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Bericht
20.04.2020
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Aus den Ländern (Hamburg): Corona-Krise - Mit offensiver Strategie die Zukunft angehen

Online-Talk

Prof. Dr. Thomas Straubhaar für stärkere Relokalisierung der Produktion
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Nach Meinung Straubhaars muss jedes politische Handeln mit der Frage beginnen, „welches Ziel soll hinter einzelnen Handlungen stehen? Was genau ist die Absicht unseres Tuns als Gesellschaft, als Politik, als Regierung?“ Ein konsensfähiges Ziel könne lauten: So viele Menschen wie möglich sollen ein gesundes, langes und wohlhabendes Leben führen können. Dies impliziere die Einsicht, dass Pandemien wie diese – bei allem Schrecken und Elend – nur ein Teil dessen sein, was die Gesundheit und das Leben einer Gesellschaft ausmachten. Die Ökonomik könne darauf hinweisen, dass es neben direkten auch indirekte Folgeeffekte gebe, die mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie verbunden seien.

 

Ob die heutige Krisenpolitik erfolgreich ist oder nicht, wird sich nach Einschätzung von Thomas Straubhaar erst in einigen Jahren bewerten lassen. Denn nur der Langzeitvergleich könne zeigen, wie sich insgesamt der Gesundheitszustand der Gesellschaft, z.B. die Lebenserwartung und die Zahl der Schwersterkrankten, entwickelt habe. 

 

Anhand eines aus der Statistik bekannten Hypothesentests (alpha−Fehler versus beta−Fehler) veranschaulichte der Experte die Entscheidungslogik der Politik in der Corona-Krise. „Das ganze menschliche Leben besteht, wie bei der Künstlichen Intelligenz auch, aus einer 0-1-Entscheidung. Wir haben die Option zu sagen, das Virus ist etwas sehr Gefährliches oder es ist ungefährlich“, so Straubhaar. alpha−Fehler und beta−Fehler entstehen, wenn jeweils die Ex Ante-Erwartung und die Ex Post-Realität nicht zusammenpassen. Übertragen auf die Corona-Pandemie bedeutet das:

  • Der alpha−Fehler tritt ein, wenn das Virus als gefährlich eingeschätzt wird, entsprechend einschneidende Maßnahmen ergriffen werden, sich später aber herausstellt, dass es doch eher ungefährlich war.
  • Der beta−Fehler tritt, wenn das Virus als wenig gefährlich eingestuft wird, die ergriffenen Maßnahmen daher nur schwach sind, später aber herauskommt, dass es doch sehr gefährlich war.

 

„Wenn Sie heute sagen, dass Corona-Virus ist […] nichts anderes als ein Grippe-Virus und es erweist sich ex post, dass es ein gefährliches Virus war […], dann sind sie ein richtiger Loser. Dann sind sie das Feindbild der Nation auf alle Zeiten. Sie haben politisch nie mehr etwas zu melden“, urteilte der Schweizer über die Konsequenzen des beta−Fehlers. Ganz anders sehe es beim alpha−Fehler aus: Wer vor der Gefahr warnt und die Menschen schützt, stehe heute als „großer Macher“ da. Sollten sich die Maßnahmen in ein paar Jahren als überzogen erweisen, seien diese Folgeschäden – im Vergleich zum „beta−Fehler des Versagers“ zu vernachlässigen. Diese Folgefehler ließen sich nur ganz schwer auf die überzogene Politik von heute zurückführen.

 

Daraus ergibt sich für Thomas Straubhaar die Erkenntnis, dass Politik in einer Demokratie dazu neigt, kurzfristige Effekte zu über- und langfristige Effekte zu unterschätzen. Es werde lieber zu viel als zu wenig getan. Das habe gewaltige Auswirkungen, da eben nicht das große Ziel – das bestmögliche Leben für möglichst viele Menschen – im Vordergrund stehe, sondern das Bestreben der Politik, den beta−Fehler zu vermeiden.

 

Straubhaar betonte im Weiteren, dass „Leben“ und „Wirtschaft“ keine Gegensätze seien. Es brauche eine starke Wirtschaft, gerade um die Voraussetzungen zu erfüllen, ein gutes Gesundheitssystem finanzieren zu können. Die Empirie zeige, dass eine gesunde Wirtschaft und ein sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem in hohem Maße korrelierten.

 

Schließlich wandte sich der Ökonom der Frage zu, wie in naher und ferner Zukunft weitergeht. Straubhaar betonte, dass sich die Gesellschaft noch lange auf sehr starke Einschränkungen gefasst machen müsse. Die Regierung schwanke zwischen Verzögerungs- und Vernichtungsstrategie gegenüber dem Corona-Virus. Er rechne mit einem Hin und Her, bei dem auf Lockerungen wieder steigende Infektionszahlen folgen, die wiederum eine Verschärfung der Maßnahmen nach sich ziehen. Man könne man überschlagsartig davon ausgehen, dass der makroökonomische Schaden pro Woche bei 30 bis 35 Milliarden Euro liege. Die Akzeptanz der Maßnahmen werde in dem Maße schwinden, wie die indirekten Effeke, z.B. psychologische Belastungen, zunehmen.

 

„Wir sollten uns von dem Gedanken lösen, dieses Virus vollständig vernichten zu können“, sagte Thomas Straubhaar. Wenn Covid-19 überwunden sei, könne das nächste Virus schon anklopfen – sowohl biologischer als auch virtueller Art. Es habe eine Zeit begonnen, in der „wir nie so ganz sicher sind, wo die nächste Unsicherheit um die Ecke kommt“. Diese Ungewissheit und Unsicherheit müssten in Zukunft in Geschäftsmodelle eingebaut werden.

Der Schweizer plädierte in diesem Zusammenhang für eine offensive Zukunftsstrategie. Eine solche setze darauf, „heute schon die Technologie [zu] haben – bei Digitalisierung, in der Datenökonomie – um über neue Innovationen zu ermöglichen, dass wir mit den Viren leben lernen.“ Von daher spreche Vieles dafür, sich nicht verängstigen zu lassen.

 

In der an den Impuls anschließenden Fragerunde ging Thomas Straubhaar u.a. auf den Einfluss der Corona-Krise auf die Globalisierung ein. Er erkennt die Chance, spürbare Abhängigkeiten zu verringern: „Ich sehe riesengroße Vorteile, weil mich die Abhängigkeit des China-Geschäfts schon lange unruhig hat werden lassen“, sagte er. Müssten die Containerschiffe denn immer größer, die Arbeitsteilung immer feiner und die Spezialisierung immer höher werden? Innovative und digitale Technologien, wie z.B. der 3D-Druck, ermöglichten das Zurückholen der Produktion dorthin, wo die Kunden seien. Darin liege ein positiver Schritt in Richtung einer stärkeren Relokalisierung der Produktion.