Innovationen voraus - Was Deutschland von der Hightech-Nation Israel lernen kann
Online-Talk
Kleines Land, große Innovationskraft: Israel zählt zu den führenden Hightech-Standorten in der Welt. Die quirlige Startup-Szene genießt einen schon fast legendären Ruf. Es treffen Erfindergeist, Improvisationstalent und eine positive Fehlerkultur auf erstklassige Forschungszentren, herausragende Talentschmieden und das weltweit höchste Risikokapitalaufkommen pro Kopf. Dass Israel, indem es voll auf Hightech setzt, den richtigen Weg eingeschlagen hat, beweist nicht zuletzt die Corona-Pandemie. Digitalisierung und technologische Innovationen sind auch für die deutsche Wirtschaft unverzichtbar. Gerade jetzt bietet das israelische Innovationssystem vielversprechende Ideen und passende Talente, von denen die deutsche Startup-Szene lernen kann.
Vor diesem Hintergrund begrüßte der Wirtschaftsrat Hamburg Carsten Ovens und Natalie Gips vom ELNET Deutschland e.V. im Rahmen eines weiteren Online-Talks. Die Veranstaltung moderierte Michael Pietz, Vorsitzender der Landesarbeitsgruppe „Hamburg – Internationale Beziehungen“ im Wirtschaftsrat Hamburg.
Das European Leadership Network ELNET ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich der Vertiefung der deutsch-israelischen Beziehung verschrieben hat. So organisiert der Verein u.a. regelmäßig Konferenzen sowie Studienreisen nach Israel, um Wirtschaft und Politik zu vernetzen.
Startups und Unternehmensgründungen mit einer innovativen Geschäftsidee entstehen in Israel meist leichter und schneller als in Deutschland. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist dabei laut Carsten Ovens, Executive Director von ELNET Deutschland, die Mentalität: In Israel gingen die Menschen bereitwillig neue Risiken ein, ohne dabei etwas von ihrer Lebensfreude zu verlieren. Hierzulande sei die Gesellschaft von Wohlstand und Sicherheit geprägt – und damit eher risikoscheu eingestellt. Statt den Unternehmertraum zu verfolgen, würden Viele ein Angestelltenverhältnis in leitender Funktion bevorzugen. Auch die Fehlerkultur sei in Israel ein ganz andere. Um große Investoren zu halten, reiche es meist schon aus, ein Produkt zu 80 Prozent entwickelt zu haben. In Deutschland hingegen werde in der Regel erst in vollständig entwickelte, getestete und evaluierte Produkte investiert, die zusätzlich dem strengen deutschen Datenschutz genügen müssten.
Bezugnehmend auf eine BITKOM-Studie verwies Carsten Ovens darüber hinaus auf drei Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft:
- Die eigene Digitalisierung/Technologisierung wird mehrheitlich als nur befriedigend eingestuft.
- Nur jedes dritte Unternehmen hat überhaupt eine eigene Digitalisierungsstrategie.
- Je größer die Unternehmen, umso eher sehen sie sich in Sachen Digitalisierung vorn. Der (kleinere) Mittelstand droht abgehängt zu werden.
Israels Startups lassen sich vor allem folgenden Branchen zuordnen: digitale Gesundheit, Green Tech, Mobility und Cyber-Sicherheit. In ersterer gebe es einen starken Trend in Richtung automatischer Diagnostik. Symptome würden automatisch gesammelt, ausgewertet und am Ende einem typischen Krankheitsbild zugeordnet. Dies habe auch vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie zu schnellen Erkenntnisgewinnen geführt.
Im Kontext von Green Tech Mobility berichtete Natalie Gips, Program Manager bei ELNET Deutschland, von einem Startup aus Tel Aviv, das künftig Elektroautos während der Fahrt über Induktion laden wolle. Besonders interessant sei dies für Busse, da diese häufig die gleiche Strecke fahren würden und so auf große Akkus verzichten könnten. Es gebe bereits Teststrecken in Tel Aviv und Schweden. Auch die deutsche EnBW habe nun einen Kooperationsvertrag abgeschlossen und wolle die Technologie in Karlsruhe testen.
Weltweit führend ist Israel im Bereich Cyber-Security, was nicht zuletzt mit der herausragenden Bedeutung des Militärs zu tun hat. Jeder männliche Staatsbürger habe drei, jede israelische Staatsbürgerin zwei Jahre Militärdienst zu leisten. Die Armee stehe somit mitten in der Gesellschaft und im Leben eines jeden Bürgers. Bereits zu Beginn der 2000er Jahre hätten Regierung und Militär große Summen in die universitäre und praktische IT-Bildung der Bürger investiert und eigene Spezialeinheiten zur Abwehr von Cyber-Angriffen gegründet. Soldaten aus diesen Einheiten würden sich nun häufig mit eigenen Ideen zur weiteren Verbesserung dieser Systeme selbstständig machen und eine lebendige IT-Startup-Szene entstehen lassen.
Im Vergleich zur israelischen sei die deutsche Venture Capital Szene eher klein und geprägt von „abhängigen“ Gesellschaften, die meist zu großen Konzernen gehörten. Deren Ziel sei es, für die Konzerne nach neuen Technologien Ausschau zu halten und in passende Unternehmen zu investieren – mit dem Ziel, sie bei erfolgreicher Anwendung ihrer Technologie zu übernehmen.
Unabhängige Geldgeber gebe es in Deutschland nur wenige. Und diese seien bei deutschen Gründern auch nicht unbedingt beliebt. Bevorzugt würden Business Angels, die sich im Tagesgeschäft im Hintergrund hielten. Deutschland könne von Israel insofern viel über den bewussten Umgang mit Risiken und Investitionen in Zukunftstechnologien lernen. Ein Investor sei kein Spieler, der nicht wisse, wohin mit seinem Geld. Ein Investor sei im Gegenteil ein kluger Unternehmer, der durch den bewussten und abgewogenen Einsatz von Finanzmitteln versuche, sein Kapital durch den Einstieg in zukünftige Geschäftsfelder zu vergrößern.