, brauche zumeist einen langen Atem; wenn man bereit sei, diesen mitzubringen, sei die Region jedoch sehr interessant. Bevor man weitreichende Investitionen in der Region tätige, sollte man sich von lokalen Experten und Unternehmen beraten lassen. Aus der chaotischen postsowjetischen Transformationszeit ergäben sich Probleme, wie zum Teil ungeklärte Eigentumsverhältnisse. Dies könne zu Problemen führen, die durch die richtige Beratung vermieden werden könnten. Bei größeren Projekten empfehle es sich, auch die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG) als Investor zu beteiligen. Diese unterstütze bei etwaigen Problemen mit Expertise und Kontakten.
In der Region sei Usbekistan – mit seinen 34 Millionen Einwohnern – nicht nur als Absatzmarkt interessant; nach einem Regierungswechsel 2017 öffne sich das Land und entwickele sich schnell. Die überwiegend junge Bevölkerung Usbekistans sei so ambitioniert wie die Regierung. Außerdem sei die usbekische Regierung sehr entgegenkommend und flexibel. Das Land sei voll digitalisiert und von einer allgemeinen Aufbruchsstimmung ergriffen, das mache das Arbeiten in Usbekistan sehr angenehm. Geldtransfers seien nun ohne Probleme möglich, was in der Vergangenheit nicht der Fall war.
In jedem Fall sollte man sich über die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der einzelnen Staaten informieren, so Schubert, denn die Region sei in ihren Chancen und Risiken sehr divers. Neben dem besonders guten Investitionsklima in Usbekistan sei Georgien interessant. Georgien habe eine stark wachsende Tourismusbranche, verfüge über den liberalsten Kapitalmarkt der Region und sei bereits stark digitalisiert. Schnelle Prozesse ermöglichten schnelle Geschäftsgründungen, und – für die Region außergewöhnlich – die Möglichkeit von Debt-Equity-Swaps. Bei einem Debt-Equity-Swap werden aus Gläubigern eines kriselnden Unternehmens neue Gesellschafter. Georgien sei ein wichtiges Frachttransitland der Region, auch wenn aktuell durch das Iran-Embargo in seinem vollen Potenzial beeinträchtigt. Ein Problem Georgiens ist die wirtschaftliche Schwäche der Türkei, deren Produkte aufgrund der schwachen Lira auf den georgischen Markt drängten.
Neben positiven Beispielen, wie Georgien und Usbekistan, gibt es laut Thorsten Schubert auch Staaten in der Region, die ein schwieriges Investitionsklima haben, so zum Beispiel Turkmenistan. Turkmenistan sei komplett reguliert und zähle Nord-Korea, Weißrussland und den Iran zu seinen Freunden. Kirgistan und Tadschikistan seien als Investitionsländer ebenfalls vernachlässigbar, politisch instabile Regierungen und logistische Probleme sorgten für ein suboptimales Investitionsklima.
Armenien sei aufgrund seiner kleinen Bevölkerungsanzahl von ca. 3 Millionen, dem Konflikt mit der Türkei und dem BergkarabachKonflikt mit Aserbaidschan auf den Handel mit Russland beschränkt und als Investitionsland daher weniger interessant. Der Handel mit beiden Konfliktparteien könne zu Problemen führen, daher seien der armenische und der türkische Markt für Investitionen interessanter.
Die Chancen und Risiken für die Logistikbranche wurden von Jens Böhlmann in Vertretung von Perry Neumann, Präsident des „Clusters Russia“, CIS und Geschäftsführer Kuehne+Nagel (LLC) erläutert. Die Logistikbranche sei von der Covid-19-Pandemie schwer getroffen worden. Die fein austarierten Lieferketten des Welthandels hätten sich von dem Stillstand noch nicht wieder erholt. Daher werde in den nächsten drei Jahren auch für die Kaukasusregion und Zentralasien nur ein schwaches Wachstum im Bereich Logistik prognostiziert. Die Staaten der Region hätten unterschiedliche Herausforderungen, eine sei der oft fehlende Meerzugang, so zum Beispiel in Usbekistan, was den Transport erschwere und verteuere.
Alle Referenten waren sich einig: Bei dem Gebiet der Kaukasusregion und Zentralasiens handelt es sich um eine vielschichtige Region, die definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient. Trotz ihrer Größe und der Lage zwischen Europa, Russland, China und dem Mittlerer Osten sei sie lange vernachlässigt worden. Beispielhafte Entwicklungen wie die von Usbekistan und Georgien hätten die Region nun stärker in den Fokus der Weltwirtschaft gehoben und zeigten das Potenzial der Region für ausländische Investitionen auf. Die Entwicklung der letzten Jahre dränge dazu, sich stärker mit der Region auseinanderzusetzen. Denn trotz vieler Schwierigkeiten, die es zu beachten gelte, gibt es großes Potenzial und große wirtschaftliche Chancen in der Kaukasusregion und in Zentralasien.