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Bericht
05.07.2021
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Umwelt-, Sozial- und Managementstandards: Chance oder Gefahr für den Erfolg?

Online-Talk

Prof. Dr. Daniel Graewe über ESG-Regulierungen
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Zu Beginn seiner Ausführungen wies Professor Graewe darauf hin, dass Unternehmen in Deutschland und der EU in einem immer enger werdenden Rechtskorsett in einer zunehmend komplexer werdenden Rechtsordnung agieren müssten und lieferte direkt einige Hintergrundinformationen: So liege Deutschland im „Burden of Government Regulation“-Index der Weltbank aus dem Jahr 2017 auf Rang 7 von 151 gerankten Ländern als einziges G7-Land in den TOP 10 und gehöre damit zu den höchstregulierten Ländern der Welt. Diese „Regulierungswut“ koste Deutschland pro Jahr etwa 165 Mrd. Euro.

Ein für die Wirtschaft signifikanter Teil der neuen Regulierung sei im Bereich Environmental Social Governance (ESG) zu verorten. Dazu gehörten unter anderem Umweltaspekte, Nachhaltigkeit, Arbeitsrechte, Diversity, Leitungs- und Kontrollstrukturen, Risiko- und Compliance-Management sowie Berichterstattung, Rechnungslegung und Abschlussprüfung.

„Allein in den letzten vier Jahren haben wir auf Deutscher oder Europäischer Ebene über 170 Regulierungsmaßnahmen in diesem Bereich gehabt“, so Graewe. Das Problem dabei sei, dass die Unternehmen diese Fülle an Regulierungsvorgaben immer schwerer verfolgen und korrekt umsetzen könnten. Insbesondere dem Mittelstand, der mit seinen Interessen und Bedürfnissen keine ausreichende Berücksichtigung in den politischen Entscheidungsprozessen mehr finde, drohe damit ein Zustand der latenten Rechtsunsicherheit. Hinzu komme ein enormer gesellschaftlicher Druck von kleinen, aber lauten aktivistischen Gruppen, jenseits der juristischen Anforderungen.

Am Beispiel der Managerhaftung führte Professor Graewe seinen Zuschauern dann die Folgen der immer weiter fortschreitenden ESG-Regulierungen konkret vor Augen. So haben Vorstandsmitglieder von Gesellschaften nach der Business Judgement Rule bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. „Wir sind im Moment durch diese ESG-Thematik an einer Schwelle, dass wir nicht mehr in der Lage sind uns eine rechtskonforme angemessene Informationsgrundlage zu verschaffen.“ Die dafür notwendige Ermittlung der individuellen Risiken des Unternehmens mittels qualitativer Erfassung und Quantifizierung u.a. von Vorkommnissen in der Vergangenheit sei im Bereich ESG nahezu unmöglich, da die Auswertung historischer Kennzahlen für Zukunftsprognosen hier nicht vorhanden sei und die zunehmende Relevanz neuer und plötzlicher ESG-Risiken eine rechtssichere Quantifizierung fast unmöglich mache.

Hinzu komme, dass das Management dafür Sorge tragen müsse, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverletzungen stattfinden. „Welcher normale Unternehmensleiter kennt schon die 4.700 Bundesgesetze und 115.000 Landesgesetze in Bayern?“

In der Konsequenz versuchten Unternehmen, da sie dem juristischen Druck nicht entgehen könnten, durch „Corporate Diplomacy“ mittels einer Art Appeasement aus dem zunehmenden gesellschaftlichen Druck zu entkommen. „Das sehen wir, indem 16 von 30 DAX-Unternehmen gesagt haben, sie führen jetzt Gendersprache ein, obwohl 80 Prozent der Bevölkerung Gendersprache ablehnt“, so Graewe. Kurzfristig führe dies zu einer Beruhigung an dieser sozialen und Umweltfront, habe langfristig aber relativ negative Folgen. So hätten sich in den USA durch eindeutige politische Positionierung sogenannte Partisan Companies entwickelt, bei denen Konsumenten ihr Kaufverhalten an ihrer eigenen politischen Einstellung ausrichteten.

Neben den genannten Gefahren machte Professor Graewe aber auch Chancen für Unternehmen durch die ESG-Regulierung aus: „Wenn Sie sich gut aufstellen, nachhaltig wirtschaften, regional wirtschaften, dann haben Sie natürlich auch Reputationsgewinne. Wenn Sie gendern und sich weltoffen darstellen, dann haben Sie natürlich bei der jungen Generation entsprechende Recruitment-Chancen.“ Außerdem biete sich die Möglichkeit, durch den gesetzgeberischen Druck einem angestaubten Image wieder zu neuem Schwung zu verhelfen und einen Change-Prozess zu initiieren, für den es sonst nicht genügend Druck gäbe.