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Bericht
10.10.2022
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Die Lage auf dem globalen Gasmarkt und die Chancen für eine Wasserstoffwirtschaft

Uns alle treibt die Frage um, ob wir noch ausreichend Gas für Wärme und Warmwasser in der Industrie und den Haushalte haben werden.
©Wirtschaftsrat

Wir fragen uns zudem, wie die Lage auf dem globalen Gasmarkt derzeit eingeschätzt wird, wo und wie neue Gasquellen erschlossen werden können? Auch die Frage, auf welche Preise wir uns beim Gasbezug künftig einzustellen haben und ob im Wasserstoff bzw. im synthetischen Methan vielleicht die Lösung liegt, konnten wir bei unserem Gastgeber der VNG im gewohnt passenden Rahmen für unsere Landesfachkommission Energie diskutieren. Mit dem Ukraine-Krieg hat sich das Fundament der europäischen Gasversorgung grundlegend geändert. Die Preise auf den Großhandelsmärkten sind exorbitant gestiegen und werden zu erheblichen Belastungen bei Haushalten, im Mittelstand und in der Industrie führen. Wir konnten ein wenig Klarheit in die momentane Versorgung mit Erdgas bringen und haben entsprechende Experten der VNG dazu zu Wort kommen lassen.

Cornelia Müller-Pagel, Leiterin Grüne Gase der VNG AG, hat uns zunächst die „Herausforderungen und Chancen beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Mitteldeutschland“ aus Sicht der VNG vorgestellt. Die Nationale Wasserstoffstrategie hat zu einzelnen Strategien in den Bundesländern geführt. Das Ziel für 2030 sind 10 GW (10.000MW) Erzeugerleistung an Wasserstoff. Bereits heute sind Projekte mit einer Leistung von 7,8 GW an Wasserstoff angekündigt. Blickt man allerdings aktuell in die Wasserstofflandschaft von Deutschland, so sind lediglich 62 MW an Wasserstoff-Leistung (0,62% des Ziels) installiert. Der Weg ist also noch lang, um zu einer nennenswerten Wasserstoffwirtschaft in Deutschland zu kommen. Dabei spielen die „Farben“ des Wasserstoffs, aber auch Techniken, wie die Pyrolyse, also die Aufspaltung von Methan in Kohlenstoff und Wasserstoff eine Rolle. Das Abfangen bzw. das Abscheiden von CO2 aus der Industrie (CCS), dessen infrastrukturelle Durchleitung in Pipelines zur Verbindung von Wasserstoff zur Herstellung von synthetischem Methan ist derzeit allerdings aktuell nur eine Randerscheinung, da sehr viele Energieverluste und Kosten mit dieser Form des Energiepfades zum synthetischen Methan verbunden sind. Hier gibt es aber Start-Ups, die diesem Weg durchaus eine Chance einräumen. Die VNG arbeitet aktuell daran, eine 900 km lange Erdgas (Methan-) Pipeline für die Durchleitung von reinem Wasserstoff zu ertüchtigen. Dazu müssen die Leitungen mehrfach gereinigt und auch einige Armaturen ausgetauscht werden. Hier sind viele bürokratische und verwaltungsrechtliche Hürden auch aufgrund der Verwaltungsstruktur und Mitbestimmungsrechte in Deutschland zu nehmen. In Bad Lauchstädt hat die VNG ein Leuchtturmprojekt etabliert, wo es um die Herstellung von grünem Wasserstoff geht. D.h. Von der Erzeugung (Windpark) über die Speicherung (Kaverne), Transport (Umstellung der Erdgasleitung), Vermarktung (Kundensuche) bis zur Nutzung (vor allem: Chemische Industrie) ist dort an alles gedacht, um künftig ein Paradebeispiel für grünes H2 abzuliefern.

