Aus den Ländern (Hamburg): Restart USA? Politik unter der Biden-Administration
Junger Wirtschaftsrat | Online-Talk
„Wir freuen uns darauf, die USA als unverzichtbaren Partner in vielen Fragen künftig wieder an unserer Seite zu wissen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Amtseinführung von Joe Biden. Unter dem neuen Präsidenten, so die Hoffnung, soll Vieles anders und am besten wieder so wie vor Donald Trump werden, etwa die außenpolitischen Beziehungen. Freuen sollten sich Deutschland und die EU aber nicht zu früh – auch unter der Biden-Administration gibt es weiterhin Konfliktpotenzial.
Eine Einschätzung, die Chris Becker, President der 2011 gegründeten Initiative junger Transatlantiker, im Online-Talk mit dem Jungen Wirtschaftsrat aus Hamburg bestätigte. Zwar habe Joe Biden deutlich signalisiert, dass er mit Europa auf Augenhöhe zusammenarbeiten wolle. Doch in einigen Punkten habe sich im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger nicht wirklich viel geändert. Die „großen Aufregerthemen“ seien immer noch auf dem Tisch und sehr viele Fragen ungelöst. Der Ball liege jetzt in Europas Hälfte. Die Europäische Union und insbesondere die Bundesrepublik müssten sich entscheiden, in welchen Fragestellungen sie dem US-Präsidenten die Hand reichen wollen. Europa sei letztlich zu klein, um etwa die neue, von der Digitalisierung getriebene industrielle Revolution, den Klimawandel oder sicherheitspolitische Herausforderungen alleine zu bewältigen, so Becker.
Zu den großen Streitfragen zählte er die Forderung der USA an Europa, die Volksrepublik China in Sachen Menschen- und Freiheitsrechte stärker in die Pflicht zu nehmen. Auch erwarte Washington, dass die europäische Energieversorgung dem System Putin möglichst wenig Einfluss gewähre. Und insbesondere Deutschland sei gefordert, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen.
Der USA-Kenner riet aus europäischer Sicht jedoch davon ab, sich direkt zum Start der Biden-Administration auf diese schwierigen Fragen einzulassen und empfahl, erst einmal auf Themen zu setzen, bei denen beiden Seiten „relativ schnell Einigkeit erzielen und erste Erfolge einfahren“ können. Gemeinsame Erfolgserlebnisse würden die transatlantischen Beziehungen untermauern und für Inspiration sowie Motivation sorgen. Großes Kooperationspotenzial sieht Chris Becker in der Digitalisierung. Als Beispiele nannte er einen gemeinsamen politisch-rechtlichen Rahmen für den Datenschutz, die Entwicklung einer vertrauenswürdigen KI in Abgrenzung zu Systemen wie in China und die militärischer Sicherheit im Weltraum, etwa zum Schutz digitaler Infrastruktur.
Der Präsident der jungen Transatlantiker hob nicht zuletzt die Bedeutung von Kooperationen hervor, die auf unternehmerischer und wissenschaftlicher Ebene stattfinden. Als aktuelles Paradebeispiel verwies er auf den weltweit heiß begehrten Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer – eine deutsche-amerikanische Entwicklung. „Man sieht einfach, was man erreichen kann, wenn man sowohl die Märkte als auch die intellektuellen und Forschungsleistungen beider Seiten vereint“, sagte Chris Becker. Für die Zukunft seien mehr solcher Beispiele wünschenswert.
Mit Blick auf den Freihandel zeigte sich Becker skeptisch, dass in den nächsten zwei Jahren eine Neuauflage von TTIP zu erwarten sei. Wohl aber sei denkbar, ein kleineres Handelsabkommen auf den Weg zu bringen, das die unstrittigen Bestandteile von TTIP aufgreife. Ein kleiner Erfolg sei besser als gar kein Abkommen. „Das einzige Land der Welt, mit dem wir eigentlich kein Freihandelsabkommen haben, ist über kurz oder lang die USA“, so der Experte. Es mute schon schizophren an, dass die EU ausgerechnet mit ihrem größten Handelspartner kein Handelsabkommen habe.
Das Verhältnis zwischen den USA und Großbritannien, die Spannungen zu Russland und das Erbe der Präsidentschaft von Donald Trump waren weiteren Themen, die intensiv und kontrovers während der Veranstaltung diskutiert wurden.