Wirtschaftsrat Hamburg: Trotz erster positiver Zeichen in der Gesundheitspolitik fehlen nachhaltige Konzepte
Der Wirtschaftsrat der CDU e.V. in Hamburg ist erleichtert, dass die neue Bundesgesundheitsministerin einen dringenden Anpassungsbedarf erkannt hat und erste Abhilfe plant. „Es ist erfreulich, dass Frau Warken bei der verbesserungsbedürftigen Krankenhausreform, der Unterfinanzierung der Krankenhäuser und bei der Entbürokratisierung einen dringenden Handlungsbedarf erkannt hat“, sagt Thies Goldberg, Landesvorsitzender des Hamburger Wirtschaftsrates, „jetzt wird es auf die Ausgestaltung der Änderungen ankommen“, so Goldberg weiter.
„Um die Gesundheitsversorgung auch in Zukunft nachhaltig zu organisieren, wird es weiterer, grundlegender Änderungen bedürfen“, sagt Joachim Gemmel, Vorsitzender der Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft. „Die demographische Entwicklung mit einer Überalterung der Bevölkerung und zeitgleich einem zunehmenden Mangel an Fachkräften erfordert neue sektorenübergreifende Konzepte, eine beschleunigte Digitalisierung und eine stärkere Qualitätsorientierung“, so Gemmel weiter.
Der rotgrüne Koalitionsvertrag in Hamburg wird vom Wirtschaftsrat in Hinblick auf die Gesundheitspolitik differenziert gesehen. So sind das Bekenntnis zur Finanzierung der Krankenhausinvestitionen, die stärkere Transparenz von Qualität, der Einsatz für die Pflegeausbildung und die erleichterte Anerkennung ausländischer Pflegekräfte ebenso begrüßenswert wie eine Reform der Notfallversorgung. Auch hinsichtlich der vorgesehenen Rolle Hamburgs als Modellregion für die Telematikinfrastruktur nimmt der Wirtschaftsrat die Formulierungen im Koalitionsvertrag mit Interesse zur Kenntnis, weist jedoch auf Unklarheiten hin, die einer präziseren Ausgestaltung bedürfen. „Auf die Datensicherheit beim Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten achten zu wollen, ist eine Selbstverständlichkeit, die niemand betonen muss“, sagt Joachim Gemmel. „Wir haben derzeit eher das entgegengesetzte Problem: Extreme Auslegungen des Datenschutzes erschweren eine sinnvolle Auswertung medizinischer Informationen zur Verbesserung von Behandlungen. Wir müssen zu einem ausgewogeneren Verhältnis von Datenschutz zu Datennutzen finden“, so Gemmel weiter.
Grundsätzlich ist dem neuen Senat die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die Freie Hansestadt Hamburg bewusst – das begrüßt der Wirtschaftsrat ausdrücklich. Diese Bedeutung nimmt kontinuierlich zu. Rund 30 Prozent der Patienten kommen aus den benachbarten Bundesländern zur Behandlung in die Gesundheitsmetropole, was der Senat zu Recht als Auszeichnung betrachtet. Bei der Finanzierung der Krankenhausinvestitionen weist der Wirtschaftsrat in diesem Zusammenhang auf die gesetzliche Verpflichtung der Bundesländer hin, diese zu tragen. „Für Hamburg ist das nicht nur eine sinnvolle Förderung, sondern eine lohnende Investition, weil die Behandlungsangebote letztlich auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor sind“, sagt Thies Goldberg. Denn die Beschäftigten des Gesundheitswesens generieren eine höhere Wertschöpfung als der Hamburger Hafen – sie tragen mit 12,4 Milliarden Euro einen wesentlichen Anteil zur direkten Bruttowertschöpfung bei. Etwa 200.000 Erwerbstätige sind im Gesundheitswesen beschäftigt – dies entspricht einem Anteil von rund 15,1 Prozent des gesamten Arbeitsmarktes der Hansestadt. Knapp ein Drittel davon ist in Krankenhäusern beschäftigt.
Um die Rolle als Gesundheitsmetropole mit exzellenten Behandlungsangeboten nachhaltig zu stärken, bedarf es nach Ansicht des Wirtschaftsrats organisatorischer wie finanzieller Unterstützung. Immer mehr Behandlungen könnten heute ambulant statt stationär durchgeführt werden. „Dafür müssen die Kliniken geöffnet werden“, sagt Joachim Gemmel. „Kooperationen und Schwerpunktbildung zu fördern ist richtig, sollte aber nicht nur die im Koalitionsvertrag erwähnten Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft umfassen“, so Gemmel weiter.
Für eine nachhaltige Finanzierung und zukunftsfeste Gesundheitsversorgung schlägt der Wirtschaftsrat weitere Punkte zur Diskussion vor. Sie hängen alle miteinander zusammen.
1. Stabile Finanzierung
Um sowohl das Explodieren der Lohnnebenkosten als auch regelmäßige Diskussionen über die Finanzierung zu vermeiden, müssen nachhaltigere Modelle entwickelt werden. „Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, von der Überprüfung von Kassenleistungen über die Finanzierung aktuell beitragsfreier Versicherten aus anderen Etats bis hin zu einer Auffächerung der Beiträge abhängig vom Gesundheitsverhalten bis hin zu Eigenbeteiligungen bei Behandlungen“, erklärt Thies Goldberg.
2. Freiraum für Innovationen schaffen
Verbesserungen der Gesundheitsversorgung werden nach Überzeugung des Wirtschaftsrates dann entwickelt, wenn es dafür Freiraum und Anreize gibt. Alle staatlich organisierten Gesundheitssysteme haben sich als weniger leistungsfähig erwiesen. „In Deutschland mit seinen detailliert und oftmals bis ins Kleinste ausgearbeiteten Vorgaben besteht nur beschränkter Freiraum für Innovationen“, beklagt Joachim Gemmel. „Um ihn zu schaffen, wäre die Definition von Zielen sinnvoll, für deren Erreichung unterschiedliche innovative Konzepte entwickelt werden und im Wettbewerb zueinander stehen könnten“, so Gemmel weiter.
