Kein Ende in Sicht in der globalen Chipkrise
Carsten Ellermeier, CEO der Prettl Electronics Group, hat für den Wirtschaftsrat die Türen am Standort in Radeberg geöffnet und unseren Mitgliedern als Gastgeber einen erkenntnisreichen Nachmittag/Abend ermöglicht. Yvonne Keil, Director Global Supply Management bei GLOBALFOUNDRIES und Vorstandsmitglied im Silicon Saxony e.V., war unsere Referentin des Nachmittags. Sie hat eine interessante Marktbetrachtung für Mikro-Chips vorgenommen und uns am Ende die Wertschöpfungskette vom Sand bis zum Chip (Quarzsand erhitzen, „Kristall“ züchten, mit Licht bestrahlen, beschichten, auswaschen, sägen, mit Kunststoff abdecken) anschaulich erklärt.
Digitalisierung ist eines der aktuellsten Schlagwörter im daily business. Nahezu alle elektronischen Geräte - vom Computer und Smartphone, bis hin zur Waschmaschine, Rasenroboter und Kinderspielzeug -benötigen Mikrochips. Die Verknappung des Bauteils und deren wirtschaftliche Folgen sind brisanter denn je. In den letzten Jahrzehnten entstand in der Region mit GLOBALFOUNDRIES, Infineon, SAP, Bosch und vielen anderen Unternehmen ein Mikroelektronik- Halbleiter-Cluster, welches eines der größten in Europa ist. Doch es existieren in diesem Segment noch unerschlossene Wachstumspotenziale und eine starke Nachfrage. Wir sind insbesondere der Frage nachgegangen, ob es wirklich einen flächendeckenden „Chipmangel“ gibt und warum dies so ist. Wie können wir diesem entgegnen? Wie sollte sich Europa und die Region Sachsen dafür aufstellen? Dies waren die Themen, die wir in der PRETTL Electronics GmbH besprechen konnten. Nicht unerwähnt sollen an dieser Stelle der anfängliche Sektempfang, der anschauliche Fertigungsrundgang sowie der leckere Imbiss bleiben. Unser Dank geht an alle Mitwirkenden von PRETTL in Radeberg.
PRETTL gibt es nunmehr seit 20 Jahren. Die Angebotspalette des High-Tech-Unternehmens reicht von Entwicklung, über Prototyping, Industrialisierung, Serienfertigung bis zum After-Sales Service. Sehr vieles geschieht automatisiert. Bei kleineren Stückzahlen werden die elektronischen Bauelemente noch per Hand gefertigt. Einen praktischen Eindruck durften wir beim Werksrundgang gewinnen. Da kann man nur stauen, in welcher Geschwindigkeit und Präzision die Bestückung der Leiterplatten zum fertigen Produkt geschieht – für Laien ein unglaublicher, ja geradezu magischer Vorgang. Heraus kommen z.B. On-Board Charger für Kraftfahrzeuge jeder Art. Was Sie vielleicht noch nicht wussten: Über die Hälfte der Beatmungsgeräte in Deutschland während „Corona“ wurden durch PRETTL in Radeberg hergestellt.
Yvonne Keil, studierte Diplom-Ingenieurin in den
Fachbereichen Elektrotechnik und Elektronik an der TU Dresden, mittlerweile 13
Jahre in führenden Positionen beim US-Unternehmen GLOBALFOUNDRIES, hat uns in
Ihrem Vortrag mit allerhand Fakten versorgt. So z.B. war uns neu, dass das BIP
von Apple mittlerweile größer ist als das jeder einzelnen Industrienation auf
der Welt. Ohne Mikrochips geht heute kaum noch etwas – sie finden sich in nahezu
jedem modernen Technischen gerät. Ca. 1.000 Mrd. Chips werden pro Jahr verbaut
– Tendenz steigend. Die Halbleiter-Technologie vor allem in Autos nimmt
kontinuierlich zu – immer mehr Mikroelektronik findet in Form von zusätzlichen
Hilfssystemen Anwendung. Interessant ist, dass eine „durchschnittliche“
Chip-Fabrik ca. 3 Mrd. € kostet – nur um mal eine Einordnung in die massiven
Investments zu bekommen. Man spricht bei Wafer-Scheiben mit 200mm-Durchmesser
von „alter“ Technologie. Die neue Technologie liefert 300mm-Waferscheiben ab,
d.h. es können am Ende mehr Chips auf einer Scheibe Platz finden. In diesem
Jahr sind weltweit 25 neue 300mm Fabriken entstanden, 73 Projekte finden sich
in Planung. Aber auch die „alte“ Technologie findet in herkömmlichen Haushaltsgeräten
noch Anwendung und hat Zukunft. Bei 200mm-Fabriken sind in diesem
Jahr weltweit zwar nur 4 neue entstanden – jedoch befinden sich auch hier 67
Projekte in der Planungsphase.
Um die Frage des Nachmittags, ob es einen flächendeckenden Chipmangel gibt, zu beantworten: Yvonne Keil konstatiert, dass es tatsächlich einen Chip-Mangel in nahezu jedem Bereich gibt (Corona-Lockdowns, rasant steigende Nachfrage) und dass dieser auch noch eine Weile andauern wird. Fakt ist aber auch: Europa fällt im globalen Wettbewerb bei Halbleitern zusehends zurück – Asien (vor allem China) nimmt hier Fahrt auf. Hatte Europa 1990 noch einen Marktanteil von 44 Prozent, so ist dieser im Jahr 2022 auf 9 Prozent gesunken. Die Frage, wie Europa hier wieder aufholen kann, lag im Raum. Yvonne Keil meint dazu, dass Europa schneller werden müsse, es gilt zudem die gesamte Wertschöpfungskette der Halbleiterindustrie in den Blick zu nehmen und Förderprogramme müssen mit mehr Tempo umgesetzt werden. Zudem würden die vielen EU-Kommissare die notwendigen Anpassungsprozesse bremsen, da hier viele Nationen mit deren jeweiligen Individualinteressen mitreden dürften. In Europa gibt es z.B. keine Fabrik, welche die Mikrochips „aussägen“ kann – hier wäre ein notwendiger Ansatz zur Integration dieses Arbeitsschrittes in Europa gegeben. Auch die Mittel für den IPCEI-Förderfonds (IPCEI: Important Projects of Common European Interest) hätten schneller frei gegeben werden müssen, stellte Yvonne Keil heraus.
Um künftig wieder von 9 Prozent europäischem Marktanteil auf zumindest 20 Prozent zu kommen, könnte Technologieführerschaft das Ziel sein. Das holländische Unternehmen ASML macht es bei der Produktion von Maschinen zur Waferherstellung vor. Freilich muss die öffentliche Hand auch Finanzmittel in die Wachstumsfelder der Zukunft leiten – die Chipherstellung gehört zweifelsohne dazu und hier gilt es, eigenständige komplette Wertschöpfungsketten zu etablieren. In Sachsen sind die Bedingungen dafür gegeben. Diese regionalisierten Wirtschaftskreisläufe sind auch im Sinne unseres Gastgebers, Carsten Ellermeier. Wir freuen uns auf eine Fortsetzung diese Themenkomplexes unter politischer Beteiligung.