Veranstaltung des Landesverbandes Sachsen mit Harald Kujat, General a.D., Senator und Mitglied des Präsidiums des Internationalen Wirtschaftssenats
Mit seiner Veranstaltung blickte der Wirtschaftsrat Sachsen auf 999 Tage des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begonnen hatte, zurück. Seither war die Ukraine auf die Unterstützung der westlichen Staaten angewiesen. Nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA droht nun ein wichtiger Verbündeter wegzufallen. Zugleich ist Deutschland in eine schwere Regierungskrise geraten. Immer häufiger wird auch hier die Kosten-Nutzenrechnung der Ukrainehilfen infrage gestellt. Höchste Zeit also, den jetzigen Stand der Lage zu analysieren und einen vorsichtigen Blick in die Zukunft zu wagen. Hierzu lud der Wirtschaftsrat Sachsen den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses Harald Kujat ein.
Dr. Dirk Schröter, Landesvorsitzender des WR Sachsen, bei der Begrüßung von Harald Kujat, General a.D. (Foto: Wirtschaftsrat)
Zu Beginn seines Vortrages ordnete Harald Kujat den Ukrainekrieg in das politische Geschehen des 21. Jahrhunderts ein. Dieses sei heute maßgeblich durch den Aufstieg Chinas und die daraus resultierende Konkurrenz mit den USA geprägt. Zu den „großen Mächten“ zählte Kujat die USA, Russland sowie China und verwies auf einen zunehmenden Einfluss des „chinesischen Drachens“. Entsprechend brauchten die USA einen Schulterschluss mit Europa. Ein Blick in die US-Militärdoktrin unterstütze diese Annahme: Russland sei im Ukrainekrieg so weit zu schwächen, dass man sich voll und ganz auf China als wirtschaftlichen und militärischen Widerpart konzentrieren könne. Bei ihrer Strategie seien die USA allerdings darauf bedacht, in keinen direkten Konflikt mit Russland zu geraten. Dem gegenüber stehe Russland, das um seinen Erhalt als Großmacht kämpfe. Generell unterschieden sich die Eskalationsstrategien der USA und Russlands. Während die USA in kleinen Schritten die nächste Eskalationsstufe austesteten, habe Russland einen langen Geduldsfaden. Sei für Russland allerdings die Toleranzschwelle erreicht, so folge ein enormer gewaltvoller Gegenschlag, wie die jüngste Geschichte zeige.
Harald Kujat, General a.D. während seiner Rede (Foto: Wirtschaftsrat)
Harald Kujat betonte, dass die zukünftige Ukrainepolitik unter dem frisch gewählten Präsidenten Trump noch kaum abzusehen sei. Zwar habe beispielsweise der designierte Vizepräsident JD Vance bereits Pläne skizziert, gemäß derer die Ukraine eine neutrale Zone werden solle, was jedoch nach Kujats Einschätzung höchst komplex ist. Demnach solle Russland die bisher eroberten Gebiete behalten und die Ukraine solle weder die Mitgliedschaft in der NATO oder in ähnlichen internationalen Organisationen beantragen. Der EU käme in diesem Fall die Überwachung der dann zu demilitarisierenden Zone zu. In einer solchen Situation wäre nach Ansicht Kujats ein UN-Blauhelmmandat angebracht. Kujat ging auf das Minsk-II-Abkommen aus dem Jahr 2015 ein und stellte in Bezug auf die Eskalation zum russischen Angriffskrieg eine Verbindung zur NATO-Osterweiterung her.
(Foto: Wirtschaftsrat)
Er beleuchtete auch die Rolle Chinas, welches eher durch einen zurückhaltenden Kurs in der Ukrainefrage auffalle. Das Land mache aber den Westen für das erhöhte internationale Risiko verantwortlich und bereite sich in der Taiwanfrage auf einen Konflikt mit den USA vor. Zudem sei China wegen der Rohstoffvorkommen eher an einer Kooperation mit Russland interessiert und sehe die künftige Weltordnung als eine „multipolare“ mit einer starken EU an. Was das weltweite Atomwaffenarsenal anbelange, habe China zudem zu den USA und Russland aufgeschlossen. China sei zur zweitstärksten Militärkraft der Welt geworden.
