"Wir sind schon lange nicht mehr die Apotheke der Welt"
Mit Ausbruch der Corona-Pandemie ist deutlich geworden, dass Deutschland nicht nur behördlich nicht ausreichend auf eine solche Situation eingestellt war. Es fehlte insbesondere an ausreichend Schutzausrüstung und an lebensnotwendigen Medikamenten. Der Wirtschaftsrat Niedersachsen sprach mit einem Experten der Pharmaindustrie über die Gründe dieser Engpässe und wie die Arzneimittelproduktion wieder nach Deutschland zurückgeholt werden könnte.<br />
Dass die Abwanderung der Arzneimittelproduktion nach Asien und die damit zunehmende Abhängigkeit von diesen Staaten zu Lieferengpässen oder gar Versorgungsengpässen führen kann, stellte bereits vor der Corona-Krise ein zunehmendes Problem dar, wurde durch diese jedoch besonders deutlich. Vor allem fehlte es an ausreichend Schutzausrüstung, so z.B. Masken oder Desinfektionsmittel. Aber auch lebensnotwendige Medikamente waren an vielen Orten in Deutschland plötzlich nicht mehr zu erhalten, dabei galt Deutschland seit jeher als Apotheke der Welt.
Um über diese Problematik zu diskutieren, lud der Wirtschaftsrat Niedersachsen das Mitglied der Geschäftsleitung sowie Geschäftsfelsleiter Politik des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e.V., Sebastian Schütze, zu einem digitalen Gespräch ein.
Dr. Claudia Ulbrich, Mitglied des Landesvorstandes des Wirtschaftsrates Niedersachsen sowie CEO der Cardior Pharmaceuticals GmbH, übernahm die Begrüßung sowie Moderation dieser Veranstaltung. Nach einer kurzen Vorstellung des Referenten, welcher unter anderem sein Jurastudium in Hannover absolvierte, übernahm dieser das Wort und stellte zunächst kurz den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. vor.
In seinen Ausführungen verdeutlichte Sebastian Schütze gleich zu Beginn, dass die Abwanderung der Arzneimittelproduktion aus Deutschland nicht erst ein Problem der letzten Jahre sei. Vielmehr sei dieser Abbau seit mehreren Jahrzehnten zu beobachten. Die „Big-Player“ seien heute eher in den China und Indien zu finden. Obwohl Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Staaten einen sehr hohen Anteil des BIP für Forschung und Entwicklung ausgebe, liege es bei der Produktion sehr weit hinten. Dass so viele deutsche Anbieter aus dem Markt verschwunden seien, liege vorrangig an der Preisbildung in Deutschland. Schütze erwähnte unter anderem das Preismoratorium, welches seit 2009 bestehe, sowie die Vertragsschließungen der Krankenkassen. Viele Anbieter konnten sich aufgrund der zu geringen Gewinne nicht länger am Markt halten und hätten heute auch keine Anreize, in diesen einzutreten.
Wolle man ernsthaft mehr Unabhängigkeit bei der Arzneimittelproduktion erreichen, müsste zunächst auch der politische Handlungswille kommuniziert werden. Als weitere Handlungsmaßnahmen nannte er, dass die Krankenkassen mit mehr als einem Anbieter Verträge abschließen sollten, wobei mindestens einer aus Deutschland bzw. Europa kommen sollte. Weiterhin müsste die Produktion anders bepreist werden, mehr Flexibilität zugelassen und steuerliche Erleichterungen geschaffen werden. Diese Maßnahmen könnten erste Anreize schaffen, so Schütze.
Nach dem Vortrag des Experten diskutierten die Mitglieder und Gäste des Wirtschaftsrates Niedersachsen angeregt über diese Maßnahmen und die Zukunft der Arzneimittelproduktion in Deutschland.
Wir danken Herrn Schütze für seinen sehr informativen Vortrag und die spannende Diskussion.