Frank Bösenberg und Steffen Rietzschel zur „Zukunft der Halbleiterindustrie im Großraum Dresden“
In der traditionsreichen Mikroelektronikbranche Sachsens sind circa 3.650 Unternehmen tätig, die etwa 81.000 Menschen beschäftigen. Der im Jahr 2000 gegründete Silicon Saxony e.V., der für den Zusammenschluss mittelständischer und großer Unternehmen der Halbleiterbranche im Großraum Dresden steht, hat derzeit 569 Mitglieder und 20 Mitarbeiter. Aufgaben des Silicon Saxony e.V. sind die Organisation von Konferenzen und Events, die Teilnahme und Planung von Messen, die Initialisierung konkreter Projekte, die Informationsübermittlung sowie Lobbyarbeit für die Halbleiterbranche.
Prof. Dr. Steffen Tobisch, Sprecher der Sektion Dresden, bei seiner Begrüßung der Referenten (Foto: Wirtschaftsrat)
Im Dresdner Norden existieren sieben Hightech-Halbleiterfabriken von Bosch, GlobalFoundries, ESMC (Joint Venture aus TSMC, Bosch, Infineon und NXP), Jenoptik, Infineon, xfab und saw-components. Die aktuelle Investitionssumme am Standort beläuft sich auf 15 Milliarden Euro – Erweiterungen sind in allen großen Halbleiterfabriken geplant. Der taiwanesische Chip-Konzern TSMC wird im Jahr 2027 sein Werk in Dresden eröffnen. Die Investitionssummen klingen groß, sind aber im weltweiten Vergleich der Branche eher gering. Denn in Asien hat die Halbleiterindustrie ca. 750 Milliarden Euro (Marktanteil: 48 Prozent), in den USA ca. 200 Milliarden Euro (Marktanteil: 38 Prozent) investiert, während sich die gesamten europäischen Investitionen „lediglich“ auf 43 Milliarden Euro (Marktanteil: 10 Prozent) summieren. Dennoch wird der Halbleiterbranche auch in Dresden ein enormes Wachstumspotenzial prophezeit. Waren im Jahr 2022 noch 76.100 Personen in der Branche in und um die sächsische Hauptstadt tätig, so liegen die Prognosen für das Jahr 2030 bei bis zu 114.000 Beschäftigten. Dies stellt die Stadt vor Herausforderungen, die hauptsächlich Wohnen und Infrastruktur betreffen.
v.l.n.r.: Steffen Rietzschel, Amtsleiter Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt Dresden; Frank Bösenberg, Managing Director der Silicon Saxony Management GmbH; Prof. Dr. Steffen Tobisch (Foto: Wirtschaftsrat)
Vor diesem Hintergrund sind aus Sicht des Wirtschaftsrates weitere „Verkehrsexperimente“ eher zu vermeiden und es sollte stringent an einem auch auf das Umland bezogenen integrierten Konzept für Wasserwege, Umspannwerke, Flughafen, Industriewasser, Straßennetz, Breitbandinternet, Schiene, ÖPNV und Fahrrad gearbeitet werden. Bereits bis 2027 werden in der Branche ca. 27.000 zusätzliche Arbeitskräfte (akademische und nicht akademische) benötigt. Die Landeshauptstadt sollte auf dieses Szenario ausreichend vorbereitet sein. Eine Willkommenskultur für internationale Fachleute, mehrsprachig aufzustellende Online-Wohnungsportale und die Attraktivität des Dresdner Umlandes gehören auf die Tagesordnung. Frank Bösenberg leitet daraus auch eine große Chance für die Regionalentwicklung ab. Man müsse die Zeichen nur früh erkennen und bereits heute darauf reagieren.
Frank Bösenberg während seines Vortrags (Foto: Wirtschaftsrat)
Steffen Rietzschel ging dezidiert auf den Wirtschaftsstandort ein und betonte, dass jeder dritte in Europa gefertigte Chip in Dresden produziert werde. Durch das weitere Wachstum der Mikroelektronik-Branche müssten die bestehenden Gewerbegebiete in die Peripherie ausgedehnt sowie Wohnraum durch Neubau, Ertüchtigung älterer Gebäude und Reduktion des Leerstandes geschaffen werden. Dresden habe bei Nutzung aller genannten Möglichkeiten bereits heute ein Potenzial von 36.000 Wohnungen. Die Auswirkungen auf die Entwicklung der Miet- und Kaufpreise von Immobilien dürften beim Eintreten der Wachstumsprognose für die Mikroelektronik auf der Hand liegen. Hier solle dann entsprechend sozial nachgesteuert werden. Ferner müssten die Möglichkeiten für Bildung (u. a. durch die 1996 gegründete Dresden International School mit mehrsprachigem Ganztagsprogramm für 1- bis 19-Jährige, 500 Schülern aus 55 Ländern und 130 Mitarbeitern aus 30 Ländern), Kultur, Sport, Freizeit, Gesundheitsversorgung diesem Trend angepasst werden. Außergewöhnliche Härtefälle wie der Einbruch der Carolabrücke müssten zudem noch aus dem kommunalen Haushalt gestemmt werden, weil hierfür aktuell der Bund nach eigenen Angaben kein Geld zur Verfügung habe. All dies seien mit der Halbleiterindustrie in Dresden verbundene Herausforderungen.
Steffen Rietzschel während seines Vortrags (Foto: Wirtschaftsrat)
Wir bedanken uns ausdrücklich bei beiden Referenten
und bei allen, die bei unserer Mitgliederversammlung mit anschließenden
Vorträgen dabei waren.