Wirtschaft in Südwestsachsen schwächelt – „demografische Keule“ kommt
Der Landesverband Chemnitz lud Landrat Rico Anton und Matthias Lißke, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH, zu einer Diskussion über die Zukunft der Region ein.
Wie kann der Erzgebirgskreis als
Teil der Industrieregion Chemnitz, Erzgebirge, Mittelsachsen, Zwickau
gemeinsame Strategien finden, um rund 1,2 Millionen Einwohnern eine attraktive
Heimat zu bewahren? Welche Kontakte bestehen mit den Landräten von Zwickau und
Mittelsachsen sowie den Oberbürgermeistern in Chemnitz, Zwickau und Freiberg?
Kann der gemeinsame Nenner das UNESCO-Welterbe Montanregion
Erzgebirge/Krušnohoří sein? Sind hochwertige Industriearbeitsplätze, Welterbe
und Kulturhauptstadt miteinander vereinbar? Wie kann man unsere tschechischen
Nachbarn mitnehmen, nachdem sie schon eine Autobahn bauen? Ist ein
unternehmerisch abgestimmtes Handeln für Industrie, Gewerbe, Hochschulen und
Natur möglich? Wie können wir ein gemeinsames Bewusstsein wiedererlangen, dass
wir mit 1,2 Millionen Menschen der bedeutendste Wirtschaftsraum in
Ostdeutschland sind? Wollen wir dies oder macht uns politisch motivierte
Ideologie blind? Beim Treffen im GDZ Annaberg wurden diese wichtigen Fragen zur
wirtschaftlichen Entwicklung des Erzgebirgskreises erörtert.
Landrat Rico Anton verwies zunächst auf die Bergbauhistorie seines Landkreises, ging auf Weihnachten, das Kunsthandwerk und die wunderschöne Landschaft des Erzgebirges ein. Er hielt fest, dass das Erzgebirge ländlich geprägt, dicht besiedelt und Heimat von 15.000 kleineren Unternehmen sei, denn ca. 85 Prozent aller Unternehmen beschäftigten weniger als zehn Mitarbeiter. Die Branchenvielfalt sei groß; sie bewege sich von Metallverarbeitung über Elektrotechnik bis hin zum Maschinenbau. Das Handwerk nehme traditionell einen großen Stellenwert ein. Um all dies zu befördern, sei das Regionalmarketing in seinem Landkreis von großer Bedeutung. Die Wenigsten wüssten, dass die Region Südwestsachsen, gemessen an ansässigen Unternehmen und deren Wertschöpfung, die wirtschaftsstärkste Region im Freistaat Sachsen sei.
Aktuell jedoch sei die Ungewissheit
sehr groß, was die Wirtschaftsentwicklung anbelangt. Eine bereits seit 2019 auch
bundespolitisch verursachte konjunkturelle Schwäche, eine rückläufige
Binnennachfrage, hohe Energiekosten, steigende Arbeits- und Bürokratielasten sowie
keine geschlossene klare Wachstumsstrategie kennzeichneten den Landkreis wie
auch den Rest der Republik. Es fehle seit Jahren an einer breit angelegten
(Unternehmens-)Steuerreform – Investitionen und kluge Köpfe wanderten ins
Ausland ab. Dies sei eine ernst zu nehmende Gefahr für den Wohlstand in der Region
und für Deutschland. Hinzu komme die großteilig demografisch bedingte Lücke bei
den Arbeitskräften, die eine immer größere Belastung für die Sozial- und
Steuersysteme werde. Zur Zukunft des Erzgebirgskreises bemerkte der Landrat,
dass unbedingt ein Wandel hin zu mehr Wirtschaft und Beschäftigung erfolgen
müsse, um die schwierige Lage zu meistern. Dazu gehöre die Investition in
Infrastruktur und natürlich auch die Autobahnanbindung Chemnitz-Prag, die
bereits von tschechischer Seite realisiert sei. Hierzulande würden vielerorts
wichtige Infrastrukturmaßnahmen durch kleine Interessengruppen zulasten der
Volkswirtschaft torpediert. Zukunftsfelder wie KI, Robotik und Automatisierung hätten
die erzgebirgischen KMU bereits als Wachstumsfelder erkannt. Hinsichtlich der
sächsischen GRW-Förderung (GRW infra: kommunale Förderung; GRW RIGA:
Gewerbeförderung) merkte der Landrat kritisch an, dass „Erhalt bzw. Ausbau von
Arbeitskräften“ in der heutigen Zeit des Arbeitskräftemangels kein Kriterium
für Zuschüsse mehr sein dürfe – vielmehr müsse auf die perspektivische
Wertschöpfung bei einem Erweiterungsvorhaben gesetzt werden.