3. Effizientere Versorgung
Trotz hoher Gesundheitsausgaben ist die Lebenserwartung im europäischen Vergleich nur mittelmäßig. Das spricht aus Sicht des Wirtschaftsrates für eine fehlende Effizienz. Mehrfachuntersuchungen, Sektorengrenzen, aufwändige Dokumentationen und hochdefizitär arbeitende Kliniken, die nur durch offene oder verdeckte Subventionen wirtschaftlich überleben, sind nur einige der Beispiele, wo Potenzial zur Effizienzsteigerung verborgen sein könnte. Anders als in vielen Nachbarländern werden zahlreiche Behandlungen in Deutschland noch stationär durchgeführt, obwohl es ambulant möglich wäre. Nicht nur hier sieht der Wirtschaftsrat Änderungsbedarf.
„Gerade auf dem Land sollte die Versorgung neu gedacht werden mit Anbindung an große Kliniken, um deren Kompetenz ungeachtet der räumlichen Entfernung bei der Einschätzung von Gesundheitsstörungen zu nutzen“, erklärt Joachim Gemmel. Zugleich weist er darauf hin: „Dazu bedarf es eines massiven Ausbaus digitaler Einsatzmöglichkeiten.“
4. Vorbereitung auf demographische Entwicklung und Fachkräftemangel
Der absehbar zunehmende Behandlungsbedarf für die geburtenstarke „Boomer-Generation“ trifft auf einen sich verschärfenden Mangel an Fachkräften – auch weil hier viele in Rente gehen. „Diese schwierige Konstellation erzwingt eine effizientere Versorgung und das Ausschöpfen der Möglichkeiten digitaler Anwendungen“, erläutert Thies Goldberg. „Zusätzlich muss alles getan werden, dass das oftmals falsch negative Bild, besonders des Pflegeberufs, in Medien und Öffentlichkeit korrigiert und die unterschätzten positiven Aspekte auch wahrgenommen werden“, ergänzt Goldberg.
5. Orientierung auf Behandlungsergebnisse und Patientenbedürfnisse
Die Steuerung in der Gesundheitsversorgung erfolgt derzeit vorwiegend über eine Kontrollbürokratie, die sich an Zahlen, Listen, Personalplänen und Strukturvorgaben abarbeitet. All diese Vorgaben sollen die Behandlungsergebnisse verbessern und so den Patientenbedürfnissen dienen. Aber statt eines solchen bürokratischen Aufwands, der allenfalls indirekt diesen Zielen dient, zugleich aber Innovationen hemmt, wäre es aus Sicht des Wirtschaftsrats sinnvoller, die Behandlungsergebnisse direkt als Qualitätsindikator heranzuziehen und die Patientenbedürfnisse von den Betroffenen selbst zu erheben. Der Medizinische Dienst hat sich zu einer umfangreichen Organisation entwickelt, die die Einhaltung von Vorgaben überprüft und damit den Kostenträgern zur Ausgabenkontrolle dient. Bei einer Neuorientierung auf die Behandlungsergebnisse ließen sich die Ziele mit weniger Aufwand überprüfen.
6. Digitalisierung & innovative Versorgungskonzepte mit Anreizen zur Gesunderhaltung
Viele Strukturen und Prozesse in der Gesundheitsversorgung basieren auf einer historischen Entwicklung und damaligen Voraussetzungen. „Die Digitalisierung bietet uns heute die Chance, viel einfacher und schneller zu kommunizieren, Informationen einzuholen, zu verbreiten und Daten so aufzuarbeiten, dass die Prozesse besser werden“, erklärt Joachim Gemmel. „So können nicht nur die Bedürfnisse von Patienten leicht erhoben werden, sondern sie lassen sich auch zur Aufklärung über einen gesundheitsbewussten Lebensstil besser erreichen.“ Auch Vorsorgeuntersuchungsangebote und Erinnerungen können individuell angepasst leicht kommuniziert werden. „Im aktuellen Konzept entfallen die Aufgaben in der Gesundheitsversorgung auf unterschiedliche Beteiligte, von denen außer für die Krankenkassen praktisch kein Anreiz zur Prävention und Gesunderhaltung besteht – selbst die Mehrzahl der Versicherten hat hier eine Vollkaskomentalität“, beklagt Thies Goldberg, „die im internationalen Vergleich hohe Zahl an Arztkontakten belegt das deutlich.“ Hier plädiert der Wirtschaftsrat für Modellversuche mit regionalen Budgets. Bestünde die Option, durch eine im Schnitt gesündere Bevölkerung höhere Erlöse zu erzielen bzw. für die Versicherten geringere Beiträge zahlen zu müssen, wäre Gesundheit das Ziel. „Natürlich lassen sich Krankheiten nicht komplett vermeiden, aber auch eine Früherkennung mit geringerem Therapieaufwand und besseren Behandlungsergebnissen würde durch ein solches Anreizsystem eine ganz eigene, positive Dynamik entfalten“, sagt Joachim Gemmel. „Wir haben heute Möglichkeiten, die Gesundheitsversorgung ganz anders und vor allem viel besser zu organisieren, die den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst sind“, so Gemmel. Vom Neustart von Bundesregierung und Hamburger Senat erhofft sich der Wirtschaftsrat daher weitere Impulse, um nicht nur die dringendsten Probleme zu lösen, sondern die medizinische Versorgung nachhaltig sicherzustellen.