„Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln“
Die zu seiner Zeit noch in Regierungsverantwortung befindliche Ampel-Koalition hat in den letzten Jahren Schritte unternommen, um die Versorgung mit patentfreien Arzneimitteln zu verbessern und den Pharmastandort Deutschland zu stärken. Aber wie zukunftsfähig sind diese Maßnahmen wirklich? Und wie wird die EU-Politik – vor allem das EU-HTA-Verfahren und das neue Pharmapaket – die Zukunft der Arzneimittelversorgung beeinflussen? Ist die aktuelle Politik der richtige Weg oder stehen wir vor neuen Herausforderungen? Hat sich die Versorgungslage mit Medikamenten in den letzten 2 Jahren verbessert? Welche speziellen Probleme gibt es aktuell und wie ist die Situation für die Patientinnen und Patienten einzuschätzen?
All diese Fragen konnten wir in unserer Arbeitssitzung, nach einem sehr informativen Input von Herrn Dr. Reinhard Groß, behandeln und sechs Forderungen an die Politik und Apotheken-Kunden erarbeiten, die Sie am Ende dieser Verlautbarung nachlesen können. Zunächst aber ist zu konstatieren, dass nach wie vor große Lieferengpässe bei Medikamenten in der gesamten EU existieren. Es ist EU-seitig zwar geplant, die Arzneimittelproduktion zu einem gewissen Teil wieder nach Europa zurückzuholen, die Umsetzung bleibt aber aktuell noch fraglich und aufgrund der eingetretenen Marktverschiebung nach Asien schwierig. Seit Juli 2023 gibt es in Deutschland das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungs-gesetz (ALBVVG), welches eine verbesserte Versorgung mit Arzneimitteln zum Ziel hat. Offiziell – nach Meldung der Apotheken – bestehen jedoch Lieferengpässe für 463 Arzneimittel in Deutschland – ein Zustand der vollkommen inakzeptabel für eine Industrie- und Wirtschaftsnation ist. Des Öfteren müssen über höchst bürokratische Wege Generika (Alternativmedikamente) beschafft werden, um insbesondere Medikamente für schwere Krankheiten, wie Krebs etc. vorzuhalten. Das ALBVVG wirkt im Grunde nur bei 2% des Arzneimittelmarktes und generiert damit keinen nennenswerten Effekt.
v.l.n.r.: Matthias Jochmann, Vorsitzender der LFK Gesundheit; Dr. Reinhard Groß, stellvertretender Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbandes; Dr. Matthias Müller-Holz, Praxisinhaber, Augenärztliches MVZ Dr. Riedel & Dr. Müller-Holz; Katrin Lindner, Pressereferentin, Techniker Krankenkasse Landesvertretung Sachsen; Cordula Grüber, Inhaberin, Sonnen-Apotheke Inh. Cordula Grüber e.K. (Foto: Wirtschaftsrat)
Die Lieferengpässe werden uns nach Ansicht von Dr. Groß auch in den kommenden zwei Jahren sicher noch begleiten – Jahre, in denen der deutsche Arzneimittelmarkt weiter mit Billigmedikamenten aus China und anderen asiatischen Staaten überschwemmt und unsere Abhängigkeit weiter zunehmen wird. Konnte Deutschland jahrelang von der Globalisierung und günstigen Preise für Medikamente profitieren, so sind im Zuge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 echte Lieferschwierigkeiten eingetreten, die zu einer Umwälzung des Medikamentenmarktes geführt haben. Ähnlich, wie bei der Solarindustrie, wo vormals deutsches Know-how nach China verkauft und Grundstoffe aus China günstig eingekauft wurden, mit anschließendem Reimport, trat auch bei Medikamenten ein Bumerang-Effekt mit hoher Abhängigkeit ein, der nur schwer wieder rückgängig gemacht werden kann.
Zudem ist ein nennenswertes Apothekensterben in Deutschland und in Sachsen im Gange. Aktuell gibt es noch 17.187 Apotheken von vormals über 20.000 in Deutschland. Die Konkurrenz erwächst aus Drogeriemärkten sowie aus Apotheken mit Versandhandelserlaubnis (Internet-Apotheken). Die SHOP APOTHEKE und DocMorris, beide als AG und mit Sitz in Holland konstituiert, sind hier die prominentesten Beispiele. Ähnlich wie Amazon der Tod für viele Kaufhäuser war, stellen diese Online-Apotheken eine gewisse Bedrohung für die herkömmlichen Apothekengeschäfte dar. Aktuell schreiben die beiden Online-Giganten aufgrund der enormen Ausgaben für Werbung (z.B. Günther Jauch für die SHOP APOTHEKE) zwar noch Verluste, beschaffen sich aber immer wieder neues Kapital am Aktienmarkt. Aktuell beträgt der Marktanteil der beiden Online-Akteure zwar lediglich 0,9% bei rezeptpflichtigen Medikamenten i in Deutschland – ein Trend nach oben ist allerdings abzusehen, werden künftig die Werbeausgaben reduziert und mit Gewinnen und Rücklagen strategische Vorteile für Wachstum geschaffen.
