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Bericht
07.10.2024
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"Wahlanalyse der jüngsten Landtagswahlen"

Veranstaltung der Sektion Dresden mit Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Forschungsdirektor am Mathias Corvinus Collegium (MCC) Brüssel
©Wirtschaftsrat

Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegen hinter uns. Bei hoher Wahlbeteiligung in diesen Ländern ist die AfD zur zweitstärksten bzw. stärksten politischen Kraft geworden.

2024-10-07_Foto1_Wahlanalyse.jpgProf. Dr. Steffen Tobisch, Sprecher der Sektion Dresden eröffnet die Veranstaltung (Foto: Wirtschaftsrat) 

Gemeinsam konnten wir mit einem der nach wie vor renommiertesten und medial bekanntesten Politikwissenschaftlern Deutschlands, namentlich mit Prof. Dr. Werner J. Patzelt, die Wahlergebnisse – vor allem die in Sachsen – analysieren und mögliche Bündnisse für die nächste Wahlperiode eruieren. Dabei ist es in Dresden u. a. um die Aufrechterhaltung bestehender „Brandmauern“, um die Umsetzung der Wählerstimmen sowie um das Demokratieverständnis im Allgemeinen gegangen. Als neue politische Kraft hat sich in den drei ostdeutschen Ländern das BSW um Dr. Sahra Wagenknecht etabliert. Das BSW gilt als „Wunderbox“ und niemand weiß so recht, was die Partei für den Freistaat Sachsen auf der Agenda hat. Auch hier haben wir entsprechende Antworten von Prof. Patzelt in Erfahrung bringen dürfen.

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Dr. Dirk Schröter, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates in Sachsen, begrüßt die Anwesenden (Foto: Wirtschaftsrat)

Als Aufhänger verwies Prof. Patzelt zunächst auf den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, wo der Hauptdarsteller im Film, genannt Phil Connors, täglich die gleiche Routine erlebt – ähnlich fühlt sich Prof. Patzelt, wenn er an seine vielen Ratschläge an die CDU denkt, der er seit 1994 angehört. Er kommt zu dem Fazit, dass seine Analysen heute eher als „nutzlos“ zu betrachten sind, denkt man an die Umsetzung seiner Ideen durch die Union. Früher riet er der CDU sich einer „Durchdringungsstrategie“, wie es die CSU in Bayern vollbracht hat, also die Nähe zum Volk durch Mitwirkung in Schützen-, Heimat- und Sportvereinen zu suchen. Auf diese Weise kann man leicht und unaufgeregt heraus bekommen, wie die Menschen „ticken“, was sie sich wünschen und welche politischen Erwartungen an die Politik sie haben. Vor allem aber sollte sich keine Partei vor faktenbasierten Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern drücken. Dies sei aber schon lange Zeit und auch heute noch der Fall. Früher hieß der politische Konkurrent am rechten Rand NPD und heute AfD.

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(Foto: Wirtschaftsrat)

Seit der jüngsten Europawahl wissen wir, dass die AfD im Osten der Republik die stärkste politische Kraft geworden ist. In den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist sie die stärkste bzw. zweitstärkste Kraft geworden. Dieser Sachverhalt dürfe keinesfalls ignoriert werden. Dabei reicht es aber nicht aus, sich im Wahlkampf nur auf das „Verhindern der AfD“ zu konzentrieren und auch nicht, wenn der Sächsische Ministerpräsident den Kandidaten der SPD in Brandenburg öffentlich unterstützt, aus dem einzigen Grund heraus, die AfD nicht zur stärksten Kraft werden zu lassen. Aktuell wirke die Brandmauer zur AfD schon nicht mehr kommunal, da es schon die ersten AfD-Bürgermeister sowie einen AfD-Landrat gäbe. Generell ist Prof. Patzelt der Meinung, dass die „Brandmauer“ der CDU gegenüber der AfD eher eine „Gefängnismauer“ sei, in welche sich die CDU freiwillig begeben habe, wenn es entweder um Kompromisse mit der politischen Linken, wie BSW, SPD und Grüne gehe oder gar, wenn sich Koalitionen um die CDU herum bildeten. In diese Gefängnismauer wäre dann die noch zu weiten Teilen konservative CDU eingemauert, gemeinsam mit Parteien aus einem nicht konservativen politischen Spektrum.

2024-10-07_Foto4_Wahlanalyse.jpgProf. Dr. Werner J. Patzelt während seines Vortrags (Foto: Wirtschaftsrat)

„Die AfD ist mittlerweile so stark geworden, dass sie sich nur noch selbst besiegen kann“, lautet ein Satz, den Prof. Patzelt geäußert hat. Unser Referent spielt damit u.a. auf Äußerungen von MdEP Maximilian Krah zur SS, kurz vor der Europawahl an. Die Zukunft von Parteien liege ohnehin an der nächsten Wählergeneration, ist sich Werner Patzelt sicher. Junge Menschen wählten – entgegen allen Annahmen – CDU und AfD, weniger grün und auch weniger links. Dabei sei zu beachten, dass die nicht akademischen Jungwähler mit dem Wirtschaftsleben konfrontiert seien und die aktuellen Auswirkungen der Ampel-Bundespolitik unmittelbar im Arbeitsalltag zu spüren bekämen. Das Gros der Jungwähler speist sich eher aus Berufsschülern mit Wirtschaftserfahrung und weniger aus akademischen Personen bzw. Gymnasiasten, die eher die Tendenz zu links-grün hätten. Die sogenannte „Multikulti-Gesellschaft“ zeige sich heute insbesondere auf den Schulhöfen und in Freibädern, wo des Öfteren das Faustrecht regiere. Dies sei kein Zustand, den sich die Mehrheit der Jugend wünsche.

