Senat darf Handwerk nicht aus dem Blick verlieren
Online-Talk
Das Ausbildungsjahr 2020 verzeichnet mit 1077 Abschlüssen ein Minus von 17 Prozent. Eine wesentliche Ursache sieht Hjalmar Stemmann im anhaltend starken Drang zum Abitur mit anschließendem Studium. In den letzten Jahren habe die Abiturquote in Hamburg bei circa 60% gelegen. Dieses Jahr liege sie jedoch etwas darunter.
Bedingt durch die Corona-Krise und die damit einhergehenden Schulschließungen habe in diesem Jahr nahezu keine Berufsorientierung an den Schulen stattgefunden. Um die niedrige Quote angetretener Ausbildungen noch zu steigern, werbe die Handwerkskammer für den zusätzlich angebotenen Ausbildungsstart zum 1. September. Das Vorgehen sei mit den Berufsschulen sehr gut abgestimmt, sodass den später einsteigenden Lehrlingen keine Nachteile entstünden, erläuterte Stemmann.
Es sei wichtig, mehr Schüler und junge Menschen vom Handwerk zu überzeugen, da sich in den kommenden Jahren viele Kollegen in den Ruhestand verabschiedeten. Um Hamburg vor einem personellen Mangel in den Handwerksberufen zu bewahren, müsse der Nachwuchs jetzt geworben werden.
Von den Auswirkungen der Corona-Pandemie sind die verschiedenen Gewerke laut Hjalmar Stemmann unterschiedlich stark betroffen. Friseure und Kosmetiker seien von Totalausfällen schwer gezeichnet. Auch Gebäudereinigungsbetriebe und Wäschereien wurden von einem starken Verdienstausfall heimgesucht: Während des Lockdowns habe es schlicht weniger Büros zu reinigen bzw. weniger Tischwäsche aus Gastronomie und Hotellerie sowie Bekleidung von Angestellten gegeben. Kleidung, die im Homeoffice getragen werde, würde in den seltensten Fällen in der Wäscherei gereinigt. Daher hätten Wäschereibetriebe einen Auftragsrückgang von 70 bis 80 Prozent verkraften müssen.
So dramatisch die Schließungen für viele Gewerbe waren, so förderlich erwiesen sie sich für einige Bereiche des Handwerks: Viele Hoteliers und Gastronomen hätten die wochenlange Zwangspause für die Renovierung ganzer Flure oder Etagen genutzt. Am Bau und in der Ausstattung tätige Handwerksbetriebe hätten von diesen Aufträgen profitiert und konnten den Lockdown gut überstehen. Im Privatbereich, so Stemmann, hätten Kunden Aufträge storniert bzw. um Verschiebung gebeten. Die entstanden Lücken seien von wartenden Kunden aber gefüllt worden.
Sollte es erneut zu flächendeckenden Schließungen kommen, erwartet der Präsident der Hamburger Handwerkskammer jedoch insgesamt im Handwerk eine Insolvenzwelle. Die finanziellen Reserven der letzten Hochkonjunkturphase seien verbraucht. Außerdem umfasse das Handwerk „137 Berufe und die wenigsten davon ließen sich im Homeoffice ausführen.“
Mit Blick auf die Politik des Senats mahnte Stemmann an, dass das Handwerk mehr Beachtung finden müsse. Zukunftspläne, in denen der Innovationsbegriff nur die Kreativ- und Digitalwirtschaft umfasse und das Handwerk schlicht nicht beachte, könne er nicht nur als Präsident der Handelskammer, sondern auch als Unternehmer nicht gutheißen.
Auch die Entwürfe neuer Quartiere oder die Weiterentwicklung bereits bestehender würden betrieben, ohne einen Blick auf das Handwerk zu werfen. Weiterhin würden Handwerksbetriebe auch aus Wohnlagen verdrängt und zum täglichen Pendeln in die Stadt gezwungen. Daran schließe sich ein weiteres, durch die Politik verursachtes Hindernis an: Die verstärke Umwandlung von ehemals allgemeinen Parkflächen zu Anwohnerparkzonen sei zwar eine Verbesserung für die Anwohner selbst, doch benötigten sie einen Handwerker, müssten immer mehr Betriebe ablehnen, weil es vor Ort keine Parkmöglichkeit gebe.
Dabei brauche es dringend qualifizierte Handwerker in den Quartieren, um die ehrgeizigen Klimaziele des Senats mit z.B. modernen Heizungen und Solaranlagen zu erreichen. Diese würden sich aber nicht von allein in die Wohnung der Kunden tragen. Ähnlich sei die Situation für die mobilen Pflegekräften und verschiede Lieferdienste. Die Grünen, von denen viele der neuen Verkehrsideen stammen würden, „werden letztlich und gerade bei der nächsten Wahl, an Ihren Leistungen für den Verkehr und die Menschen in der Stadt gemessen werden.“
Resümierend blickte der Handwerkskammer-Präsident aber zuversichtlich in die Zukunft. Gute Handwerker würden schließlich zu jeder Zeit gebraucht. Auch die Zukunftsfähigkeit im Sinne der Digitalisierung sei im Hamburger Handwerk grundsätzlich gegeben. Natürlich bräuchten ältere Betriebe dabei Unterstützung, doch junge Firmen seien hier vorbildlich in ihren Qualifikationen und ihrem Leistungsangebot aufgestellt.