Nordrhein-Westfalens Industrie braucht Wasserstoff
Katharina Reiche, Vorsitzende des nationalen Wasserstoffrates und Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, bei Landesfachkommission Energie- und Umweltpolitik
v.l.n.r. Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Stiftung Zollverein, Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, Katherina Reiche, Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates und Dr. Hans-Jürgen Brick, Vorsitzender der Landesfachkommission Energie- und Umweltpolitik
Wie sieht die Zukunft des Ruhrgebiets als Energiestandort aus? – Einer Frage, die der Wirtschaftsrat an einem Ort mit großer energiepolitischer Bedeutung in der Vergangenheit nachgegangen ist. Die ehemalige Kohlenwäsche der Zeche Zollverein hoch über Essen war der Raum für die Arbeitssitzung der Landesfachkommission Energie- und Umweltpolitik des Wirtschaftsrates Nordrhein-Westfalen. Mit einem traditionellen Glückauf begrüßte Hausherr Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Vorsitzender des Vorstandes Stiftung Zollverein, die Mitglieder und Gäste des Wirtschaftsrates.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen leitete seinen Impuls mit dem Hinweis ein, dass Essen nicht nur die Energiehauptstadt Deutschlands, sondern Europas sei. Das Ruhrgebiet habe sich bereits vor Jahren festgelegt, die grünste Industrieregion der Welt zu werden. Allerdings habe der Ukraine-Krieg habe deutlich gemacht, wie abhängig Deutschland vom russischen Gas sei, das als Brückentechnologie genutzt werden sollte. So sei es richtig, alle Einsparpotentiale zu heben. Nicht sicher sei, ob und in welchem Umfang die russischen Gaslieferungen nach Deutschland zukünftig kommen werden. Daher habe er in seiner Verwaltung einen entsprechenden Krisenstab gebildet, um Einsparungsmöglichkeiten zu identifizieren. Schwieriger schätzte er die Lage in der Wirtschaft ein, die Gas insbesondere für Prozesswärme einsetzte. Längst nicht immer ließe es sich durch Strom oder Erdöl ersetzen. Kufen freute sich, dass die Landesregierung die Bedeutung von Wasserstoff frühzeitig erkannt und eine Wasserstoff Roadmap entwickelt habe.
In ihrem Impuls führte Katharina Reiche, Vorstandsvorsitzende der Westenergie AG und zugleich Vorsitzende des nationalen Wasserstoffrates, aus, dass sich insbesondere Deutschland zu lange auf günstige Gaslieferungen aus Russland verlassen habe. Als Neuansatz machte sie sich für einen Dreiklang aus Diversifizierung der Energieversorgung, Nutzung grüner Gase und dem Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur stark. Deutschland sei es nicht gelungen, das klassische Energiedreieck bestehend aus Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit zu erhalten. Es habe sich zu einem Trilemma entwickelt. Heute sei durch den Ukraine-Krieg weder die Energie verlässlich noch sauber noch bezahlbar. In drei von sieben Szenarien der Bundesnetzagentur komme es zu einem Gasmangel von bis zu 107 Terawattstunden. Das entspricht rund zehn Prozent des Jahresverbrauches. Seit dem Krieg habe Deutschland den Importanteil am russischen Gas von 55 auf 35 Prozent gesenkt, aber dennoch würde ein kompletter Lieferausfall eine tiefe Spur in der Wirtschaft hinterlassen. Ebenso erteilte die Energiemanagerin dem Credo der „all Electric World“ eine klare Absage. Die alleinige Hinwendung zum Strom würde für ein neues Klumpenrisiko sorgen. Insbesondere der Wärmemarkt sei auf gasförmige Energieträger angewiesen. Hierbei gehe es nicht nur um das Heizen, sondern vor allem um industrielle Prozesswärme. Ohne eine Dekarbonisierung des Wärmebereiches wäre die Klimaneutralität 2045 nicht erreichbar, mahnte Reiche und schränkte ein, dass rund 70 Prozent der Industriekunden von Westnetz ihre Prozesse gar nicht elektrifizieren könnten.
Doch die Bundesregierung wolle den Lösungsraum auf die Elektrifizierung der Wärme legen. Dies gelte auch für das Heizen in Wohngebäuden. Ein „one size fits all“ Ansatz mit Wärmepumpen und Fernwärme sei kein Königsweg, aber, so unterstreicht sie ein Bestandteil der um Nahwärme, Biogas und Wasserstoff ergänzt werden müsse. So arbeiteten längst Unternehmen an Wasserstoff-Heizungen, für die Infrastruktur bestehe. In Privathaushalten lägen zwölf Millionen Erdgasanschlüsse, die mit einem 550.000 Kilometer langen Gasnetz verbunden seien. 99 Prozent der Gewerbekunden seien ebenfalls ans Verteilnetz angeschlossen. Daraus folgere, dass eine schrittweise und kostengünstige Umrüstung möglich sei. Dies könne zum Beispiel in einem ersten Schritt die Beimischung von Wasserstoff ins Gasnetz realisiert werden. – Daher sei es gut, dass die neue Landesregierung in Düsseldorf die Nutzung von Wasserstoff im Wärmesektor als Option sieht.
Die Bedarfe an Wasserstoff seien groß. Daher habe E.ON eine Wasserstoffbrücke zwischen Australien und Europa geplant. Dort solle grüner Wasserstoff hergestellt und nach Europa geliefert werden. Insbesondere für Nordrhein-Westfalen erhielten die Häfen Zeebrügge, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam eine hohe Bedeutung, da hier grünes Gas entladen und in die Netze eingespeist werden könnte. Entsprechende Terminals würden bereits gebaut. Von der Landespolitik erwartete sie, dass sie eine institutionalisierten und strukturierten Dialog zum Thema Wasserstoff auf der Grundlage einer geeigneten Governace Struktur aufsetze, die anlag zum nationalen Wasserstoffrat Projekte voranbringen und besser verzahnen. Dabei sollte sich das Land auch mit den Niederlanden und Belgien vernetzen. Konkret schlug Reiche vor, dass in fünf Bereichen dringend nachgesteuert werden müsse: 1) schneller Planungs- und Genehmigungsverfahren, 2) zukünftige Energienetzregulierung müsse sich konsequent auf Klimaschutz fokussieren, 3) zum Markhochlauf brauche Wasserstoff einen optimierten Finanzierungsrahmen 4) keine Diskriminierung von Sektoren beim Einsatz von Wasserstoff, 5) Europa muss Standards für grünen Wasserstoff setzen. „Wasserstoff wird helfen, Industrie und damit Arbeitsplätze im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen zu sichern und zu erhalten“, schloss die Vorsitzende des nationalen Wasserstoffrates ihren Vortrag.
Der Vorsitzende der Landesfachkommission, Dr. Hans-Jürgen Brick, Vorsitzender der Geschäftsführung der Amprion GmbH, dankte Beiden und betonte, dass es mittlerweile eine enge Kooperation der unterschiedlichen Stakeholder in der Energiewirtschaft gebe.