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Cornelia Müller-Pagel, Leiterin Grüne Gase der VNG AG

Im zweiten Vortrag vom online zugeschalteten Experten Frank Pfützner, Leiter Asset-Bewirtschaftung, VNG Handel & Vertrieb GmbH, haben wir aus erster Hand etwas über den globalen Gasmarkt in Erfahrung bringen dürfen. Der niederländische TTF Gas Future ist dabei nach wie vor die Benchmark zur Preisbestimmung. War für uns in Europa bisher (vor dem Ukrainekrieg) ein Preis i.H.v. 20€/MWh für Erdgas Normalität, so mussten wir im Laufe des Jahres 2022mit Preisen i.H.v. 340€/MWh in der Spitze und aktuell mit 116 €/MWh abfinden. Europa muss 60 Prozent seiner benötigten Gasmenge aus dem Ausland importieren – eine fatale Abhängigkeit, die nur schwer zu kurieren ist. Dabei ist Russland mit Abstand der größte Gasexporteuer der Welt. Wichtig hierbei ist, dass das russische Gas, welches nun nicht mehr durch Nordstream I und II durchgeleitet wird, dem globalen Gasmarkt fehlt und die Preise in diese exorbitanten Höhen treibt. Wir haben eindeutig ein Mengenproblem an Gas, welchem nur durch Einsparen und durch teuren Zukauf aus anderen Staaten in gewissem Maß zu begegnen ist. Nach Ansicht von Frank Pfützner nützen Gaspreisdeckel, wie aktuell in Planung, nicht viel – diese tragen lediglich dazu bei, den Marktmechanismus eines intakten Gasmarktes zu konterkarieren. Auf lange Frist müssen wir uns definitiv auf höhere Gaspreise und eine voranschreitende Deindustrialisierung in Europa gefasst machen – kein guter, aber wahrer Befund. Aktuell sind die Gaspreise nur deshalb nicht noch weiter gestiegen, da China (Corona-Lockdown-bedingt) einen 20 Prozent geringeren Gashunger auf russisches Gas hatte. Diese Zustände werden jedoch nicht länger andauern, wenn die chinesische Wirtschaft wieder auf voller Kraft läuft. Die in Planung befindliche neue Pipeline von Russland nach China wird wahrscheinlich erst 2026 fertig gestellt –bis dahin kommen auch auf China herausfordernde Zeiten zu.

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Frank Pfützner, Leiter Asset-Bewirtschaftung bei VNG Handel & Vertrieb GmbH

Für Europa gilt, dass wir auf zwei weniger strenge Winter hoffen und Erdgas einsparen müssen, um den Gasmarkt wieder ein wenig ins Gleichgewicht zu bringen. All diese Vorgänge treiben auch den LNG-Preis nach oben und, da Gas aktuell auch noch zur Verstromung eingesetzt wird, steigt der Strompreis ebenfalls. Ein Strompreis i.H.v. 700€/MWh aktuell steht dabei schon lange nicht mehr im Verhältnis zum „normalen“ Strompreis von 50-70€/MWh aus der Vergangenheit. Hier werden die entscheidenden Wechselwirkungen eines äußerst komplexen Energiesystems deutlich. 

Bei einem aktuellen Füllstand der Erdgasspeicher in Deutschland von 95% und in der Hoffnung auf einen Füllstand im Februar 2023 i.H.v. 40% müssen nun aus Sicht des Wirtschaftsrates schnell alle verfügbaren Reserven zur Energieerzeugung (Kohle und Kernkraft) ans Netz, um eine gewisse Eindämmung der Problemlage zu erreichen. In jedem Fall muss bereits heute bis zum März 2024 gedacht werden. Eine deutsche bzw. europäische Industriestrategie, welche die Rohstofflage mit bedenkt, ist ohnehin schon längst überfällig. Wir danken den Organisatoren von VNG, namentlich André Deichsel, für die hervorragende Organisation der erkenntnisreichen Veranstaltung. Wir kommen gern wieder.