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Bericht
21.04.2023
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Beim Lohnabstand zum Bürgergeld muss dringend nachgebessert werden

Sektion Plön/Ostholstein diskutiert mit Arbeitsagentur- und CDU-Fraktionschef über Arbeitsanreize und Arbeitsmarktentwicklungen
©Agentur Hartwig3c


PLÖN Seit Jahresbeginn gibt es anstelle von Hartz IV das neue Bürgergeld. Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Arbeit erwirtschaften können, bekommen seit diesem Zeitpunkt höhere finanzielle Unterstützung. Die Konsequenz: In der Bevölkerung mehren sich Stimmen, dass sich vor allem für Arbeitnehmer, die für ihre Jobs Mindestlohn bekommen, Arbeit nicht mehr lohnt - der Anreiz, eine Stelle anzunehmen, zu gering ist. Welche Lösungen gibt es? Was kann oder sollte die Politik unternehmen? Die Sektion Plön/ Ostholstein des Wirtschaftsrates lud zu einem Mittagsgespräch mit dem Titel „Arbeitsanreize trotz Bürgergeldes: Wo sollte der steuerliche Grundfreibetrag zukünftig liegen?“ ein.

 

Option: Steuergrundfreibetrag erhöhen

 

Sektionssprecher Karsten Kahlcke konnte im Hotel Neeth in Preetz-Dammdorf mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit (Kiel), Markus Bierchen, und dem Fraktionsvorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Tobias Koch, zwei Akteure begrüßen, die an entscheidenden Stellen Arbeitsmarkt und Politik in Schleswig-Holstein mitgestalten. Er stellte bezog eindeutig Position. „Arbeit muss sich wieder lohnen und der Staat müsse die ausufernden Sozialleistungen begrenzen.“ Eine Forderung des Wirtschaftsrates laute deshalb: Der Steuergrundfreibetrag muss verdoppelt werden, damit Arbeitnehmer mehr im Portemonnaie haben.

 

Bierchen: Sanktionsmöglichkeiten sind gut

 

Für den Einstieg in das Thema sorgte Markus Bierchen, der einen Überblick über die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt gab. Er stellte heraus, dass es im Land noch nie eine höhere Zahl an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen gegeben habe und sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt heute völlig anders darstelle als in der Vergangenheit. „Zwei Dekaden einer boomenden Wirtschaft und der demografische Wandel sorgen dafür, dass wir anstatt von Arbeitslosigkeit die Herausforderung haben, möglichst keinen ohne Arbeit zurückzulassen, da jeder und jede für das zu bewältigende Arbeitsvolumen gebracht werde.“ Bierchen widersprach Meinungen, dass es bei vielen Arbeitslosen die Sozialbezüge seien, die an der Aufnahme einer geregelten Arbeit hindern würden. „Es ist eine Mär, dass sich die meisten langzeitarbeitslose Menschen in einer sozialen Hängematte wohlfühlen und die Arbeitenden verlachen. Der weit überwiegende Teil leidet unter der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Wir haben viele Langzeitarbeitslose, die gesundheitlich oder psychische Erkrankung haben und ohne Unterstützung keinen Weg aus der Situation finden.“ Deshalb sei es gut, dass die Arbeitsagentur weiterhin auf das Konzept „Fördern und Fordern“ setzen kann. Es sei deshalb wichtig, dass es auch bei dem Bürgergeld Möglichkeiten gibt, Sanktionen auszusprechen. „Es muss genauso Regeln geben wie für jeden, der zur Arbeit geht.“

 

Sinkende Arbeitszeit wäre toxisch

 

Der Kieler Agenturchef hob hervor, dass seit Jahresbeginn die Möglichkeiten der Aktivierung von Langzeitarbeitslosen verbessert wurden. „Wir können jetzt die Bildung weiter intensivieren, weil wir auch Angebote finanzieren können, die Grundtugenden fördern.“ Zuvor sei der Fokus fast ausschließlich auf berufliche Fähigkeiten gerichtet gewesen. Aus seiner Sicht sei es vor allem notwendig, noch stärker in die schulische Bildung zu investieren. „Wir wissen es von unseren Autos: Reparieren ist immer Mist. Bis zu zehn Prozent der Schulabgänger haben keinen Abschluss. Das sind die Bürgergeld-Empfänger der nächsten Generation.“ Mit Blick auf die nächsten Jahre müsse jede Arbeitskraft aktiviert werden und „wir brauchen neben der Fluchtmigration eine gesteuerte Erwerbszuwanderung von Fach- und Führungskräften“. Es müsse mehr flexibles Handeln möglich werden, um den Menschen, die sich beruflich und gesellschaftlich eine Bleibeperspektive erarbeitet hätten, eine dauerhafte Zukunft in Deutschland zu ermöglichen. Zudem machte er „durch die Blume“ deutlich, dass eine Senkung des Renteneintrittsalters nicht sinnvoll sei und „Diskussionen über sinkende Wochenarbeitszeiten arbeitsmarktpolitisch toxisch sind“.

 

Koch: Besser für Arbeitnehmer mitdenken müssen

 

CDU-Fraktionschef Tobias Koch nahm den Ball auf und stellte heraus, dass „bei den Bürgergeld ja am Ende durch die Intervention der Opposition vieles nicht so gekommen ist, wie es die Ampelregierung beabsichtigt hatte“. Es sei gut, dass Sanktionsmechanismus nicht abgeschafft wurde und die Grenzen für Schonvermögen nicht in dem geplanten Maße erhöht wurden. „Es ist klar: Durch die Erhöhung der Regelsätze haben wir eine Anreizdiskussion. Deshalb sage ich: Man hätte hier besser mitdenken müssen und auch die Steuergrundfreibeträge für Arbeitnehmer anpassen müssen.“ Ob es gleich, wie es der Wirtschaftsrat fordere, eine Verdoppelung der Freibeträge für mehr Netto vom Brutto sein müsse, darüber könne man diskutieren. Koch: „Der Unmut derjenigen, die berufstätig sind, ist zunehmend spürbar. Jeder politische Ansatz und jedes Instrument, das Menschen in Arbeit bringt oder qualifizierte Fachkräfte aus anderen Ländern zu uns bringt, ist willkommen. Wir müssen etwas tun.“ Vor allem gelte es dabei, die Situation für Familien mit Kindern in Blick zu haben, um den Lohnabstand zum Bürgergeld zu wahren und Arbeitspotenziale durch gute Kinderbetreuung zu heben./ Holger Hartwig