Mitgliederbefragung Politpuls 2018: Vertrauensverlust der Großen Koalition IV in Europa-und Haushaltspolitik
Wir freuen uns, Ihnen heute die Ergebnisse der diesjährigen Politpuls-Umfrage des Wirtschaftsrates vorstellen zu können, die wir gestern im Rahmen unserer Jahrespressekonferenz präsentiert haben. Rund 2.500 Mitglieder beteiligten sich in diesem Jahr an der Politpuls-Umfrage des Wirtschaftsrates. Damit bleibt die Umfrage eine der größten, repräsentativsten Stimmungsbilder unter Unternehmern in Deutschland. Durch die Ergebnisse sieht sich der Wirtschaftsrat in seinen wesentlichen Positionen durch ihre Voten bestätigt.
Im Allgemeinen bewerten die Mitglieder die Große Koalition schlechter als im Vorjahr. Der deutlichste Vertrauensverlust ist in der Europa- (34 Prozent) und der Haushaltspolitik (46 Prozent) zu verzeichnen: minus 26 und 30 Prozent gegenüber 2017. Im vergangenen Jahr unterstützten die Unternehmer also noch mit klarer Mehrheit die Europapolitik und die Haushaltspolitik. Schlusslichter der Zufriedenheitsskala der abgefragten Politikfelder bilden die Digitalisierungs- (21 Prozent), Renten- (20 Prozent), Energie- (19 Prozent) sowie Steuerpolitik (17 Prozent). Diese Bewertungen stellen ein sehr eindeutiges Zeugnis über den Start der Großen Koalition IV aus: Sie ist mit zu viel Umverteilung gestartet, hat zu wenige Weichen für die Zukunft gestellt.
Die über 1.300 individuellen, interessanten Antworten, die Sie uns gegeben haben, werten wir noch gesondert aus und informieren Sie dazu in einer detaillierteren Übersicht.
Zu den Ergebnissen der einzelnen Themenfelder:
Massiver Vertrauensverlust in Europapolitik
Die deutlich geringere Unterstützung für die Europapolitik der Bundesregierung – nur noch 34 Prozent sind mit ihr zufrieden – ist nur ein Indiz für einen massiven Vertrauensverlust. Die Geldpolitik mit Niedrigzinsen und indirekter Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) zeigt eine weitere Folge: Nur rund 28 Prozent der Mitglieder vertrauen dem Kurs der EZB. Ganz anders sieht das bei der Deutschen Bundesbank aus: 74 Prozent unserer Mitglieder unterstützen die Politik von Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Der andauernde Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB hat dem europäischen Projekt bereits jetzt viel Glaubwürdigkeit gekostet und Schaden zugefügt. Nur mit einer Rückkehr zu einer soliden Geldpolitik kann die EZB Vertrauen zurückgewinnen.
In der Europapolitik ist auch die Bundesregierung gefordert, sich für die Rückkehr zu verbindlichen Regeln in Europa einzusetzen. So kann die Antwort auf Forderungen nach immer größeren Transfertöpfen nur lauten: Jedes Land muss zuerst selbst seine Strukturen für Wachstum und Beschäftigung verbessern. Danach kann es auf die Solidarität der anderen setzen.
Finanzpolitischen Spielraum für Steuersenkungen nutzen
Eine solide Haushaltspolitik mit Einhaltung der „schwarzen Null“ ist 86 Prozent der befragten Mitglieder sehr wichtig oder wichtig. Für Steuerentlastungen ist angesichts von Steuermehreinnahmen von 2016 bis 2022 in Höhe von über 170 Milliarden Euro genügend Spielraum vorhanden. In Zeiten sprudelnder Steuermehreinnahmen müssen wir den Leistungsträgern unserer Gesellschaft etwas zurückgeben. 78 Prozent unserer Mitglieder fordern zu Recht einen Abbau des Solidaritätszuschlages noch in dieser Legislaturperiode. 86 Prozent fordern eine Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Preissteigerung und die Glättung des sogenannten Mittelstandsbauches. Die Erhöhung der Schwelle, von der ab der Spitzensteuersatz greift, ist für 73 Prozent wichtig.
