Ökonomie und Migration: Die großen Herausforderungen für Europa
Roland Koch, derzeit Vorsitzender des Aufsichtsrats der UBS-Europe SE, warf zunächst einen Blick auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und die neue Rolle Europas. Die Weltwirtschaft sei immer weniger von internationalem Denken geprägt. Getrieben von Donald Trump breite sich ein zunehmender, ökonomischer Nationalismus aus, der die Länder zwinge, sich anders als bisher zu organisieren.
In einer Zukunft, die von großen Staaten und Einheiten mit über 500 Millionen Einwohnern geprägt sein werde, könne dieser Nationalismus letztlich zum Auseinanderfallen Europas führen – mit der Konsequenz, dass die europäischen Staaten und insbesondere Deutschland wirtschaftlich sowie politisch in der Bedeutungslosigkeit verschwinden könnten.
Dieser ökonomischen Herausforderung müsse Europa sich nun stellen. Der Euro sei dabei ein wichtiges Instrument, um gemeinsam in der Welt auftreten zu können. Freihandelsabkommen zwischen Europa und anderen Teilen der Welt mit unterschiedlichen Währungen seien extrem kompliziert. Es werde zwar weiterhin einen heftigen Kampf zwischen Haushaltsdisziplin und Kompromissen geben, aber ein Ende des Euro sei keine Option, da dann das europäische, gesamtstaatliche Interesse auseinanderbreche, warnte Koch. Deutschland müsse vor diesem Hintergrund kompromissbereit sein und akzeptieren, dass ein Teil seines volkswirtschaftlichen Gesamteinkommens „dafür investiert werden muss, nicht alleine zu sein“.
In demokratischen Gesellschaften könne dies aber nur funktionieren, wenn die Bürger eine klare Versicherung ihrer politischen Führung bekämen, dass sie die Außengrenzen kontrollieren könne. Roland Koch wurde an dieser Stelle deutlich und sagte mit Blick auf das Migrationsproblem: „Es wird keine demokratische Bevölkerung auf der Welt geben – jedenfalls haben wir nicht den geringsten Hinweis darauf – die akzeptiert, dass sie die Kontrolle über ihre Identität dadurch verliert, dass sie das Ein- und Austreten über die Grenze nicht mehr unter Kontrolle hat!“
Wer wolle, dass es ein Europa gebe, das mit relativer Freiheit und mit relativer Kohäsion in der Welt auftrete, um einigermaßen gesehen zu werden wie die anderen großen Mächte, der müsse sich um den Schutz seiner Außengrenzen kümmern. „Wenn Politik an dieser Stelle nicht liefert, dann wird die Politik so lange ausgetauscht, bis einer kommt, der liefert“, so Koch. Und weiter: „Je schwieriger das in der Sache ist, desto ignoranter muss der sein, der anbietet, zu liefern. Das heißt, dass immer radikalere Parteien in Mehrheiten geraten, wenn die, die nicht radikal sind, nicht in der Lage sind, zu liefern.“
Vor diesen Herausforderungen müsse Europa zu einer Entscheidung kommen, denn „wenn die Menschen nicht glauben, dass Europa Grenzen sichern kann, dann wird mehr noch als wegen des Euros, dieses Europa keine Zustimmung haben“, betonte der ehemalige Ministerpräsident Hessens.
Abschließend appellierte Koch daran, mit Europa und seinen großen Aufgaben nicht ignorant, illusionistisch oder euphorisch umzugehen, sondern sehr behutsam. „Wenn es am Ende passieren würde, dass wir es nicht schaffen, dieses Europa zu erhalten und weiterzuentwickeln, dann würden wir uns als einzelnes Land nicht wohler fühlen in der Welt.“
Fotos: Wirtschaftsrat/Christian Ströder