Wenn Branchengrenzen verschwimmen - Energie- und Automobilindustrie nähern sich an
Dieser Abend war insbesondere für Vertreter der Stadtwerke von Interesse: In den Räumen der hsagON in Bremen erfuhren sie, welche Veränderungen auf ihr Geschäft zukommt, wenn neue Anbieter in ihren Markt eindringen und der Anteil von Elektrofahrzeugen rasant steigen wird.
Stefan Renkert, Vorstand bei der hasagON-Muttergesellschaft hsag Heidelberger Services AG, beschrieb in seiner Einführung die Chancen für die Stadtwerke, die auf neues Geschäft hoffen dürften. Zugleich wies er aber auch auf die Risiken hin, da neue Anbieter in das bestehende Energiegeschäft drängten und so Marktanteile in Gefahr gerieten.
Renkert weiß, wovon er spricht. Die hsag AG mit Sitz in Heidelberg und über 300 Mitarbeitern an acht Standorten deutschlandweit ist Dienstleister für die Energiewirtschaft und wickelt die Prozesse zwischen Energieversorgern und deren Kunden ab: Fragen rund um die Abrechnung, Vertragsformalitäten, Kündigungen. Die hasagON wiederum bündelt diese Erfahrungen aus der Energiebranche mit dem Knowhow aus der Automobilwirtschaft: Sämtliche Mitarbeiter bringen CRM-Erfahrungen aus diesem Bereich mit.
Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität bei der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau, wagte gemeinsam mit den Teilnehmern einen Blick in die nicht allzu ferne Zukunft und die dafür erforderliche Verkehrsplanung. Er richtete sein Augenmerk dabei auf die Herausforderungen beim Ausbau der Ladeinfrastruktur in urbanen Quartieren.
Zunächst zu den Grundlagen. Der aktuelle Modal Split für das Land Bremen sehe wir folgt aus: Kfz: 36%, Rad: 25%, Fuß: 25%, ÖPNV: 14%. Glotz-Richter verwies darauf, dass zur Elektromobilität mehr zähle als lediglich der Autoverkehr. Dazu gehörten auch: S-Bahnen, Busse (Batterie betrieben oder als Oberleitungsbusse), E-Bikes („Range Extender“), Lastenrfahräder und Nutzfahrzeuge.
Ein 18 Meter langer Bus verbrauche 40.000 Liter Diesel pro Jahr. Wie lässt er sich unter dem Gesichtspunkt des Wirkungsgrades sinnvoll ersetzen? Strom habe einen Wirkungsgrad von 75%. Bei Wasserstoff liege er lediglich bei 25%. Und die in letzter Zeit häufig angeführten synthetischen Kraftstoffe kämen lediglich auf 15%. Ein klares Plädoyer also für den elektrischen Antrieb.
Doch wie sieht es mit dem privaten Autoverkehr aus? Wie und vor allen Dingen wo kann er künftig seinen Stromverbrauch decken? Auch hierzu lieferte Glotz-Richter einige grundsätzliche Antworten. Zunächst sei zu unterscheiden zwischen „Ladestationen“ und „Ladepunkten“: Eine Ladesäule könne mehrere Ladepunkte enthalten. In Bremen gebe es derzeit 329 Ladepunkte an 174 Standorten. Zusätzlich 54 Schnelllader und insgesamt 20 verschiedene Anbieter.
Zudem müsse klarer differenziert werden, dass „öffentliche“ Ladesäulen nicht öffentlich, also nicht vom Staat betrieben würden. Es bedeute lediglich, dass sie öffentlich zugänglich seien, also im öffentlichen Raum stünden.