Kopplung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung
Die Pläne der Großen Koalition in der Rentenpolitik bewertet die überwiegende Mehrheit der Unternehmer kritisch. Dagegen halten 82 Prozent eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung für richtig. Wir sehen das als Aufforderung, weiter für eine nachhaltige, generationengerechte Rentenpolitik einzutreten. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der Bindung des Renteneintrittsalters an die stetig steigende Lebenserwartung müssen dringend umgesetzt werden.
Standortpolitik muss Kosten und Bürokratie ins Visier nehmen
Ein enormer Kostenfaktor, der Deutschland von seinen Nachbarn negativ abhebt, sind die hohen Energiepreise: Für 74 Prozent der Mitglieder sind die Strompreise mit ihrem staatlich verordneten Anteil von gut drei Vierteln zu hoch. Hier ist die Politik gefordert, über die notwendige Entlastung der energieintensiven Betriebe hinaus für Entlastung zu sorgen. Bei der Beantwortung einer offenen Frage schrieben besonders viele Mitglieder, dass sie sich durch die wachsende Bürokratie massiv belastet und am unternehmerischen Handeln gehindert sehen. Verlässliche Verwaltungsstrukturen sind ein positiver Standortfaktor, aber Deutschland braucht dringend eine breitangelegte Entbürokratisierungsinitiative, sonst ersticken die Betriebe.
Flächendeckende Breitbandversorgung vorantreiben
Großer Handlungsbedarf besteht auch bei der Digitalisierung: 97 Prozent sagen, dass sich die Bundesregierung verstärkt um den Ausbau des schnellen Internets kümmern sollte. Der Wirtschaftsrat fordert seit langer Zeit eine flächendeckende Breitbandversorgung. Zugang zu schnellem Internet ist Grundvoraussetzung für digitale Anwendungen und Innovationen. 88 Prozent fordern Entlastungen im Datenschutz – insbesondere nach Einführung der EU-Datenschutzgrundverordnung.
Union und FDP büßen Wirtschaftskompetenz ein
Bei der Bewertung ihrer Wirtschaftskompetenz fiel die Union binnen eines Jahres von 81 auf 59 Prozent, die FDP von 88 auf 76 Prozent. Die Unionsparteien hatten im letzten Jahr durch ihre programmatischen Weichenstellungen vor der Bundestagswahl ein deutlich schärferes Profil. CDU und CSU leiden unter dieser Regierung. Die FDP besitzt zwar das stärkste wirtschaftspolitische Profil, aber ihr Ausstieg aus den Sondierungsverhandlungen hat doch viele nicht überzeugt.
Fakten zur Umfrage
11.150 der rund 12.000 Mitglieder des Wirtschaftsrates haben das Umfragetool des Wirtschaftsrates freigeschaltet. Frage 1 beantworteten 2.474 Personen, bei Frage 12 waren es 2.305. Wissenschaftlich begleitet wurde die Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut dimap. Die Umfrage wird jährlich zu den aktuellen politischen Entwicklungen durchgeführt.
Hier gelangen Sie zu den vollständigen Umfrageergebnissen.
Presseecho zur Umfrage:
Der Tagesspiegel berichtet über den Vertrauensverlust der Mitglieder in der Europa- und Haushaltspolitik.
Die FAZ berichtete über die Ergebnisse der Umfrage und stellte in Bezug auf die Wirtschaftskompetenz fest: „In der aktuellen Befragung wird der FDP mehr wirtschaftspolitische Kompetenz zugebilligt als der Union, die von 81 auf 59 Prozent abstürzt.“
Die Wirtschaftswoche und das Nachrichtenprotal n-tv zitierten Werner M. Bahlsen mit „Das Vertrauen der Firmen in die Europa- und Haushaltspolitik sei zum Vorjahr massiv abgestürzt.“