Die AfD, gegründet 2013, habe eine politische Erfolgsgeschichte geschrieben und es heute auf ca. 40.000 Mitglieder gebracht. Über die Zeit immer höhere Zustimmungswerte machten diesen Erfolg ersichtlich. Dabei sei ein rechterer Kurs, als ihn die CDU verfolgt habe, gerade das Erfolgsgeheimnis der AfD. Die CDU ist der Hauptleidtragende dieses Phänomens – selbst verschuldet durch einen in der Vergangenheit mehr und mehr verfolgten Linksdrift der Union und eine dadurch entstandene Repräsentationslücke. Dabei sollten die Fehler der Vergangenheit (Euro-Politik, Target II, Migrationspolitik, Energiepolitik) durch die CDU zunächst ehrlich aufgearbeitet und bei eventueller Machtübernahme korrigiert werden.

2024-10-07_Foto5_Wahlanalyse.jpgv.l.n.r.: Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Dr. Dirk Schröter, Prof. Dr. Steffen Tobisch (Foto: Wirtschaftsrat) 

Im Sinne einer lebendigen Demokratie könne es nicht sein, dass die Wählerschaft, die eine Mitte-Rechts-Regierung gewählt habe, eine Mitte-Links-Regierung bekäme. Ein Phänomen der jüngsten Landtagswahlen sei, dass dort eher bundespolitische Themen im Wahlkampf eine Rolle gespielt hätten. Es ist oben erwähnte „Repräsentationslücke“ rechts von der Union entstanden, welche die AfD mittlerweile ausfülle. Der Grund für diese Lücke liege u.a. auch in einem seit Jahren falschen Umgang mit der neuen politischen Kraft AfD. Werner Patzelt zitiert hier aus der letzten Strophe des Gedichtes von Christian Morgenstern „Die unmögliche Tatsache“, in der es durch den von einem Kfz überfahrenen Protagonisten Palmström heißt: „Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Für die AfD hat Prof. Patzelt aber auch einen Ratschlag zur Hand, falls diese in stärkere politische Verantwortung auf Landes- und Bundesebene kommen möchte, um als Koalitionspartner für die CDU überhaupt in Frage zu kommen. Die AfD sollte auf die „Realos“ in der Partei setzen und etwas mehr Mäßigung in verschiedenen Aussagen an den Tag legen. „Konditionierte Kooperationsangebote“ sollten hier durch die Union unterbreitet werden, indem konkrete Bedingungen an die AfD für eine künftige Zusammenarbeit hinsichtlich von extremen Formulierungen, Personal und Grenzlinien bei einschlägigen Positionen gestellt werden. In Europa ist zudem ein zunehmender Rechtsruck in der Parteienlandschaft zu verzeichnen. Diesem ging eine Art „Selbstgefälligkeit“ Volksparteien in Holland, Italien und Frankreich voraus, der zu einem abnehmenden politischen Grenznutzen geführt habe. Die Credos Erziehen, Erklären, Kommunizieren sowie Medien bespielen hätten sich nach und nach abgenutzt. Was wäre im europäischen, nationalen Kontext also jetzt zu tun, um als Unionsparteien politisch wieder zu erstarken? Prof. Patzelt sieht in folgenden Punkten Handlungsbedarf: Probleme von Deutschland lösen, Energiepolitik wieder auf konkurrenzfähige Preise bringen, Leistungswille befördern, Stabilität in die Euro-Zone bringen und das Ablegen des „hysterischen“ Umgangs mit der AfD. Hierfür bedarf es eines „Tugendkataloges“, der sich aus folgenden Tugenden speisen sollte: 1. Klugheit beim Setzen von Zielen, 2. Gerechtigkeit bei den eingesetzten Mitteln walten lassen, 3. Mäßigung im Ton und Umgang mit politischen Gegenkräften, 4. Tapferkeit vor dem Parteifreund und auch vor dem politischen Gegner.

2024-10-07_Foto6_Wahlanalyse.jpgFragerunde aus dem Publikum (Foto: Wirtschaftsrat) 

Es schlossen sich viele Fragen aus dem Publikum an, u.a. auch die, welche Gesetze man in Deutschland hypothetisch ändern müsse, um die jeweils stärksten politischen Kräften zu einer Koalitionsbildung zu verpflichten (Wegfall jedweder Sondierungsgespräche), bis mindestens 50,1% erreicht wären und damit die Umsetzung des Wahlergebnisses demokratisch im Parlament abgebildet würde. Hierzu würde es einer Änderung des Grundgesetzes bedürfen, welche allerdings durch die etablierte Bundesregierung (mit vielen Parlamentariern ohne Karrierechance jenseits der Politik) beschlossen werden müsste. Bei absolut konträren politischen Positionen wäre das Finden eines gemeinsamen Nenners in einem System mit Koalitionsvorschrift allerdings recht schwierig, stellte Prof. Patzelt heraus. Auch ein Proporz-System wie in der Schweiz wäre rein theoretisch denkbar. Da müsste aber das Element der direkten Demokratie (Volksentscheide etc.) verstärkt eingesetzt werden. Einem AfD-Verbot steht Werner Patzelt kritisch gegenüber. Bisher fehle nach seinen Recherchen der Beweis dafür, dass die AfD die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpfe, zumal es diesbezüglich bereits an einer allgemein anerkannten Definition für diese Grundordnung fehle. Die bloße Rolle als Oppositionspartei reiche für ein AfD-Verbot bei Weitem nicht aus.

Wir bedanken uns recht herzlich bei Prof. Dr. Werner J. Patzelt für seine überaus klare und locker vorgetragene Wahlanalyse und freuen uns schon auf die nächste Zusammenkunft im Anschluss an die Bundestagswahl nach dem 28. September 2025.