Matthias Lißke, Chef der Wirtschaftsförderung Erzgebirge, stellte die wirtschaftliche Lage des Erzgebirgskreises anschaulich dar und machte in der Mobilitätswende, der Digitalisierung und der sogenannten „demografischen Keule“ die größten Herausforderungen der Zukunft aus. Zudem bestehe bei Unternehmenssubventionen auch in Sachsen ein großes Ungleichgewicht zwischen der Förderung von Leuchtturmprojekten, wie den 10 Milliarden Euro für die TSMC-Ansiedlung in Dresden und eines beispielsweise ausbleibenden „Grenz-Bonus“ für Annaberg-Buchholz sowie kleinteiliger Mittelstandsförderung mit nicht mehr zeitgemäßen Kriterien (GRW-RIGA-Förderung). Matthias Lißke stellte heraus, dass der Tourismus (Oberwiesenthal, Eibenstock, Erzgebirgsweihnacht etc.) wichtig, aber keinesfalls entscheidend für die Wirtschaft im Erzgebirge sei. Wesentlicher sei die Arbeitskräftelücke, die er in den nächsten Jahren auf 40.000 Personen bezifferte. Corona habe vor allem dem Gastgewerbe stark zugesetzt – da sei Personal für immer verloren gegangen. Um hier Abhilfe zu schaffen, werde auch verstärkt auf tschechische Arbeitskräfte gesetzt, zumal das Lohnniveau in Tschechien aktuell noch wesentlich niedriger als im Erzgebirge sei, wo man mit 2.278 Euro Haushaltsnettoeinkommen im Durchschnitt von Sachsen liege. Das „Fachkräfteportal Erzgebirge“ sowie das „Welcome-Center“ (Ankommen, Arbeiten, Leben) ermöglichten den Direktkontakt zu Unternehmen im Landkreis und zeigten kontinuierlich Erfolge beim Abschmälern des Beschäftigungsproblems.
Für die Zukunft solle das Symbol
des Bergbauhammers für ein wiedererstarkendes Erzgebirge stehen (Slogan: Das
„Hammer“ uns verdient). Es solle ein Imagewandel vom Weihnachtsland zum
Wirtschaftsstandort vollzogen und auf den Technologietransfer gesetzt werden.
Die Initiative des BMBF „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ solle
dabei helfen – das „SmartERZ-Bündnis“ sei hier eine bereits existierende
Ausprägung, wenn es um Verbundwerkstoffe gehe. Im Symbol des Hammers solle sich
die Dachmarke Erzgebirge widerspiegeln, d. h. der Erzgebirger sei ursprünglich,
verwurzelt, zupackend, unverstellt und belebend“. Wünschenswert für die
Struktur der Wirtschaftsförderung Sachsen sei es, eine permanente Rückkopplung
zu den regionalen Wirtschaftsförderungen in Sachsen zu schaffen, die
freistaatliche mit regionalen Interessen in Einklang und in den Austausch bringe,
ganz unabhängig davon, wie die jeweiligen regionalen Wirtschaftsförderungen
organisiert und rechtlich aufgestellt seien. Der Freistaat Thüringen biete
hierfür mit der LEG mbH einen organisatorischen Best-Practice-Ansatz.