Schon jetzt habe sich, so Kujat, ein neuer Machtblock um China gesammelt, dem sich immer mehr Staaten anschlössen. Gelänge es Europa nicht, von diesen Konkurrenten weiter unabhängig zu werden, drohe dem Kontinent die politische Bedeutungslosigkeit. Um das zu vermeiden, müsse Europa lernen, seine Interessen selbstständig durchzusetzen und politisch-wirtschaftlich effektiver zu werden. Eine wirtschafts- und geopolitische Strategie Europas sei insbesondere vor dem Hintergrund der erstarkenden BRICS-Staaten, die Türkei habe im Übrigen auch die BRICS-Mitgliedschaft beantragt, unbedingt erforderlich. Die BRICS-Staaten verkörperten 40 Prozent der Weltbevölkerung und hätten ein BIP, das wesentlich größer sei als das der G7-Staaten. Sie gingen mit dem Plan in den Wettbewerb, dauerhaft eine rohstoffbasierte Leitwährung zu etablieren. Insgesamt gehe es also um eine europäische Friedensordnung, in welcher Russland und die Ukraine Platz finden müssten.
Dr. Dino Uhle, Landesgeschäftsführer des WR Sachsen, während der Diskussion (Foto: Wirtschaftsrat)
Als wichtigsten Beitrag Deutschlands betrachtet Kujat den Wiederaufbau der Bundeswehr, damit diese ihren verfassungsmäßigen Pflichten wieder nachkommen könne. Dazu müsse die Bundeswehr sowohl die notwendige Mannstärke als auch eine ausreichende technologische Ausstattung besitzen. Daher reiche es nicht, den Haushalt perspektivisch auf drei Prozent des BIP zu erhöhen, sondern man müsse auch die Anteile im Verteidigungsetat besser verteilen.
Während der Diskussion (Foto: Wirtschaftsrat)
Als wichtigsten Beitrag Deutschlands betrachtet Kujat den Wiederaufbau der Bundeswehr, damit diese ihren verfassungsmäßigen Pflichten wieder nachkommen könne. Dazu müsse die Bundeswehr sowohl die notwendige Mannstärke als auch eine ausreichende technologische Ausstattung besitzen. Daher reiche es nicht, den Haushalt perspektivisch auf drei Prozent des BIP zu erhöhen, sondern man müsse auch die Anteile im Verteidigungsetat besser verteilen.
Harald Kujat bei der Beantwortung von Fragen aus der Mitgliedschaft (Foto: Wirtschaftsrat)
Harald Kujat betonte darüber hinaus, dass es in einem Krieg immer auch Diplomatie geben müsse, damit der Konflikt nicht weiter eskaliere. Diese sei im Westen aktuell unterausgeprägt. Fehlende Diplomatie habe zudem eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Konfliktes gespielt. Gerade das Aufkündigen von Verträgen seitens des Westens, wie zum Beispiel des INF-Abkommens 2019 durch die USA, habe Russland in eine noch unsicherere Lage gebracht. Die Versprechen, Länder wie Georgien in die NATO aufzunehmen (2008) oder die vom Westen unterstützte Maidan-Revolution stellten ebenfalls einen Affront gegen Russland dar – zumindest habe Russland es so verstanden. In der Folge habe Russland die Krim besetzt, womit eine neue Eskalationsstufe erreicht worden sei. Der Westen habe zudem nie ernsthaft die russischen Friedensbemühungen unterstützt, was auch zum Scheitern der Istanbuler Verhandlungen im März 2022 geführt habe, wo der Krieg hätte bereits beendet werden können.
Den jetzigen Stand im Ukrainekonflikt bezeichnete Kujat als fatal. Trotz der massiven Unterstützung seitens Westens rücke Russland immer weiter in die Ukraine vor, was eine sich zunehmend verschlechternde Verhandlungsposition für die Ukraine bedeute, einen Waffenstillstand zu erreichen. Ohne die finanziellen Zuschüsse des Westens breche der ukrainische Staat einfach zusammen. Insbesondere die Politik der EU, die Verhandlungen weitestgehend ausschließe, halte er angesichts der kommenden Präsidentschaft von Donald Trump für gefährlich. Ohne die Unterstützung der USA hätte die Ukraine nicht die Kapazitäten, den Krieg weiterzuführen oder gar zu gewinnen. In Falle eines Rückzuges der USA aus dem Konflikt würde das bedeuten, dass die europäische Politik allein die Verantwortung für eine eventuelle militärische Niederlage der Ukraine übernehmen müsse. Aus diesem Grund seien Friedensbemühungen wie die von Viktor Orbán wichtig, um Hand in Hand mit einer möglichen zukünftigen US-Politik zu gehen.
