Aus den Ländern (Sachsen) - Krieg in der Ukraine und dessen Folgen
Der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 stellt eine Zeitenwende dar, nicht nur im Verhältnis des Westens zu Russland. Auch in Sachsen sind die Folgen zu spüren und zu sehen, wirtschaftlich, wie humanitär.
Welche Möglichkeiten gibt es, den Krieg zu beenden? Wie gehen wir in Sachsen mit den Opfern von Krieg und Vertreibung um? Welche Folgen, insbesondere in Bezug auf Lieferketten und Importe, sind für die Wirtschaft noch zu erwarten und welche Lösungen sind hier zu empfehlen? Diesen und weiteren Fragen sind wir im Gespräch mit Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident a.D., nachgegangen, der als erfahrener Wirtschafts- und Verwaltungsexperte die Ukraine (Regierung, Parlament, kommunale Spitzenverbände und Zivilgesellschaft) seit 2014 bei ihrem Reformprozess beratend und politisch vor Ort unterstützt hat. Seit 2017 ist er als deutscher Sondergesandter im Auftrag der G7-Staaten mit den Schwerpunkten kommunale Selbstverwaltung, öffentlicher Dienst und gute Regierungsführung betraut.
Die Exporte nach Russland sind momentan stark eingebrochen. Die Sanktionen gegenüber Russland zeigen somit die ersten Wirkungen. Der Umgang mit den Geflüchteten aus der Ukraine stellt viele Kommunen momentan vor Probleme, um die Unterbringung und Versorgung der Kriegsopfer zu gewährleisten. Das sollte keinesfalls unterschätzt werden.
Um die aktuelle Lage zu begreifen, begann Prof. Milbradt mit einem historischen Abriss und stellte eine Anmerkung von Präsident Putin voran, um ein besseres Verständnis für die russische Sicht der Dinge zu bekommen. Putin sieht demnach den Konflikt als eine Notwendigkeit historischer Kontinuität. Er möchte gern ein russisches Zarenreich (Zar=Cäsar=Kaiser) wieder herstellen, so die Ansicht von Prof. Milbradt. Dabei gehen die historischen Linien Russlands bis in die Wikingerzeit zurück. Die „Kiewer Rus“ (Altrussland) hat bis 1240 bestanden und ist als Ursprung Russlands zu sehen. Dieses „Ur-Russland“ (als Staatenbund) ist auf dem Territorium der heutigen Ukraine zu finden, was uns zum vermeintlichen Ausgangspunkt des Konfliktes zurückführt. Dennoch haben sich Russland und die Ukraine unterschiedlich entwickelt. So wurden unter Stalin 1945 die Gebiete Weißrussland und Ukraine Mitglied der Uno. Später, also 1991 sind unter Jelzin 15 Sowjetrepubliken als unabhängige Staaten entstanden. Mit der Maidan-Revolution 2014 wollte sich die Ukraine noch mehr in Richtung Westen orientieren. Vorbild für die Ukraine ist hier Polen, denn 1990 hatten Polen und die Ukraine in etwa das gleiche BIP pro Kopf. Polen hat sich danach aber wirtschaftlich stark (Verdreifachung der Produktivität) entwickelt, woran sich die Ukraine orientieren wolle.
Der Zwang zu Reformen, wie mit dem Beitritt Polens in die EU geschehen, soll nun auch die Ukraine beflügeln. Die EU war und ist für die Ukraine in jedem Fall ein Magnet, der eine gewisse Anziehungskraft ausübt. Die Ausweitung der EU bzw. NATO wird von Präsident Putin als „Angriff“ auf seine russische Identität und auf das russische Territorium gesehen. Die Weltordnung in Europa sollte bestenfalls ohne Beteiligung der USA aufgestellt werden. Der Donbass-Konflikt wird von russischer Seite eher als Hebel gesehen, um die Ukraine komplett zu kontrollieren. Die Donbass-Region allein war entsprechend nie das Ziel für Hilfestellungen seitens des russischen Militärs.
Die Ukraine hat mittlerweile eine starke eigenständige Identität entwickelt und die Ukrainer möchten keinesfalls wieder in eine (neue) russische Föderation zurück, schätzt der MP a.D. die Lage ein. Wie soll es zu einem Frieden in dem Konflikt kommen? Die Antwort ist schwierig. Selbst mit einer „geschrumpften“ neuen „Rest-Ukraine“ wäre diese auch vor weiteren Bestrebungen Russlands nicht sicher. Wirken Drittkräfte (EU, NATO) mit, so könnte man eventuell eine neutrale Stellung der Ukraine erreichen. Die Deutsche Rohstoff-Importabhängigkeit, insbesondere von russischem Gas, ist vorhanden. Die Gas-Pipelines können kurz- und mittelfristig nicht umgestellt werden und das Gas in andere Regionen geleitet werden. Prof. Milbradt sieht momentan wenig Hoffnung für einen stabilen Frieden – auf Dauer ist in Europa mit einer konfrontativen Situation gegenüber Russland zu rechnen. Bei der Frage, „schwere Waffen“ in die Ukraine zu liefern, muss man in erster Linie danach fragen, ob wir - also Deutschland - überhaupt Waffen in der ausreichenden Menge liefern können, zumal hier im eigenen Land ein militärischer Engpass vorliegt. Momentan sieht es nicht nach einem diplomatischen Weg zur Befriedung des Konfliktes aus. Solange beide Seiten kämpfen wollen, ist eine diplomatische Lösung in weiter Ferne. Eine langfristige Lösung, bei Fortdauern des Krieges, sollte eine größere militärische Eigenständigkeit von Deutschland und der EU sein. Europa kann sich auf Dauer nicht auf den Schutz der USA verlassen - es muss da selbst aktiver werden. Hinzu kommt, dass die Flüchtlingsproblematik strategisch gelöst werden muss. Russland muss sich auch entscheiden, ob es sich mehr in Richtung Westen oder Osten (China) orientiert. Im zweiten Fall wäre Russland auf Dauer aber stets der „Juniorpartner“. Die seit 1990 bestehende Ordnung der Welt, wird es künftig nicht mehr geben - so viel ist sicher. Wir Deutsche und Europäer müssen uns fragen, welche Rolle wir künftig noch spielen wollen. Ohne eine (militärische) Machtposition geht leider nichts.
Wir danken Prof. Dr. Georg Milbradt für seine umfassende Einschätzung der Lage und freuen uns auf einen erneuten Dialog mit ihm.