Corona-Warn-App: Deutsche IT-Industrie stellt Know-how unter Beweis
Online-Talk
Alltagsmaske, Abstandhalten, App: Deutschland nutzt zur Eindämmung der Corona-Pandemie ein „Triple A“ – und setzt mit seiner neuen „Corona Warn App“ in mehrfacher Hinsicht international Maßstäbe. Dass die Anwendung wenige Tage nach dem Start am 16. Juni schon fast zehn Millionen Mal heruntergeladen wurde, untermauert die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Deutschlands IT-Industrie hat ihr Know-how mit der Corona-Warn-App eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Entwickelt wurde die App in enger Zusammenarbeit von SAP und der Deutschen Telekom. Wertvolle Unterstützung erhielten die beiden Konzerne u.a. von der Fraunhofer-Gesellschaft. Das Ergebnis der Kooperation mag für den App-Nutzer schlicht wirken, die dezentrale Softwarearchitektur dahinter ist jedoch hochkomplex.
Im Online-Talk mit dem Wirtschaftsrat Hamburg berichteten die Telekom-Experten Fritz-Uwe Hofmann, Leiter der politischen Interessenvertretung, und Thomas Schauf, Senior Expert Public & Regulatory Affairs, von der Entwicklungsarbeit, gaben Einblick in die technische Architektur und erläuterten die Funktionsweise der App.
Lediglich 50 Tage hat die Entwicklungszeit der Corona-Warn-App in Anspruch genommen. Größtenteils wurde im Homeoffice daran gearbeitet. Dass ein solches „Megaprojekt“ in derart kurzer Zeit und unter derart ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen gelungen ist, ist für Fritz-Uwe Hofmann ein starker Beweis für die Kompetenz und die Kreativität in der deutschen IT-Szene. „[…] wir sehen so oft Medienmeldungen: Deutschland ist Schlusslicht oder wir bewegen uns allenfalls im Mittelfeld bei allem was wir tun. Ich glaube, hier sind wir mal ganz vorne mit dabei.“ Die Disziplin und der Wille zur Problemlösung seien im gesamten Team vorbildlich gewesen. Die Arbeit innerhalb eines der größten und wichtigsten Open-ScourceProjekte, die es in Deutschland jemals gab, könne als Blaupause für künftige Public Private Partnership Vorhaben dienen.
Deutschland sei nun das erste Land, das eine so präzise App auf Basis der neuen Schnittstellen von Google und Apple flächendeckend und mit einer dezentralen Softwarearchitektur zum Einsatz bringe. Die App käme termingerecht vor der Reisezeit und konzentriere sich vorerst auf die Funktionalität innerhalb der Bundesrepublik. Man habe aber die Interoperabilität mit anderen europäischen Lösungen von Beginn an mitgedacht. Da manche Staaten auf andere Schnittstellen setzten, sei der Datenaustausch wesentlich komplizierter, aber technisch machbar.
Vor allem Frankreich gehe mit einer zentralen Datenspeicherung auf Staatsservern einen eigenen Weg und verwende eine ältere Bluetooth-Technologie, was u.a. den Stromverbrauch stark erhöhe. Strom- und Datenverbrauch der deutschen App seien dank der neue Bluetooth-Low-Energy-Funktionalität hingegen minimal.
Entwickelt wurde die App konsequent aus Anwendersicht, um die Akzeptanz der Bevölkerung sicherzustellen. Nutzer müssen keine persönlichen Angaben machen, Bewegungsprofile werden nicht erstellt. Während der gesamten Entwicklungsphase sei auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte geachtet worden, „denn nicht alles was technisch möglich wäre, ließe sich politisch durchsetzen und den Nutzern vermitteln“, betonte Thomas Schauf. Dennoch digitalisiere und automatisiere die App den gesamten Arbeitsprozess nach einer potenziellen Corona-Infektion: Von der Nachverfolgung der Infektionsketten über die Risikoermittlung und Anbindung von Test-Zentren, Laboren und Gesundheitsämtern bis hin zur Information des Einzelnen zu seinen Testergebnissen und konkreten situativen Handlungshinweisen. Dies nehme viel Arbeit aus den meist ohnehin überlasteten Gesundheitsämtern. Die App verschaffe uns „durch die Digitalisierung der Prozesse einen echten Geschwindigkeitsvorsprung. Wir sparen durch die Digitalisierung des Testprozesses ca. drei bis vier Tage und damit unterbrechen wir Infektionsketten wirkungsvoll“, so Schauf.
Ergänzend sagte Fritz-Uwe Hofmann zum Datenschutz: „Die App wird betrieben aus einem Hochsicherheitszentrum in Deutschland und ist somit für mich ein Musterbeispiel wie zukünftige europäische Cloud-Projekte aussehen könnten.“ Nach einer jetzt beginnenden zweiten Entwicklungsphase werde die App auch epidemiologische Daten sammeln können, um beispielsweise die Bestimmung des R-Wertes zu erleichtern und verbessern. Diese Funktionen würden dann per Update in die App implementiert.
Thomas Schauf hob im Weiteren noch einmal besonders die doppelte Freiwilligkeit der Anwendung hervor. Die Datenverarbeitung der App beruht einerseits darauf, dass der Nutzer sie freiwillig herunterlädt bzw. nutzt. Andererseits darauf, dass er über die Weitergabe einer möglichen Infektionswarnung frei entscheidet.
Innerhalb des Menüs könne der Anwender die Live-Risikoermittlung, also den Austausch seiner Pseudo-ID mit anderen Nutzern und das zweiwöchige dezentrale Speichern dieser Daten, zu jeder Zeit ein- und ausschalten. Das entscheidende Erfolgskriterium der App sei schließlich die Akzeptanz in der Bevölkerung und die „freie Nutzerentscheidung zur App“. Mit der Speicherung von Klardaten und dem direkten Anbinden der Gesundheitsämter wäre zwar mehr Pandemieschutz möglich gewesen, „aber nicht alles was technisch möglich ist, ist auch politisch klug“, erklärte der Experte erneut. Datenschutz werde in Deutschland immer auch als Hinderungsgrund für die Zukunftsfähigkeit der nationalen Digitalwirtschaft angesehen. Die App sei ein klares Beispiel dafür, dass auch unter Beachtung des strengen deutschen Datenschutzes digitale Projekte erfolgreich umgesetzt werden könnten.
Wie auch der Wirtschaftsrat sind die beiden Vertreter der Telekom der Auffassung, „dass wir während Corona als Gesellschaft gezeigt haben, dass wir nicht überall ein Gesetz brauchen – sondern, dass wir wieder mit Menschenverstand arbeiten und darüber sehr gut miteinander klarkommen können.“