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Bericht
20.05.2019
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"Emphatisch und flexibel auf Beschäftigte eingehen"

Bei der jüngsten Sitzung des „Beirats der Unternehmerinnen“ sprach Prof. Manuela Rousseau über den Werte- und Kulturwandel in Unternehmen. Die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Beiersdorf AG skizzierte die neue Alltagsrealität innerhalb von Großkonzernen und stellte dar, weshalb der Führungsstil neu gestaltet und das ökonomische Denken transformiert werden müsse, um gegenwärtigen Erwartungen an die Arbeitswelt gerecht zu werden.
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Zu Beginn lud die Referentin auf eine Gedankenreise durch den Beiersdorf Konzern ein: Rousseau startete mit einem Rundgang durch die Räumlichkeiten des Unternehmens der Vergangenheit, welches sich durch feste Arbeitszeiten, getrennte Arbeitsbereiche und strikte Regelungen kennzeichnete. Anschließend führte sie durch das gegenwärtige Unternehmen, wo es aufwendige Rückzugs- und Entspannungsbereiche gebe – und viele Arbeitsplätze leer seien. Der Grund hierfür liege jedoch nicht in Personalmangel oder Insolvenz, sondern vielmehr in der kulturellen Neuorientierung des Konzerns, die sich insbesondere durch Freiheit und Flexibilität auszeichne. Mitarbeiter könnten sich ihre Arbeitszeiten selbst einteilen und ihren Arbeitsplatz frei wählen. Rousseau stellte klar: „Bei Beiersdorf ist jeder in seiner Funktion präsent – ob im Büro, im Home Office, in einer Videokonferenz, einer Schulung, auf einem Kongress, oder im Außendienst. Aber die Beschäftigten sind nicht dauerhaft anwesend.“

 

In der Anpassung an moderne Anforderungen sei es zunächst erforderlich, dass ein Umdenken im Führungsbereich stattfinde. In einer sich ständig verändernden Welt müssten sich die Menschen in ihren Fähigkeiten und ihrem Handeln genauso weiterentwickeln wie die Technik. Für Führungskräfte bedeute dies, die eigene Rolle zu reflektieren, zu hinterfragen, neu zu erfinden und selbst neue Handlungsweisen zu adaptieren. Einerseits betreffe dies das Verhältnis zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern. Im Zentrum stünden hierbei das Loslassen und das Zurückfahren von Kontrolle, die durch starkes gegenseitiges Vertrauen ersetzt werden müsse. Nur so könne der heutige Anspruch einer individuell optimalen Work-Life-Balance erfüllt werden, der speziell unter jungen, qualifizierten Nachwuchskräften ein ausschlaggebendes Kriterium für die Arbeitsplatzwahl sei.

 

Auch sei die Einsicht erforderlich, dass der Mensch den wichtigsten Faktor im Unternehmensprozess darstelle. Deswegen müssten das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Beschäftigten im Vordergrund stehen. Wenn Mitarbeiter geschätzt und gefördert würden, könne die Motivation und Arbeitseffizienz gesteigert werden. Auf der anderen Seite gehöre auch die Offenheit gegenüber neuen technologischen Möglichkeiten und deren Einbindung zu einem modernen Führungsstil, um höchstmögliche Effizienz zu erlangen und im internationalen Wettbewerb mithalten zu können.

Zu ihrem Konzept der „Leadership 4.0“ erläuterte Manuela Rousseau, dass die moderne Führungskraft als Coach fungieren müsse, der seinen Mitarbeitern – seinem Team – Orientierung gebe. Kommunikationsfähigkeit sei hierbei besonders gefragt. Dieses Ziel erfordere den bereits erwähnten drastischen Wandel von Werten und Kulturen innerhalb von Unternehmen: Weg von Generalisierung und strenger Regulation, hin zu Freiheit und Flexibilität.

 

Eine Kultur des Vertrauens ermögliche beispielsweise die selbstständige Organisation von Arbeitsverantwortung, wodurch Eltern am Nachmittag Zeit mit ihren Kindern verbringen und im Gegenzug abends die restliche Arbeit erledigen könnten. Dies setze ein Vertrauensverhältnis zwischen Führung und Beschäftigten voraus. Zum einen müssten Mitarbeiter den Mut haben, ihre Freiheit einzufordern. Zum anderen müssten Vorgesetzte sich auf die Ehrlichkeit ihres Personals verlassen können. Ein Missbrauch dieses Vertrauens schädige das gesamte Arbeitsklima eines Konzerns und müsse daher durch klare Sanktionen unterbunden werden.

 

Im Zuge dieser Transformation müsse selbstverständlich berücksichtigt werden, dass Frauen und Männer gleichermaßen Führungspositionen übernehmen könnten und sollten. Außerdem gelte es, die Arbeitslast in leitenden Positionen aufzuteilen, um möglichst Vielen einen maximalen Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit zu ermöglichen.

Im Hinblick auf Werte hob Rousseau hervor, dass Toleranz und Respekt in der heutigen Unternehmensführung entscheidend seien, da die Herausforderungen der modernen Gesellschaft ausschließlich durch Diversität gelöst werden könnten. Eine reiche Basis vielfältiger Kulturen, Sprachen, Sozialisierungsprozesse und Unternehmenserfahrung biete erst die Voraussetzungen, um mit neuesten Entwicklungen mitzuhalten und Lösungen für Probleme zu finden. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei ein Wandel der Kommunikations- und Diskussionskultur.

 

Zum Abschluss zitierte Rousseau als Denkanstoß ein Zitat des polnischen Schriftstellers und Satirikers Gabriel Laub: „Phantasie ist etwas, was sich manche Leute gar nicht vorstellen können.“

 

Im Anschluss an den Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion. Trotz Zeit- und Kostenaufwands waren sich alle einig, dass eine Umstrukturierung der Unternehmenskultur sowohl für die Beschäftigten als auch die Führungskräfte lohnenswert und angesichts der großen Umwälzungen in der Arbeitswelt unvermeidbar sei.