Aus den Ländern (Niedersachsen): Entwicklungspolitische Agrarpolitik - gleiche Standards für alle?
2019 litten weltweit 690 Millionen Menschen chronisch Hunger, das sind knapp neun Prozent der Weltbevölkerung. Davon leben etwa 250 Millionen auf dem afrikanischen Kontinent. Durch die Corona-Pandemie ist anzunehmen, dass sich die Anzahl noch erheblich steigern wird. Während die Hälfte der Ursache dafür in Krisen liegt, liegt einer der weiteren Gründe auch in der Produktivität der Agrarwirtschaft.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt durch vielfältige Maßnahmen und Projekte die Wirtschaft in Entwicklungsländern und unterstützt auch deutsche Unternehmen dabei, in Projekte bzw. Unternehmen in diesen Ländern zu investieren auch und insbesondere in der Agrarbranche.
Die hiesige Landwirtschaft sah sich in den letzten Jahren vielen neuen Regelungen und Verordnungen, die auf eine Verbesserung des Tierwohls und Unterstützung des Umweltschutzes abzielen, ausgesetzt. Gelten diese Standards aber auch in anderen Ländern, die vom Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt werden? Diese und weitere Fragen diskutierten die Mitglieder und Gäste der Landesfachkommission Agar- und Ernährungswirtschaft des Wirtschaftsrates Niedersachsen mit Dr. Maria Flachsbarth MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Rahmen eines Online-Gespräches.
Nach einer Begrüßung durch Victor Thole, Vorsitzender der Landesfachkommission, berichtete Dr. Flachsbarth MdB über die entwicklungspolitische Agrarpolitik. Im Mittelpunkt dieser stehe vor allem Nachhaltigkeit in Form von drei Dimension: sozial, ökologisch und ökonomisch.
Ökonomisch:
An erster Stelle stehe, dass Landwirte von ihrer Arbeit leben können müssen. Nur dann sei es auch möglich, in neue etwa umweltschonendere Maßnahmen zu investieren. Um diese Vorhaben zu unterstützen, wurden sogenannte grüne Innovationszentren in 16 Partnerländern integriert. Insbesondere Kleinbauern sollen dabei unterstützt werden, nicht mehr nur für die eigene Familien zu produzieren, sondern auch für den Markt.
Sozial:
Darüber hinaus setze das Bundesministerium einen Schwerpunkt darauf, globale Lieferketten gerechter zu machen, insbesondere, wenn die Produkte am Ende in Europa verkauft werden. Als Beispiel nannte Dr. Flachsbarth MdB Kakao. Der Rohstoff stamme vorrangig aus der Elfenbeinküste und Ghana und werde dann in Deutschland weiterverarbeitet. Damit sind die afrikanischen Länder nur Lieferanten des Rohstoffs. Langfristig müsse sich das ändern, um diesen Ländern eine wirtschaftliche Perspektive zu ermöglichen, so die Politikerin. Mithilfe des grünen Innovationszentrums in der Elfenbeinküste sollen beispielsweise 100.000 Kakaobauern bis 2025 eine nachhaltige Einkommenserhöhung von mindestens 30 Prozent erhalten. Als weitere Unterstützung wurde dafür ein „Kakao-Forum“ ins Leben gerufen, an welchem auch europäische Firmen beteiligt sind. Diese Einkommenserhöhung würde sich nur unwesentlich auf den Verkaufspreis für den Endverbraucher auswirken.
Kritisch sieht die Parlamentarische Staatssekretärin das derzeitige Preisdumping in Europa bei Bananen. Ein solcher Preisverfall habe immer unmittelbare Auswirkungen auf Menschenrechte und Umweltschutz in den Erzeugerländern. „Den Preis für billige Produkte heute zahlen wir in der Zukunft“, so Dr. Flachsbarth.
Ökologisch:
Des Weiteren fordere das Bundesministerium einheitlichere Umweltstandards, beispielsweise durch eine reduzierte und kontrollierte Nutzung von Pestiziden und Herbiziden weltweit. Ein weiterer Schwerpunkt liege auf der Bekämpfung von Entwaldung. Dafür hat die EU-Kommission einen Legislativvorschlag zu entwaldungsfreien Lieferketten hervorgebracht, damit Produkte, die zu Entwaldung geführt haben, nicht mehr auf den europäischen Markt kommen sollen.
Insgesamt unterstütze das Bundesministerium die regionale Entwicklung. Die Produktion solle langfristig nicht nur für den Export sein, sondern auch für die lokalen Märkte. Der lokale Handel sei in Afrika noch sehr entwicklungsfähig. Eine direkte wirtschaftliche Vernetzung wie in der Europäischen Union existiere derzeit noch nicht, erste Schritte durch etwa durch den Abbau von Zöllen seien aber zu beobachten.
Alle drei Dimensionen bzw. die mit ihnen verbunden Ziele stünden zwar in einem Zielkonflikt, dennoch müssten diese zusammengedacht und gehandelt werden. Eine Lösung sieht Dr. Flachsbarth im Agrarhandel. „Deutschland und Europa müssen mehr in einen multilateralen Dialog investieren“ forderte sie. In zukünftigen Handelsabkommen müssten nachhaltige Standards eine stärke Rolle spielen.
Einen weiteren Ansatz sieht sie in der Lebensmittelsicherheit. Der Schutz der Verbraucher dürfe nicht zu nichttarifäre Handelshemmnissen und damit zur Abschottung unseres Marktes führen, dennoch werden vom Bundesministerium vermehrt lokale Labore und Schulungen für internationale Lebensmittelstandards unterstützt.
Auch die europäische Agrarpolitik habe bei der Umsetzung der drei Dimensionen eine entscheidende Bedeutung, dabei vor allem mit der Farm-to-Fork-Strategie.
Dr. Flachsbarth MdB ging auch auf die Unterstützungsmöglichkeiten der Bundesregierung für deutsche Unternehmen ein, die in afrikanische Projekte oder Unternehmen investieren möchten. Unternehmer können sich an die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung wenden oder auch den Entwicklungsinvestitionsfonds nutzen, welcher sowohl für deutsche als auch für afrikanische Unternehmen zur Verfügung steht.
Anschließend diskutierten die Teilnehmer unter anderem über das Lieferkettengesetz und die generellen Probleme und Herausforderung der Entwicklungs- und Agrarpolitik.
Wir danken der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth MdB für ihre umfangreichen Ausführungen und den offenen Austausch.