Eine negative Entwicklung findet sich hingegen bei der Apothekenvergütung. Diese ist seit 2013 nämlich weitgehend konstant geblieben, wohingegen Inflation und immer teuer gewordene Grundstoffe die Kosten für die deutschen Apotheken nach oben getrieben haben. Real betrachtet stellt dies eine Schlechterstellung der Apotheken dar. Dazu sollte man wissen, dass eine Apotheke im Durchschnitt ca. 2,4 Mio.€ Umsatz bzw. ein Betriebsergebnis von 104 T€ im Jahr generiert – 10 Prozent aller Apotheken arbeiten bereits defizitär und schreiben Verluste. Gründe dafür liegen u.a. in verteuerten Mieten, Versicherungen und in höheren Gehältern für die Mitarbeiter. Wird kein ausreichender Umsatz generiert, um diese Kosten abzufangen, droht die Schließung der jeweiligen Apotheke und entsprechend kann man von einem „Apothekensterben“ sprechen. Die Apotheken finanzieren sich hauptsächlich über einen Fixzuschlag pro Arzneimittel – das sind aktuell 6€ sowie über einen 3%igen Prozentsatz des Arzneimittelpreises. Hier entsteht der Anreiz, sich auf hochpreisige Medikamente zu konzentrieren. Jedoch ist zu bedenken, dass diese Kosten von den Apotheken erst einmal vorgeschossen werden müssen und dafür entsprechend liquide Mittel in Größenordnungen vorgehalten werden müssen, was nicht jede Apotheke leisten kann. Um jedoch die inflationären Entwicklungen und Kostensteigerungen der Apotheken zu begradigen und deren Überleben zu sichern, ist unbedingt eine höhere Fixpreiskomponente (deutlich mehr als 6€) erforderlich. Von vielen Apotheken werden auch weitere pharmazeutische Leistungen, wie Medikationsanalysen zur Verträglichkeit, Blutdruckmessungen, pharmazeutische Beratungen etc. angeboten. Apotheken dürfen sogar auch Impfungen durchführen. Fraglich ist zudem, welche Auswirkungen die ab 2025 einzuführende Digitale Patientenakte haben wird.
Folgende Forderungen an die Politik und Apotheken-Kunden konnten wir in unserem Arbeitstreffen erarbeiten:
- Mehr Eigenverantwortung und Präventionsanstrengungen seitens der Patienten, speziell bei Sonderleistungen und weniger Arztbesuche erforderlich (kein Ausreichen von Medikamenten, die nicht notwendig wären).
- Digitale Patientenakte: Hier ist ein hoher Grad an Datenfreigaben durch gezieltes Werben auf Patientenseite dafür anzustreben. Mit einem hohen Datenvolumen wird es einfacher, nicht notwendige Untersuchungen zu vermeiden und Kosten zu sparen. Ferner ist die Digitale Patientenakte übersichtlich und im Datenbankformat aufzustellen, sodass ein mühsames Recherchieren seitens der Ärzte und Apotheker in einzelnen pdf-Dokumenten unterbleibt.
- Honorar-Reform notwendig: Höherer Fix-Betrag (deutlich mehr als 6€) und Inflationsausgleich, um ein weiteres Apothekensterben zu verhindern.
- Rückholung der Produktion von lebensnotwendigen Medikamenten in die EU bzw. nach Deutschland mit Abnahmegarantie des Staates.
- Ungleichheit bei Arzneimittelpreisen von Krankenhausapotheken und niedergelassenen Apotheken (10-facher Preis) nivellieren – hier ist ein „gemittelter“ Preis für beide Apothekentypen anzustreben!
- Makelverbot: Gewerbliches Vermitteln von Rezepten zur Generierung persönlicher Vorteile, auch digital, muss unterbleiben.
Wir freuen uns, das Thema zur Lage der Apotheken und zur Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln auch künftig in unserer Fachkommission zu begleiten und dass unsere hier aufgestellten Forderungen Gehör finden. Vielen herzlichen Dank vor allem an Herrn Dr. Groß für seinen fundierten Lagebericht.