Wie sehen also die Planungen und die Ziele für die Elektromobilität in Deutschland insgesamt und im Land Bremen im Speziellen aus? Michael Glotz Richter konnte hierzu noch unveröffentlichte Zahlen präsentieren. Für den Zeitraum 2022 bis 2030 seien deutschlandweit 14 Millionen neue (reine) Elektroautos geplant; 2030 solle ihr Anteil an den Neuzulassungen 73% betragen. Auf Bremen heruntergebrochen bedeute dies, dass hier 50.000 bis 75.000 Elektroautos zugelassen sein würden. Dies bedeute einen Bedarf von 5.000 bis 10.000 Ladepunkten. Dies bedeute wiederum: Mehr öffentliche Ladepunkte im Straßenraum, konkret: im Schnitt alle 200 Meter zwei Ladepunkte.
Diese Vorgaben stießen allerdings an Grenzen. Zum einen würden aktuell 26% der öffentlich geparkten PKW über einen Zeitraum von 3 Tagen überhaupt nicht bewegt, würden also im öffentlichen Raum benötigten Platz blockieren, der zum Laden von E-Autos benötigt wird. Zum anderen nähmen auch immer größer werdende Autos immer mehr Platz in Anspruch, sodass Straßen und Bürgersteige immer stärker zugeparkt würden. Hinzu komme außerdem, dass Ladesäulen eine STVO-konforme Aufstellung mit entsprechenden Abständen erforderten.
All das führe zu der Erfordernis, dass „im öffentlichen Raum aufgeräumt werden müsse“. Ferner brauche es ein Straßenmanagement, das zu einer Entlastung beim Parkdruck führe. Mobilitätsdienstleister wie Carsharing-Anbieter müssten in diese Überlegungen integriert werden. Zudem seien ein digitales Zeitmanagement an den Ladesäulen und ein dynamisches Parkraummanagement erforderlich.
Abschließend gab Glotz-Richter zu bedenken, ein Carsharing-Auto ersetze 16 private PKW. Und: Das Laden an öffentlichen Ladesäulen sei teurer als das Laden an der eigenen Wallbox, was unter sozialen Gesichtspunkten zu einem Sprengsatz werden könnte.
Matthias Schmidt, Vorstand der hasagON, zeigte abschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen auf, unter denen der Ausbau der Elektromobilität stattfinde. Seit 2019 gelte die Verschärfung der Maximalwerte beim CO2-Flottenverbrauch von 95 Gramm je Kilometer, die bei Überschreitung Strafzahlungen in Höhe von 95 Euro je Gramm und Auto vorsehen.
Mit zahlreichen Maßnahmen fördere die Politik die Zulassung von Elektrofahrzeugen: KFZ-Steuerbefreiung für 10 Jahre, vergünstigte Dienstwagenbesteuerung, 9.000 Euro Umweltbonus, Investitionszuschüsse von 900 Euro je Ladepunkt (beispielsweise für die eigene Wallbox).
Der Markt für Energieanbieter ändere sich gerade stark, so Schmidt. Automobilhersteller drängten ebenso in den Strommarkt wie Mineralölunternehmen. Energieversorger ihrerseits drängten in das Geschäft der Ladesäuleninfrastruktur inklusive Speicherlösungen.
Energieversorgern empfehle er daher, Bündelprodukte anzubieten, wie es Anbieter wie newmotion, Elli (VW) oder IKEA (Familycard) bereits täten, um durch einen Angebots-Mix eine stärkere Bindung der Kunden zu erreichen.
In der anschließenden Diskussion trat ein interessanter Aspekt zutage: Michael Glotz-Richter vertrat dabei die Ansicht, wir müssten unser Mindset in Bezug auf das Auto in ähnlicher Weise ändern wie wir es in Bezug auf die Zigarette bereits getan hätten. Was er damit meine: In Filmen zu Zeiten von Humphrey Bogart sei es noch vollkommen selbstverständlich gewesen zu rauchen und seinem Gegenüber den Rauch auch ins Gesicht zu blasen. Das würde man heute in keinem Film mehr sehen. Er frage sich, wann Filme eine gewandelte Sichtweise auf das Auto in ähnlicher Weise abbilden würden.