Die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland (Wiesbaden) ab 2026 sieht Harald Kujat äußerst kritisch. Deutschland werde somit zu einem Knotenpunkt der NATO und der USA in Europa, was aus strategischen und sicherheitspolitischen Gründen vermieden werden müsse. Für Russland schaffe die Stationierung eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts und somit ein neues Bedrohungsszenario. Raketenabwehrsysteme, die Russland bedrohen könnten, befänden sich bereits seit Jahren in Polen und in Rumänien.
Im Grunde sei es gut, dass der Siegesplan von Wolodymyr Selenskyj (sofortige Aufnahme der Ukraine in die NATO, Krieg nach Russland tragen, Ukraine aufrüsten, Rohstoffe der Ukraine für den Westen, Etablieren der Ukraine als europäische Sicherheitsmacht) seitens der EU abgelehnt wurde, da insbesondere die Garantie, NATO-Mitglied zu werden, die NATO zur Kriegspartei gemacht hätte. Der Westen reagiere bislang zu schwach auf ukrainische Drohungen. Vor einigen Monaten etwa habe die Ukraine etwa gedroht, das Budapester Memorandum von 1994 infrage zu stellen, wenn die Lieferungen des Westens stoppten. Trotz der politischen Tragweite sei eine Reaktion ausgeblieben.
Präsident Bidens Entscheidung zur Freigabe der Mittelstreckenraketen als Reaktion auf die Stationierung von 10.000 nordkoreanischen Soldaten in der Region Kursk sei ebenfalls höchst brisant, da diese Raketen nur mithilfe europäischer und von US-Satelliten gesteuert werden könnten. Dies könnte dann als Kriegseintritt der NATO aufgefasst werden. Es sei allerdings davon auszugehen, dass Präsident Trump die Entscheidung Bidens revidieren werde.
Kujat stellte fünf zentrale Thesen auf: 1. Der Krieg in der Ukraine hat politische Ursachen; 2. Es muss sich sofort und glaubhaft um einen Verhandlungsfrieden bemüht werden, was weder in der EU noch in Deutschland in erforderlichem Maße geschieht; 3. Der Ursprung des Krieges liegt unter anderem darin, dass die USA im Jahr 2002 den 1972 geschlossenen ABM-Vertrag einseitig aufgekündigt haben, Präsident Trump im Jahr 2019 den INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketensysteme gekündigt hat sowie darin, dass der Westen im Jahr 2014 den Maidan-Putsch mit 108 Toten gestützt hat. 4. Die militärische Lage wird für die Ukraine immer schwieriger, der Zustand aus dem Jahr 1991 ist nicht mehr herstellbar, die Ukrainer sind kriegsmüde, vier annektierte Gebiete in der Ukraine sind bereits in russischer Hand. 5. Die USA werden einen Großteil der Kriegslasten auf die EU abwälzen.
Aktuell gebe die Ukraine 50 Prozent ihres Staatshaushaltes für den Krieg aus. Das Waffensystem „Taurus“, welches die CDU und auch die Grünen der Ukraine zur Verfügung stellen wollen würden, könne aktuell nur mittels der Expertise von Bundeswehrsoldaten bedient werden, was faktisch einem Eintritt Deutschlands und mithin der NATO in den Krieg gleichkäme. Dies sei entsprechend abzulehnen, da die Ukraine trotz der finanziellen und militärischen Unterstützung seitens des Westens bisher keinen militärischen Erfolg erzielt habe. Die einzige Lösung sei ein schnell anzustrebender Waffenstillstand, der sofortige Friedensverhandlungen ermögliche. Dem am 20. Januar 2025 zu vereidigenden 47. US-Präsidenten Donald Trump traut Harald Kujat zu, dass dieser eine Ausweitung des Krieges auf Europa verhindern und diesen Krieg befrieden könne.
v.l.n.r.: Dr. Dirk Schröter, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates Sachsen; Harald Kujat, General a.D.; Dr. Dino Uhle, Landesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates Sachsen (Foto: Wirtschaftsrat)
Zuletzt erinnerte Kujat daran, wie die europäischen Staaten in den Ersten Weltkrieg und somit in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts getaumelt seien. Er hoffe, dass zukünftige Historiker sich nicht mit der Frage beschäftigen müssten, wie der Ukrainekrieg zur Katastrophe des 21. Jahrhunderts geworden sein könne.