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Bericht
22.10.2018
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Fachkräftemangel: Nur eine Phantomangst?

Das düstere Szenario, wonach Deutschland die Fachkräfte ausgehen, geistert seit Jahren durch die Republik. Einer, der diesen Pessimismus nicht teilt, ist der renommierte Schweizer Ökonom Prof. Dr. Thomas Straubhaar, derzeit Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.
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Beim Wirtschaftsrat legte er dar, warum der Fachkräftemangel aus seiner Sicht nicht mehr als eine auf falschen Prognosen basierende „Phantomangst“ sei. Seine These: Alterung und Digitalisierung gingen Hand in Hand. Erstere werde die Arbeitsnachfrage senken, letztere das Arbeitsangebot reduzieren. Beides zusammen sorge für einen gleichlaufenden Verlauf, sodass sich die Angst vor einem großen Fachkräftemangel als unbegründet herausstellen werde.

 

Kritisch stellte Straubhaar gleich zu Beginn fest, dass das marktwirtschaftliche Prinzip im Zusammenhang mit Fachkräften nicht richtig funktioniere. Um dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, also geringem Angebot entgegenzuwirken, müsste der Preis, d.h. die Löhne steigen. Dazu seien viele Unternehmen aber nicht bereit. Anstatt auf bewährte Marktmechanismen zu setzen, werde lieber die Politik um Hilfe gerufen, in der Hoffnung, diese werde das Problem lösen.

Steigende Löhne hätten laut Straubhaar zwei unmittelbare Effekte: Einerseits würde der Anreiz für Unternehmen steigen, noch mehr Arbeit durch Kapital – also durch weitere Mechanisierung und künstliche Intelligenz – zu ersetzen. Auf diese Weise ließe sich vermeiden, dass man in Deutschland noch länger daran festhalte, Tätigkeiten manuell zu erledigen, die im Ausland schon längst nicht mehr von Hand geleistet würden. So gelinge es, bei der Digitalisierung den Anschluss zu halten: „Wenn wir versuchen das Problem zu lösen, indem wir Arbeit weiterhin billig halten und die Löhne für Fachkräfte nicht ansteigen lassen, dann werden wir in der Digitalisierung nicht das Tempo auf die Straße bringen, das gefordert ist, um auch in Zukunft die Produktivität zu erreichen, die es uns erlaubt, auch zukünftig hohe Löhne für andere Branchen, für andere Jobs bezahlen zu können“, warnte der Ökonom.

Andererseits steige durch höhere Löhne auch der Anreiz zu arbeiten. Denn durch höheres Einkommen werde auch die Freizeit teurer. Dies hätte wiederum ein größeres Arbeitsangebot zur Folge, was den Arbeitsmarkt langsam wieder ins Gleichgewicht brächte.

 

Weitere Kritik richtete Straubhaar gegen jene Fachkollegen, deren Prognosemodelle für die Entwicklung des Arbeitsmarktes davon ausgingen, dass sich Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot in Zukunft genauso entwickelten wie in den Jahrzehnten zuvor. „Da können Sie nicht die letzten zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre als Stützraum nehmen und dann sagen, für 2030 kommen hohe Zahlen für einen Fachkräftemangel heraus und die Digitalisierung klammern Sie dabei komplett aus“, so der Schweizer. 

Er selbst habe bei seinen Überlegungen berücksichtigt, wie groß der arbeitssparende Produktivitätsfortschritt der Digitalisierung sein müsste, damit es aufgrund des Arbeitsangebots und der Anzahl Menschen, die in Deutschland leben und leben werden zu keinem Fachkräftemangel komme. Das Ergebnis: „Wenn wir eine schwache Zuwanderung haben, 100.000 Menschen netto pro Jahr, dann genügt eine Effizienzsteigerung pro Jahr um 0,8%. Wenn wir eine starke Zuwanderung haben, 200.000 Menschen netto pro Jahr, dann genügen schon 0,5%“, erklärte der Ökonom.

 

Seit dem Zweiten Weltkrieg habe die Produktivitätsfortschrittsrate in Deutschland aber immer bei etwa 2% gelegen. Straubhaar weiter: „Auch, wenn Sie sehr konservativ an die Sache herangehen und wenn Sie meinen Modellen Mängel vorwerfen – selbst wenn ich mich um 100% vertan habe: Sie müssen erkennen und dankbar dafür sein, dass wir demografisch vielleicht in eine Situation kommen, in der wir nicht eine stark wachsende Bevölkerung haben wie in den sechziger Jahren. Sondern in der Tendenz eine stagnierende, vielleicht schrumpfende Bevölkerung.“

 

Anstatt über den Fachkräftemangel zu klagen, sollten Überlegungen dazu angestellt werden, wie die Nachfrage- und Angebotsstrukturen der Zukunft aussehen werden und welche Schlüsse daraus für die Gesellschaft zu ziehen seien. So müsse u.a. das Bildungssystem an die im Zeitalter der Digitalisierung erforderlichen Fähigkeiten angepasst werden.

 

Im Anschluss an den Vortrag lud die Aon Holding Deutschland GmbH noch zu einem Imbiss und Getränken ein.